Dem Talkmaster und Publizisten Michel Friedman habe ich es zu verdanken, dass ich einmal in das Milieu der Prostitution eintauchte. Im Juni 2003 geriet der Mann, der sich gerne als Moralapostel und Kämpfer gegen rechts geriert, im Zuge von Ermittlungen wegen Menschenhandels im Rotlichtmilieu in das Blickfeld der Staatsanwaltschaft. Mehrere Zwangsprostituierte, die illegal aus der Ukraine nach Deutschland gebracht worden waren, sagten aus, sie hätten mehrmals mit Friedman Sex gehabt. Dabei habe er nicht nur selbst Kokain konsumiert, sondern ihnen auch angeboten. Die Prostituierten und die Drogen soll er demnach unter dem Pseudonym „Paolo Pinkel“ angefordert haben.
Weil die Zwangsprostituierten zumindest zum Teil aus der westukrainischen Stadt Ternopil stammten, schickte mich mein damaliger Chefredakteur beim Focus, Helmut Markwort, dorthin. Ich sollte eine Reportage über die Prostituierten dort machen. Die Kontaktanbahnung war heikel, und ich habe einen eigenen Text über die Geschichte hinter der Geschichte gemacht (siehe hier).
Eine der wichtigsten Lektionen, die ich damals in Ternopil gelernt habe: Kaum jemand redet so viel über die eigene Moral wie Prostituierte. Seit dieser Erfahrung in der Ukraine bin ich immer sehr skeptisch, wenn Menschen viel darüber sprechen, wie gut, edel und moralisch sie sind. An die Geschichte aus der Ukraine musste ich sofort denken, als ich einen Auftritt von Alena Buyx, der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, vor dem Presseclub in München Ende November sah. Mein erster spontaner Gedanke war: Wie kann diese Frau noch in den Spiegel sehen? Aber die Erfahrungen aus der Ukraine halfen mir, schnell zu verstehen: Sie hat wohl keinerlei Problem damit und hält sich wohl für höchst moralisch.
Grundlegende Selbstkritik wegen ihrer dubiosen Rolle in der Corona-Zeit, als sie selbst die schlimmsten Maßnahmen und die Pläne für einen Impfzwang sowie die Diskriminierung von Ungeimpften auf unerträgliche und untertänigste Weise schönredete? Fehlanzeige! Stattdessen versuchte sie, die anwesenden Journalisten in eine Art Komplizen-Sippenhaft zu nehmen. Nach dem Motto: Hütet Euch lieber! Wenn wir drankommen wegen all unserer Vergehen in dieser Zeit, dann geht es auch Euch Journalisten auch an den Kragen.
Offenbar sagt sich die Ethikrat-Chefin, dass Angriff die beste Verteidigung ist. Und so legte sie gegen mich los. Wörtlich:
„Also wenn Sie in die Tiefen des Internets gehen, Tichy, Reitschuster und so weiter, da finden Sie wirklich schlimmes Zeug über mich, was ich angeblich gesagt oder gemacht habe.“
Abgesehen davon, dass sie damit, quasi im Vorbeigehen, ein übles Framing betreibt, indem sie mich in den „Tiefen des Internets“ verortet, also quasi in der virtuellen Hölle: Sie wirft mir und dem Kollegen vor, wir hätten ihr falsche Zitate unterstellt. Aber sie sagt nicht, wo, wie und welche. Das ist in etwa das Niveau eines Wirtshausgesprächs, in dem über einen Nichtanwesenden einfach so frei von der Leber weg behauptet wird, er schlage seine Frau. Nur dass wir es hier nicht mit einem betrunkenen Stammtisch-Besucher zu tun haben, sondern mit einer Ethik-Professorin und der Vorsitzenden des sogenannten „Ethikrats“. Aber vielleicht heißt der ja auch nur so, weil er die eigene Ethik noch sucht?
Weiter sagte die Professorin: „Und ein Narrativ ist immer: Die Buyx will nicht aufarbeiten, weil ich mal öffentlich gesagt habe, uns ist die Aufarbeitung ein Stück genommen worden als Gesellschaft, weil dann der Krieg kam. Das ist so, das ist so.“
Das ist eine glatte Lüge. Und eine doppelte. Zum einen: Auf meiner Seite waren mehrere Geschichte über sie. Aber nur eine, von Kai Rebmann, in der es explizit darum geht, dass Buyx nicht aufarbeiten will. Also ist das Narrativ nicht „immer“, wie sie behauptet, ihr Problem mit der Aufarbeitung. Zum anderen: In der Geschichte von Kai Rebmann ist überhaupt nicht vom Krieg und der Ukraine die Rede.
