Der vollkommen desolate Moralkompass der Alena Buyx „Eigentlich ganz optimistisch, wie sich unser Freiheitsverständnis verändert hat“

Ein Gastbeitrag von Aaron Clark

Den Anfang staatlich orchestrierter systematischer Ungleichbehandlung machte am letzten Augustwochenende die Hansestadt Hamburg: Gastronomen und Veranstaltern wird seitdem der weitestgehend von Corona-Auflagen befreite Betrieb ihrer Einrichtungen gestattet – sofern sie ausschließlich Geimpfte und Genesene hineinlassen. Berlin zog ein paar Tage später mit einem ähnlichen Modell für Clubs und Diskotheken nach. Folglich beginnt NDR-Moderator Stefan Schlag sein Interview mit der Frage, ob Alena Buyx (ausgesprochen „Büx“) diesen „2G-Weg“ für vertretbar halte: „Aus ethischer Sicht muss man sagen, dass natürlich 3G besser ist, weil man einfach mehr Teilhabe hat. Man muss aber auch sagen, wenn sich die Situation weiter verschlechtert, dann ist es ethisch vertretbar, wenn man mit diesem 2G, aber sehr maßvoll, dann umgeht.“ Mit maßvoll meint sie hier: „Die Disko ist nicht der Sportverein und das ist auch nicht der Behördenbesuch.“ Ganz im Sinne des aktuell erprobten Abwälzens auf die Privatwirtschaft erwähnt Buyx zwar die Notwendigkeit zur Zurückhaltung staatlicherseits, unterschlägt aber bei ihrem Hinweis auf die 2oder3G-Wahlfreiheit der Unternehmen, dass es natürlich die Politik ist, die mit derartigen Sonderregelungen für Infektionsschutz-Auflagen dem Ausschluss der Ungeimpften von der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben überhaupt erst den Weg ebnet. Laut einer aktuellen Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages bedürfen derart schwerwiegende Grundrechtseingriffe allerdings auch bei freiwillig Ungeimpften einer hohen Rechtfertigung in Bezug auf ihre Angemessenheit – die zumindest mit der Krankheitslast Ende August in Hamburg nicht ansatzweise zu erklären ist, von Frau Buyx aber als „gegenwärtig auch schon annehmbar“ eingeschätzt wird.

Auf der Reeperbahn nachts mit 2G – wenn Du geimpft bist, ist doch o.k.

Ob es sich bei der hier eingeführten Regelung schon um eine indirekte Impfpflicht handelt, möchte der Moderator als Nächstes wissen. Mit einem hörbar verächtlichen Lachen stellt die Ethikratsvorsitzende daraufhin klar, dass es sich mitnichten um eine Impfpflicht handelt – auch wenn das überhaupt nicht die Frage war: „Eine Pflicht ist etwas, dem man sich nicht entziehen kann, und natürlich kann man sich dem (2G-Modell) entziehen, ich muss ja nicht in den Club gehen!“ Allerdings werde hier natürlich „Druck aufgebaut, um es attraktiver zu machen, sich selbst und andere zu schützen“, fügt Buyx eine Minute später noch hinzu. Es scheint, als „verwechsele“ sie hier Attraktivität mit Zugzwang, denn wie durch das Aufbauen von Druck die Anziehungskraft erhöht werden soll, hätten weder Aristoteles noch Newton zu erklären vermocht. Ist aber alles halb so schlimm, schließlich gehe es bei der Impfung ja um etwas Positives – und spätestens hier begibt sich die promovierte Medizinerin mit Volldampf ins informationelle Schlaraffenland: „Wir wissen ja nun wirklich aus inzwischen Milliarden Impfungen, wie wenige Nebenwirkungen es da gibt.“ Heidewitzka, das muss man sich erstmal trauen.

