Von Daniel Weinmann
Dass gerade die Schweiz zu den Vorreitern in puncto staatlicher Überwachung werden würde, hatten vermutlich nur die wenigsten Datenschützer auf ihrer Agenda. Anfang Mai hatte das Kantonsparlament im Kanton Thurgau einer Verschärfung des Polizeigesetzes zugestimmt, das die Ordnungshüter gleich mit einer ganzen Armada von Sonderprivilegien ausstattet. Die Polizisten dürfen laut der neuen Rechtsverordnung künftig „zur Gefahrenabwehr und zur Erkennung von Vergehen und Verbrechen“ elektronische Geräte kontrollieren und Einblick in private WhatsApp-Chats, Telegram-Nachrichten und Anruflisten nehmen.
Besonders beängstigend: Dafür ist weder ein laufendes Verfahren noch ein entsprechender Gerichtsbeschluss notwendig. Einzige Auflage: Die Kontrolle muss „vor Ort in Anwesenheit der betroffenen Person“ erfolgen. Zudem soll die Durchsuchung der Gefahrenabwehr oder der Erkennung von Verbrechen dienen – unspezifischer geht es kaum.
Das ist aber noch nicht alles, denn die Polizei darf darüber hinaus prophylaktisch Hotels, Restaurants und das Rotlichtmilieu durchsuchen – offiziell, um Menschenhandel oder schwere Drogendelikte zu unterbinden. Befremdlich auch hier: Einen konkreten Anlass benötigt sie dafür nicht.
»Herzlich willkommen im Schnüffelstaat«
„Ein derart weitgehender Eingriff in die Privatsphäre zu rein präventivpolizeilichen Zwecken galt in der Schweiz bisher als Tabu“, kommentierte die „Neue Zürcher Zeitung“. Umso erschreckender ist, dass die Regierungsrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP), Cornelia Komposch, das revidierte Polizeigesetz ohne Probleme durch das Kantonsparlament brachte. Die Angriffe auf „unsere Freiheit“ und die Übergriffe auf Behörden und Polizei müssten verringert werden, lauteten ihre substanzlosen Argumente, mit denen sie die Befürworter gewann.
Dazu passen naive Statements wie die eines Politikers der zentristischen Partei „Die Mitte“: „Ist es denn so schlimm, wenn die Polizei nachschaut, mit wem ich als Letztes telefoniert oder was ich als Letztes fotografiert habe?“, fragte er das Plenum. Zwar wurde der schwere Eingriff in die Privatsphäre zumindest vordergründig zur Diskussion gestellt. Damit verbundene Vorbehalte wurden jedoch als Misstrauensvotum gegenüber der Polizei zurückgewiesen. „Herzlich willkommen im Schnüffelstaat“, kommentierte die FDP-Kantonsrätin Michèle Strähl, die sich vergeblich gegen die Grundrechtseingriffe stemmte.
Die Bundesregierung dürfte die Entwicklung in der Schweiz mit großem Interesse verfolgen. In einer offiziellen Stellungnahme für die EU-Kommission hatte die Ampelkoalition im April ihre Zustimmung zur Überwachung privater Kommunikation erteilt. Chats in Apps wie WhatsApp oder auch E-Mails sollen demnach künftig auch ohne einen konkreten Verdacht belauscht werden können (Reitschuster.de berichtete).
Flankiert werden die zunehmenden Eingriffe in die Privatsphäre von der EU-Kommission
Zudem wollen vor allem die rotgrünen Klimaaktivisten in der Regierungskoalition künftig genau wissen, wie die Bundesbürger heizen und wie viel Energie sie verbrauchen. Ein entsprechendes Gesetz ist bereits in Vorbereitung. „Jetzt will er (Robert Habeck) die Energie-Stasi einsetzen, um wie in einem Schnüffelstaat den Menschen in den Heizungskeller zu gucken“, empörte sich Thüringens CDU-Chef Mario Voigt in der „Bild-Zeitung.“
Flankiert werden die zunehmenden Eingriffe in die Privatsphäre von der EU-Kommission, die vor einem Jahr ein Gesetzesprojekt für eine sogenannte Chat-Kontrolle auf den Weg gebracht hat. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Kindesmissbrauch sollen private Nachrichten auf Facebook, WhatsApp oder Signal in der EU künftig auf Inhalte gescannt werden können.
„Dieser Big-Brother-Angriff auf unsere Handys, Privatnachrichten und Fotos mithilfe fehleranfälliger Algorithmen ist ein Riesenschritt in Richtung eines Überwachungsstaates nach chinesischem Vorbild“, mahnte der EU-Abgeordnete Patrick Breyer bereits vor gut einem Jahr. Dass er ausgerechnet von der Schweiz Schützenhilfe bekommen sollte, hatte er sich sicherlich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorgestellt.
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