Es ist nicht mehr lange hin bis zu einer der wichtigsten politischen Weichenstellungen in diesem an Wahlen nicht armen Land: Am 15. und 16. Januar hält die CDU ihren ersten virtuellen Parteitag ab. Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz bewerben sich um den Vorsitz. Vom Ausgang wird sehr viel abhängen: So wenig ein Sieg von Merz eine 180-Grad-Wende bringen würde – er stünde doch für eine zumindest langsame Abwendung vom Kurs der Kanzlerin und den Versuch, die CDU als konservative Partei zu reanimieren. Auch wenn Laschet als Wunschkandidat Merkels gilt, sind aber auch unter ihm gewisse Absetzungsbewegungen von der Regierungschefin wahrscheinlich. Weil die Wahl so wichtig ist und Demokratie von Diskurs lebt, dokumentiere ich hier die Bewerbungsschreiben der drei Christdemokraten. Ich finde es erschreckend, wie weichgespült alle drei Texte sind. Hand aufs Herz: Man könnte sie eigentlich beliebig austauschen, und würde nicht mehr merken, welches von wem ist. Das war mein erster Eindruck. Und ich habe mich entschlossen, die drei Texte ohne Namen zu drucken – so können Sie selbst testen, ob sie Unterschiede ausmachen (oder gleich vorab ans Ende scrollen und dann die Texte in Kenntnis des jeweiligen Autors lesen, ganz nach Geschmack).
Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion darüber in den Kommentaren! Meine persönliche Meinung: Ich denke, das ist eine der schwerwiegendsten, schlimmsten Folgen von 15 Jahren Merkel an der Regierungsspitze: Das Ende einer echten politischen Auseinandersetzung und ihr Ersatz durch Schattenboxen. Wer wirklich andere Meinungen in zentralen Fragen wie Corona-Politik, Migration, Euro oder EU hat, wird ausgegrenzt und diffamiert. Deshalb erinnert der Wettbewerb eher an einen Auftritt von Domsingknaben. Es geht offenbar vor allem darum, wer am schönsten gendert und eleganter als andere schöne Worthülsen darlegen kann. Bei Kaffeesatzlesern wären die Texte wohl besser aufgehoben als bei politischen Köpfen. Kann man dabei einzelnen Kandidaten einen Vorwurf machen? Wohl kaum? Merkel hat das politische Leben so weichgespült, dass ein Friedrich Merz mit einem Klartext-Statement politischen Selbstmord begehen würde. Man kann nur hoffen, dass dieser Parteitag zum Anfang vom Ende der Merkel´schen Gleichtaktung des politischen Lebens wird. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Kandidat 1
„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
wir beginnen das neue Jahr in dem Bewusstsein, dass Corona uns weiterhin stark belasten wird. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, Ihnen und Ihrer Familie zunächst alles Gute und vor allem Gesundheit für das neue Jahr zu wünschen. Gehen wir mit Zuversicht in das Jahr 2021!
Das Wahljahr 2021 wird unserer Partei viel abverlangen. Gleich zu Beginn stehen wir vor der Entscheidung, wer die CDU in das nächste Jahrzehnt führen soll. Für die Zukunft unseres Landes hängt viel davon ab, ob wir bereit und in der Lage sind, weiterhin die Führung zu übernehmen für ein modernes Deutschland, mutig und verantwortungsbewusst zugleich. Dafür setze ich mich ein, und dazu möchte ich Ihnen im Folgenden meine Vorstellungen darlegen.
Modernste Partei Europas werden!
Damit unsere Partei jünger, weiblicher und digitaler wird, müssen wir die Themen aller Generationen anpacken. Mit neuen Formaten der Mitgliederbeteiligung und der Vernetzung soll das Adenauerhaus unter meiner Führung zu einem Ort der Begegnung, der Ideen und der Offenheit werden – über die Tagespolitik hinaus.
Klar erkennbar sein!
Die Demokratie lebt von Unterschieden und von Kompromissen. Im Wahljahr 2021 wird es darauf ankommen, unsere Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten. Gemeinsam müssen wir den Menschen die Gewissheit geben: „Dafür steht die CDU!“. Hierzu bedarf es nicht nur der Person des Vorsitzenden. Vielmehr muss in der ganzen Führung der Partei Kompetenz in den Themen, Glaubwürdigkeit in den Personen und Teamgeist im Umgang miteinander zum Ausdruck kommen.