Es ist bemerkenswert, dass die Chefin des Ethikrates anderen Lügen vorwirft – und das mit Lügen untermauert.
Weiter sagte die Professorin, leicht verhaspelt: „Das heißt aber ja nicht, dass ich sage, wir sollten nicht aufarbeiten. Es ist kompletter Quatsch. Wir sollten das tun. Wir machen das auch. Aber wir sollten das tun. Ich halte das für wichtig. Welche Art, das muss dann, wenn man es politisch macht, wirklich gut gestaltet sein. Denn meine Sorge wäre, dass diejenigen, die jetzt nach Schuldigen suchen, und zwar ehrlich gesagt, egal ob begründet oder unbegründet, da gibt es ein tiefes Bedürfnis danach, Schuldige zu suchen und natürlich auch zu sagen, Ihr Politikerinnen und Politiker und im Übrigen, Sie wären da ja nicht außen vor. Das wissen Sie ganz genau. Also das würde ja die Medienschaffenden ganz genauso betreffen. Ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und was weiß ich nicht. Also sie sind ja da, da soll Zweifel gesät werden. Das ist meine Sorge, dass das genutzt würde, dass Zweifel gesät wird an diesen demokratischen Institutionen, an der Politik insgesamt.“
Mit anderen Worten: Aufarbeitung ja, aber es darf keine Schuldigen geben.
Was für eine Farce. Was für ein Versuch, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen.
Und was für eine Dreistigkeit, Kritik an Politikern gleichzusetzen mit dem „Säen von Zweifeln an demokratischen Institutionen“.
Es macht einen atemlos, wie weit sich die Ethikrats-Chefin von grundlegendster Ethik verabschiedet hat.
„Es war alles falsch, war alles böse“, würden die Kritiker sagen, behauptet sie dann – auch das wahrheitswidrig.
Weiter versucht die Professorin, die anwesenden Journalisten noch weiter auf sich einzuschwören – und den Verzicht auf eine echte Aufklärung zu relativieren: „Sie haben alle falsch berichtet. Sie hatten alle den Maulkorb. Sie waren gleichgeschaltet und so all diese Geschichten, die man im Moment hört, das müsste man vermeiden. Und im Moment hat diese Form von Narrativen ein durchaus erstaunliches Übergewicht in der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte. Jedenfalls nehme ich das in den bösen Ecken des Internets rein quantitativ wahr. Wenn Sie sich anschauen, welche Artikel mit wie viel Kommentaren und Klicks und so weiter versehen sind. Also das müsste man sorgfältig machen und gut machen. Und dann würde das herauskommen. Haben Sie das mitgekriegt, dass die Engländer das gerade gemacht haben? Boris Johnson, da hat es einen Untersuchungsausschuss gegeben und Boris Johnson ist gegeißelt worden in dem Abschlussreport. Das müssen Sie mal lesen. Da steht im Prinzip drin – also nageln Sie mich jetzt bitte nicht fest auf irgendein Zitat – da steht im Prinzip drin: So und so 400.000 Tote waren komplett überflüssig und die hat die Politik verursacht.“
Genau vor so einem Abschlussbericht hat Alena Buyx offenbar heftige Angst. Weil sie weiß – der würde sie den Job kosten. Und wo kämen wir da hin!
Durchschnittliches Ablenkungsmanöver
Buyx versucht, den Kopf aus der politischen Schlinge zu ziehen, indem sie einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet. „Die Belastungen für Kinder und Jugendliche in der Corona-Pandemie waren laut der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, zu hoch“, apportiert die „Süddeutsche Zeitung“: „Alena Buyx bedauere es zutiefst, dass der Ethikrat dazu kein offizielles Papier gemacht habe, sagte die Medizinethikerin am Mittwoch im Münchner Presseclub.
Nach diesem halben Schritt nach vorne machte sie sofort zwei Schritte rückwärts, Richtung Bundesregierung und Karl Lauterbach: „Buyx gab zudem zu bedenken, dass die Corona-Impfung laut Studien 1,5 Millionen Menschen in Europa das Leben gerettet habe. Sie sei ein ‚bisschen empört‘, dass derzeit nur debattiert werde, wie falsch doch alles gewesen sei. Die Politiker in Deutschland hätten sich Entscheidungen nicht einfach gemacht, es sei um Menschenleben gegangen“.
Eine Regierung, die so einen Ethikrat hat, braucht kein Propaganda-Ministerium mehr.
Offen gestanden fand ich die eingangs beschriebenen Recherchen im Prostituierten-Milieu in der Ukraine weniger erschreckend als das Berichten über die Arbeit des Ethikrats und seiner Vorsitzenden. Denn zumindest hatte ich dort keine anderen Erwartungen.
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