Von Kai Rebmann
Einst galt Argentinien als wirtschaftliches Rückgrat Lateinamerikas. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Zwei Dekaden unter der Fuchtel des „Kirchnerismo“ haben das Land an der Südspitze Amerikas nicht nur, aber insbesondere wirtschaftlich zugrunde gerichtet. Der linksautoritäre Sozialismus hat also ganze Arbeit geleistet, ähnlich wie es beispielsweise auch in Venezuela zu beobachten ist.
Vor Jahresfrist waren es noch Lionel Messi und die Albiceleste, die einer darbenden Nation Hoffnung gaben, die Bilder aus Buenos Aires und anderen Städten gingen um die Welt. Und jetzt scheinen die Argentinier in Javier Milei auch einen neuen politischen Messias gefunden zu haben. Javier Wer?
Bis gestern war der Name des frischgebackenen Präsidenten Argentiniens außerhalb seiner Heimat wohl nur den wenigsten bekannt. Überdurchschnittlich informierte Beobachter wissen vielleicht noch, dass der gelernte Ökonom bis vor wenigen Jahren eine eigene TV-Show moderierte, in der er seinen Landsleuten die seit Jahrzehnten anhaltende Wirtschaftskrise erklärte.
Also haben es sich die üblichen Verdächtigen in der westlichen Medienlandschaft – von „Spiegel“ über „Tagesschau“ bis hin zur „Zeit“ zur Aufgabe gemacht, ihren Konsumenten das vermeintliche Wesen Javier Milei näher zu bringen. Und das taten sie auf ihre ganz eigene, wohl bekannte Weise – indem sie den neuen Präsidenten flugs in die rechte bis rechtsextreme Ecke verfrachteten.
Ja zum US-Dollar, Nein zur Zentralbank
Javier Milei holte 55,7 Prozent der Stimmen und stellte seinen Widersacher, den amtierenden Wirtschaftsminister Sergio Massa, mit 11 Punkten Vorsprung überdeutlich in den Schatten. Nach dem ersten Wahlgang hatte der Kandidat des linken Spektrums noch vor Milei gelegen.
Mit stetigen Attacken gegen die „Scheiß-Linken“ sowie der Unterstützung des Bündnisses „Juntos por el Cambio“ gelang es Milei, das Ruder in den vergangenen Wochen noch herumzureißen. Seine Reden trug der politische Quereinsteiger gerne laut und – ja – auch populistisch vor. Das ist in Südamerika aber erstens nichts Besonderes und zweitens kein Alleinstellungsmerkmal vermeintlicher oder auch tatsächlicher „Rechtsextremisten“.
Als eben solcher wird Milei jetzt aber gebrandmarkt, wie eine kleine Presseschau zeigt. Für die Kollegen ist der neue Präsident Argentiniens entweder ein „Ultrarechter“ (Zeit), ein „Rechtspopulist“ (Tagesschau) oder jemand, der „Positionen zwischen rechtsextrem und anarchistisch“ (ZDF) vertrete.
Letzteres mag sogar noch stimmen. Schließlich bezeichnet sich Milei selbst gerne als „Anarcho-Kapitalist“ und „Libertärer“. Und genau das ist der 53-Jährige mit den markanten Koteletten auch – ein Unternehmer, der dem politischen Establishment um den Kirchner-Clan den Kampf angesagt hat. Wenn dann auch noch die Ex-Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro zu den ersten Gratulanten zählen, kann in Argentinien ja nur ein „Rechter“ gewonnen haben. So offenbar die Auffassung in den rot-grün lackierten Redaktionsstuben, in denen ohnehin alles als „rechtsradikal“ gilt, was sich rechts der Union bewegt.
Radikal ist Javier Milei tatsächlich. Aber deshalb auch rechts? Der Ökonom wünscht sich die Einführung des US-Dollar als Landeswährung, will die Zentralbank und mehrere – aus seiner Sicht – überflüssige Ministerien abschaffen sowie Kooperationen mit sozialistischen bis kommunistischen Ländern wie Brasilien oder China beenden. Die größten „Verbrechen“ aber sind mit Sicherheit die Pläne für ein Gesetz, das Abtreibungen verbieten soll, sowie die Verneinung des menschengemachten Klimawandels.
Irrationale Angst vor der Freiheit des Individuums?
So gar nicht ins Bild eines „Rechtsextremisten“ passen Forderungen nach einer Legalisierung bestimmter Drogen oder der Einsatz für die Homo-Ehe. Denn auch das ist Javier Milei – nur, dass die westlichen und nicht zuletzt die deutschen Mainstream-Medien das gerne verschweigen. Nicht dass noch jemand auf die Idee kommt, am zuvor mühsam zusammengebastelten Narrativ zu zweifeln.
„Viva la libertad, carajo“ oder, zu deutsch, „Es lebe die Freiheit, verdammt nochmal“ – dieser Satz wurde bei den Wahlkampfauftritten von Javier Milei zum Mantra. Und es scheint eben die Freiheit des Einzelnen zu sein, die in der westlichen Welt so vielen Angst macht, nicht zuletzt der „politischen Kaste“ und den ihr hörigen Medien.
Ein weiterer Leitspruch des neuen Präsidenten lautet, er sei nicht in die Politik gegangen, „um Lämmer zu führen, sondern um Löwen zu wecken“. Es sind solche Sätze, die vor allem bei den jungen Wählern gut ankommen, bei einer Generation also, die bisher nur ein unter dem Joch des Sozialismus leidendes Argentinien kennengelernt hat.
Bezeichnend sind Berichte wie jener im „Spiegel“, in dem bereits vor dem Urnengang ein düsteres Szenario gezeichnet wurde: „Beobachter im In- und Ausland sind schockiert über den Aufstieg des Außenseiters, Unternehmer und Anleger zittern. Mileis Sieg könnte die argentinische Demokratie auf die schwerste Belastungsprobe seit dem Ende der Militärdiktatur 1983 stellen. Und er würde das Land vermutlich weit nach rechts führen.“
Da war sie also wieder, die größte Gefahr für die Demokratie, die spätestens seit Nancy Faeser nur von rechts kommen kann und darf. Wer die obigen Sätze liest, der muss glauben, Argentinien sei ein Land, in dem Milch und Honig fließt. Das Gegenteil ist der Fall.
Und so trat Milei am Wahlabend um kurz vor 22 Uhr vor seine Anhänger und versprach: „Heute beginnt der Wiederaufbau Argentiniens.“ Ob dies gelingen wird, steht freilich in den Sternen. Sicher ist nur, dass Argentinien vor einem radikalen Umbruch steht – jedoch vor einem der ultraliberalen Art.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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