Unser Kompass bleibt das christliche Menschenbild. Es gilt, die ganze Bandbreite unserer christlich-sozialen, liberalen und bürgerlich-konservativen Überzeugungen in klare Standpunkte zu übersetzen, die den thematischen Reichtum unserer Partei sichtbar machen: für Freiheit und Verantwortung, für Solidarität und Subsidiarität, für Sicherheit und Ordnung, für rechtsstaatliche Verlässlichkeit und den Schutz des Eigentums. Für ein starkes Europa und einen handlungsfähigen Nationalstaat. Für starke Länder und kommunale Selbstverwaltung.
Verantwortung übernehmen!
Politische Ämter sind kein Selbstzweck, sie dienen im Wortsinn dem Land und den Menschen. Gerade in den letzten Monaten hat die CDU gezeigt, dass sie dieser Verantwortung gerecht wird. Politischer Gestaltungswille erschöpft sich jedoch nicht in der Verwaltung der Gegenwart und in der Bewältigung von Krisen. Rechtzeitig vor der Bundestagswahl müssen wir mit der CSU eine gemeinsame Vorstellung entwickeln, wie wir unser Land in den nächsten zehn Jahren voranbringen, mit welchen Ideen wir in die nächste Dekade gehen wollen.
Für Zukunft und Nachhaltigkeit stehen!
Wir alle müssen unsere Überzeugungskraft in Sachen Umweltpolitik und Nachhaltigkeit verbessern. Das Ziel muss lauten, die Partei zu sein, der die Mehrheit der Deutschen zutraut, Ökonomie und Ökologie so zu verbinden, dass Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Schutz unserer Lebensgrundlagen keine Gegensätze sind. Dabei lasse ich mich im umfassenden Sinne vom Gedanken der Nachhaltigkeit leiten. Dieser Grundsatz gilt ebenso in der Finanzpolitik, in der Sozialpolitik und nicht zuletzt in der Bildungspolitik. Nach Corona stehen vor allem die wirtschaftspolitischen Fragen im Vordergrund. Ich werde dafür eintreten, dass wir als die Partei wahrgenommen werden, die für Fairness und Chancen- gerechtigkeit steht. Wir sollten den jungen Menschen einen neuen Generationenvertrag anbieten, der sie fördert und einbindet. Denn das Herz eines ideenstarken, innovativen Deutschlands, das lebendige Zentrum unserer Zukunft, schlägt in diesen Menschen. Stärken wir sie – mit neuen Perspektiven!
Volkspartei der Mitte bleiben!
Schließlich: Mein politisches Leben ist geprägt vom Erfolgskonzept Volkspartei. Ich sehe mich als Teil eines Teams ideenstarker Frauen und Männer, die alle Teile unserer Gesellschaft – Jung und Alt, Ost und West – vertreten. Die Vereinigungen erbringen dabei einen wichtigen Teil unserer politischen Arbeit. Wir können der ganzen bürgerlichen Mitte unseres Landes eine verlässliche politische Heimat geben. Zu dieser Mitte hin wollen wir integrieren, verbunden mit der Bereitschaft zur klaren inhaltlichen Profilierung gegenüber unseren politischen Wettbewerbern.
Mit diesen Überzeugungen werbe ich um Ihr Vertrauen und das der Delegierten des Bundesparteitages. Mein Team hat meine Kandidatur in den letzten Wochen begleitet. Entstanden ist ein kurzer Film, der Ihnen zusätzliche Einblicke in mein Denken und Handeln eröffnen soll – klicken Sie hierzu ganz einfach auf den nachfolgenden Link: (Spoilerwarnung). Ich freue mich auf Ihr Feedback!
Mit herzlichem Gruß,
Kandidat 1“
Kandidat 2:
„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
Ihnen und Ihren Familien wünsche ich Glück, Zuversicht und vor allem Gesundheit für das neue Jahr. Mit der Corona-Pandemie beschäftigt uns am Beginn der 20er Jahre gleich eine historische Krise, verbunden mit Entbehrungen und großen gesundheitlichen und existenziellen Sorgen. Einmal mehr hat sich gezeigt, wie wichtig der Zusammenhalt in unserem Land ist und wie sehr es dafür auf eine verbindende politische Kraft wie die CDU ankommt.Unsere Partei hat auch in dieser Krise Führungsstärke bewiesen – im Bund und in den Ländern.
Die CDU ist die politische Kraft, der die Menschen vertrauen. In stürmischen Zeiten ist die CDU ein Garant für Umsicht und Weitblick. Dieses Vertrauen der Menschen ist eine besondere Verantwortung, der wir auch in Zukunft gerecht werden wollen. Dafür braucht es Ideenreichtum, aber genauso Mut zur Entscheidung und Entschlossenheit in der Umsetzung. Dafür stehe ich als Kandidat für den Vorsitz unserer Partei (…).