Was wir wissen ist, dass bereits die Sicherheitsberichte des PEI von einer schwerwiegenden Nebenwirkung auf 5.000 Impfungen sprechen und in der europäischen Datenbank für Arzneimittelnebenwirkungen Ende August sogar rund eine Million „serious cases“ gelistet sind. Was die gute Frau offensichtlich nicht weiß: Zahlreiche Berichte deuten nichtsdestotrotz auf massive Untererfassungen in mehreren Ländern hin, und bei uns übertreffen allein die per SafeVac-App von knapp 700.000 Teilnehmern berichteten schweren Nebenwirkungen die offiziellen Meldungen des PEI um das 17-fache. Davon unbeirrt setzt Buyx ihren Weg auf den Olymp der Ahnungslosigkeit konsequent mit einem weiteren Ausflug in die Elbstadt fort: „Hamburg hat ja gerade sehr schön ausgewiesen, dass Geimpfte zwar ab und zu noch positiv werden können, aber deutlich weniger selbst sich anstecken und auch das Virus weitergeben. Also die Inzidenz in Hamburg ist ja 23-mal niedriger bei den Geimpften, als bei den Nicht-Geimpften.“ Wahrscheinlich hatte Frau Doktor mit Inzidenzen bisher nicht allzu viel am Hut, ansonsten wäre ihr der Fehler in der Pressemitteilung zwei Tage zuvor aufgefallen, in der man die Zahlen für beide Gruppen auf ein und dieselbe Grundgesamtheit bezogen hatte.

Der grundsätzliche mathematische Fehlschluss eines solchen Vergleichs liegt übrigens im höchst unterschiedlichen Testaufkommen beider Gruppen, weil eben nur Ungeimpfte sich noch regelmäßig testen lassen müssen, aber das nur nebenbei. Ironischerweise entlarvt knapp zwei Stunden nach dem NDR-Interview ein Artikel auf Spiegel Online diese stümperhafte Ausrufung einer „Pandemie der Ungeimpften“, und auch Karl Lauterbach korrigiert seinen eigenen Tweet vom Vortag mit bemerkenswerter Klarheit – passiert dem studierten Epidemiologen schließlich nicht zum ersten Mal. Indes fällt mir während des Verfassens dieser Zeilen mit einem gewissen Erstaunen auf, dass besagter Spiegel-Artikel bereits einen Tag vor seinem Erscheinungsdatum in meinem Telegram-Kanal erwähnt wird – da hätte Frau Buyx also noch rechtzeitig reinschauen können.

Die Bratwurst muss knackiger werden

Bei aller Vertretbarkeit eines maßvollen Ausschlusses Ungeimpfter wünscht sich die Vorsitzende des Ethikrates natürlich trotzdem, dass man einen so „starken negativen Anreiz“ gar nicht braucht. Stattdessen plädiert sie auf die Frage nach überzeugenden, niedrigschwelligen Impfangeboten vielmehr für „die berühmte Bratwurst, dass man den Leuten sozusagen die Impfung auf einem Silberteller präsentiert in der Einkaufszone“.

Insbesondere Berlin beweist hier mit der Impfung im fahrenden S-Bahnzug oder zu wummernden Bässen außerordentlichen Erfindungsreichtum. Die im Grunde hochbrisante Frage, wie man unter diesen Umständen die Einhaltung zweier zentraler medizinethischer Grundprinzipien – der Autonomie und der Schadensvermeidung – sicherstellen will, wird leider wieder nicht gestellt, und so langsam beschleicht einen das Gefühl, mit Ethik haben Alena Buyx‘ Äußerungen genauso wenig zu tun wie eine Kuh mit Eierlegen. Vielmehr mit völlig deplatzierten Vorurteilen: „Man weiß, viele von denen, die sich nicht impfen lassen, das sind keine harten Impfgegner, sondern die sind mehr so’n bisschen unwillig oder’n bisschen faul vielleicht auch oder haben doch auch noch Fragen, das kann man alles regeln mit solchen aufsuchenden Impfangeboten.“ Die Ergebnisse des COVIMO-Impfquotenmonitorings und des COSMO Snapshot Monitorings zugrunde legend, muss man Buyx‘ Äußerungen hier, wohlwollend formuliert, mindestens als weltfremd einstufen: Fast die Hälfte der derzeit Ungeimpften will sich auf keinen Fall impfen lassen, und im Vordergrund einer eher zögerlichen Haltung stehen vor allem der Zweifel an der Impfung als Mittel zur Rückkehr in den Alltag und Sicherheitsbedenken bezüglich der Inhaltsstoffe und Nebenwirkungen. Ich bin gespannt, wie Frau Buyx so etwas bei einer gemeinsamen Bratwurst aus der Welt zu schaffen gedenkt, insbesondere da die drastische Diskrepanz zwischen vorgegaukelter und tatsächlicher Impfwirkung immer deutlicher zutage tritt. Notfalls also doch Plan B: „Wenn die Situation wirklich so schlecht wird, dass doch wieder auch viele Aufnahmen in die Krankenhäuser stattfinden, dass man sagt, also ihr Lieben, vielleicht reicht das mit der Bratwurst nicht, und wir müssen doch noch ein bisschen knackiger vorangehen.“ Wie darf ich mir das dann vorstellen – ein Lapdance bei der Berliner Langen Nacht des Impfens? Mit Lauterbach als Türsteher?