Unser Ziel ist, dass die CDU Volkspartei bleibt und wieder die modernste Volkspartei Europas wird. Dazu muss sie ihre ganze politische Breite und gesellschaftliche Vielfalt wieder neu zur Geltung bringen: von der CDA bis zur MIT, von der Jungen Union bis zur Senioren-Union, zur Frauen Union und den weiteren Vereinigungen. Wir wollen den Erfahrungen und Ideen unserer Mitglieder mehr Gewicht geben und die Diskussionskultur stärken. Wir sind Volkspartei, gerade deshalb brauchen wir alle. Das heißt auch, dass wir die erste Anlaufstelle für Jüngere und Menschen mit Einwanderungsgeschichte werden müssen. Auch wenn wir seit 20 Jahren eine Vorsitzende haben, sind Frauen in unserer Partei noch immer nicht ausreichend repräsentiert. Um neue Mitglieder zu erreichen, müssen wir die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Parteiarbeit verbessern. Auch unsere Kommunikation und unsere Mitmach-Möglichkeiten müssen wir neu justieren. Das heißt: Wir wollen in sozialen Netzwerken genauso aktiv sein wie vor Ort im Gemeinderat oder am Wahlkampfstand. Wir wollen das eine tun, ohne das andere zu lassen. Große Herausforderungen stehen Deutschland bevor – Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und die wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie.
Dafür muss die CDU einen klaren Kompass haben und den Menschen Orientierung geben. Und dafür müssen wir auch klarmachen, dass sich unsere politischen Vorstellungen fundamental von Grün-Rot-Rot unterscheiden. (…). Uns leiten keine Utopien und Ideologien, sondern das christliche Menschenbild. Wir wollen keine Bevormundung, sondern setzen auf Eigenverantwortung mit einem starken Staat, der Sicherheit und Chancen bietet.
Dafür wollen wir die 20er Jahre zu einem Modernisierungsjahrzehnt für Deutschland machen: neue wirtschaftliche Dynamik, umfassende Sicherheit, beste und gerechte Bildungschancen und eine lebenswerte Heimat für alle. All das braucht eine stabile Grundlage: einen starken Rechtsstaat und eine starke Wirtschaft. Unser Rechtsstaat lebt von klaren Regeln, die konsequent durchgesetzt werden. Neue wirtschaftliche Dynamik braucht schnellere Verfahren und Entbürokratisierung. Und wir müssen wieder mehr investieren, vor allem in Zukunftstechnologien. Wir wollen eine neue Gründerzeit entfachen und setzen dabei auf eine kluge Verbindung von Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit.
Ich stelle mich als Parteivorsitzender der Christlich Demokratischen Union Deutschlands zur Wahl, weil wir uns keinen Schritt zurück erlauben können, sondern regierungsfähig bleiben müssen.
Die CDU muss Deutschland zusammenhalten und in die Zukunft führen. (…) Mein Ansporn ist es, dass unsere CDU auch in den 20er Jahren die Volkspartei mit klarem Kurs, Führungskraft und programmatischer Stärke bleibt.
Das ist mein Angebot, das ich Ihnen (…) unterbreite. Wir haben viel vor. Und das möchten wir gemeinsam mit Ihnen im Team erreichen. Daher bitte ich Sie herzlich um Ihre Unterstützung!
Kandidat 2“
Kandidat 3
„Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde,
es ist nun fast elf Monate her, dass ich meine Kandidatur für das Amt des Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands vor der Bundespressekonferenz in Berlin erklärt und ausführlich begründet habe.
Ich habe versucht, die Zeit seitdem zu nutzen, und bin zuerst analog, dann digital durch ganz Deutschland gereist. Ich habe mich Ihnen vorgestellt und erklärt, wofür ich stehe und was meine Ideen für die Zukunft der CDU, Deutschlands und Europas sind. Dieser Austausch über Monate hinweg war für mich sehr bereichernd.
Es ist deutlich geworden, dass ich in der CDU für kein Lager stehe und ich glaube auch, dass der Vorsitzende das nicht darf. Ich habe Unterstützung aus allen Richtungen, aus Ost und West, aus Nord und Süd, von Jüngeren und Älteren, von Frauen und Männern gewonnen. Ich glaube darum, integrieren zu können.