So’n Virus interessiert sich nicht für Freiheit

Auf die abschließende Frage des Moderators, ob sich durch die Pandemie die Sicht in der Gesellschaft auf die individuelle Freiheit verändert hat, antwortet Alena Buyx mit einer für den kritischen Geist nur schwer auszuhaltenden Widersprüchlichkeit und Naivität: „Also was man, glaube ich, sehr stark feststellen kann, ist, dass sehr vielen Menschen klar geworden ist, […] dass man nicht ganz alleine ist, sondern dass man sozusagen voneinander abhängig ist – was der andere macht, betrifft mich auch. Da kann ich fünfzehnmal sagen ‘Meine Freiheit steht ganz oben‘, aber das interessiert so’n Virus nicht.“ Folglich können neben all den XXL-Klopapier-Hortern die Politiker reicher Nationen nicht wirklich zu diesem erlesenen „Kreis der Erwachten“ gehören, denn obwohl bereits die WHO vor einer großen Ungerechtigkeit in Bezug auf die Impfstoffverteilung warnt, sichert man sich hierzulande schonmal die dritte Dosis und lässt die Drittweltländer im Dreck sitzen – und das angesichts einer (globalen!) Pandemie.

Naja, Hauptsache man kann da in Zukunft noch geimpft Urlaub machen… Mit ihren ausleitenden Worten macht Buyx jedoch klar, dass solche größeren Zusammenhänge bei ihr leider hinter einem vollendet zynischen Menschenbild verschwinden: „Und für manche ist das (der Gedanke an gegenseitige Abhängigkeit) total verstörend, die steigen dann aus und sagen ‚Ich will das alles überhaupt nicht wissen, das gibt’s nicht, das stimmt nicht‘, weil sie das so verstört, sich damit auseinanderzusetzen.“ Das darf man sich ruhig einen Moment im Frontallappen zergehen lassen: Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates hält Menschen, die das vor Widersprüchen nur so strotzende Narrativ der ausschließlich durch Massenimpfung beherrschbaren, beispiellosen und allgegenwärtigen Gesundheitsgefährdung nicht kritiklos hinnehmen wollen, offensichtlich für pathologische Sozialphobiker. Und natürlich wird auch diese Unverschämtheit vom pflichtbeitragsfinanzierten NDR-Moderator keine Sekunde lang hinterfragt, denn zum Glück gibt es ja da noch die ethisch-moralischen Lichtgestalten am Ende des Pandemie-Tunnels: „Und wir haben ja insgesamt einen ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung, der super alles mitgemacht hat, der sich hat sehr rasch impfen lassen und auch immer noch willig ist, da jetzt weiter mitzumachen. Also ich bin eigentlich ganz optimistisch, wie sich unser Freiheitsverständnis verändert hat.“

Mich beschleicht das ungute Gefühl, die Buyxe der Pandora wurde gerade weit aufgemacht.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Aaron Clark lebt in Berlin, schreibt unter Pseudonym und ist seit 2020 begeisterter Leser von reitschuster.de. (Das ist kein Eigenlob, genau diese Worte hat er mir als Autorenzeile übermittelt).
Bild: Shutterstock
Text: Gast

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