Das Erfreulichste meiner Kampagne sind die zahlreichen Menschen – darunter viele jüngere und solche, die nicht schon immer oder in jedem Fall CDU wählen – die sich nach und nach als Unterstützende bekannt und aktiviert haben. Wir müssen eine breitere Basis in der Gesellschaft für die CDU schaffen.
Die Wahl unseres neuen Vorsitzenden fällt in eine Zeit voller Umbrüche und großer Unsicherheiten. Wir befinden uns immer noch in einer Jahrhundert-Pandemie mit allem, was es gesundheitlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutet. Aber genauso erleben wir, dass die ganz große Mehrheit der Bevölkerung vernünftig und solidarisch ist. Wir sehen Licht am Ende des Tunnels auch wegen der Erfindungskraft und des unternehmerischen Mutes eines mittelständischen Forschungsunternehmens, das von einem Ehepaar geleitet wird, deren Eltern als türkische „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommen waren. Ich denke, wir können uns manchmal über unsere Erfolge noch etwas mehr freuen.
Wir stehen am Beginn eines Jahrzehnts, in dem vieles auf dem Spiel stehen wird. Mein Ziel als Vorsitzender der CDU ist es, die Themen unserer Zeit wieder in das Zentrum des Denkens, Diskutierens und Entscheidens in der Partei zu setzen. Denn es gilt, aus den Herausforderungen Chancen zu machen. Insbesondere geht es darum:
– Den Zusammenhalt Europas zu bewahren und Europa zu einem handlungsfähigen außenpolitischen Akteur zu machen. Die CDU ist als die deutsche Europapartei unverzichtbar dafür, dass Deutschland diese Rolle ausfüllen kann.
– Jetzt mit der Vorbereitung auf den (markt)wirtschaftlichen Neustart nach der Pandemie zu beginnen. Dafür setze ich auf unseren unternehmerischen Mittelstand, der weltweit einzigartig ist. Er braucht wieder mehr Luft zum Atmen und verdient bürokratische und finanzielle Entlastung. Bildung, Ausbildung und Infrastruktur sind die wichtigsten staatlichen Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg. In einer nationalen Kraftanstrengung können wir unseren 10- bis 20-jährigen Rückstand in der Digitalisierung aufholen.
– Wir haben die einzigartige Chance, als CDU klimapolitische Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und sie mit marktwirtschaftlicher Kompetenz zu verbinden. Wir können eine marktwirtschaftliche, technologiebasierte Klimapolitik zum Erfolgsmodell machen und internationalisieren. Klimaschutz gibt es nur global oder gar nicht.
Unser wichtigstes Ziel als Partei besteht darin, Volkspartei zu bleiben. Um Volkspartei zu bleiben, muss die CDU sich verändern. Darum muss die CDU weiblicher, jünger, digitaler werden. Die CDU kann wie keine andere Partei Tradition und Moderne miteinander verbinden. Die CDU ist wie keine andere Partei Kommunalpartei. Wir stehen deshalb ganz besonders für den sozialen Zusammenhalt, der längst keine Selbstverständlichkeit mehr in unserer Gesellschaft ist. Die CDU muss sich der Gesellschaft wieder neu zuwenden und wie ein Kommunikationsknoten in die Gesellschaft hinein agieren. Ich habe begonnen, das Projekt gesellschaftliche Vernetzung der CDU zu starten. Unter der Leitung der 38 Jahre alten Landtagsabgeordneten aus Rheinland-Pfalz Ellen Demuth machen von der Leopoldina-Forscherin bis zum Handwerksmeister bereits viele mit.
Ich lade Sie alle hiermit herzlich ein, auch selbst aktiv an dem großen Projekt CDU mitzuwirken. Sie werden gebraucht. Die CDU wird gebraucht. In Deutschland und für Europa.
Ich grüße Sie herzlich.
Kandidat 3“
Kandidat 3 = Norbert Röttgen
+++ In Laschets Text wurden vier winzige Passagen ausgelassen und mit „(…)“ gekennzeichnet, weil sie Spoiler gewesen wären. An zwei dieser Stellen verweist er auf die gemeinsame Kandidatur mit Spahn, an der dritten auf seine Regierungserfahrung: „Mit der Erfahrung als Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten deutschen Landes möchte ich diese Herausforderung angehen“ und „an der vierten auf seinen Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen: „So haben wir in Nordrhein-Westfalen 2017 erfolgreich eine rot-grüne Regierung abgelöst.“
Bild: Electric Egg/PhotoSGH/Shutterstock
Text: br