Im Geist der DDR: Sanfter Druck, auf Demos zu gehen Methoden aus der Giftkammer der Geschichte

In der Sowjetunion gab es den ironischen Begriff der „unfreiwilligen Freiwilligkeit“. Darunter fiel etwa die Teilnahme an Demonstrationen, die von der herrschenden Kommunistischen Partei organisiert wurden. Formell war die Teilnahme freiwillig. Aber wer nicht teilnahm, der musste mit erheblichen Nachteilen rechnen. Mehrere Hinweise bzw. Briefe von Lesern nähren den Verdacht, dass auch im „besten Deutschland aller Zeiten“ auf diese „unfreiwillige Freiwilligkeit“ gesetzt wird. Es gibt keine Hinweise darauf, dass jemand zu den Demonstrationen gezwungen wird. Aber Verdachtsmomente dafür, dass sozialer Druck ausgeübt wird. Oder umgekehrt Vorteile für eine Teilnahme versprochen wurden. Hier nur einige Beispiele aus der Leserpost:

Das Jobcenter Düsseldorf schickte an seine Mitarbeiter eine Mail mit dem Betreff „Für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“, in dem es unter anderem heißt: „Die Risse im gesellschaftlichen Miteinander werden deutlicher, rechtsextreme Strömungen nutzen das für ihre Zwecke und werden stärker. Unsere Haltung muss diese Risse kitten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.“

Und weiter: „Wir müssen antidemokratischen Gruppierungen und Äußerungen gemeinsam entschlossen entgegentreten. Es ist dringend an der Zeit, unsere Stimme zu erheben. Für Demokratie und für Rechtsstaatlichkeit. Rechtsradikalem Gedankengut, Hass und Hetze geben wir kein Forum. An diesem Samstag, am 27. Januar, wird in Düsseldorf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert… Lassen Sie uns gemeinsam zeigen, wie wir in Düsseldorf zusammenhalten und zusammenstehen. Lassen Sie uns ein Zeichen setzen, wie stark und entschlossen Düsseldorf ist. In der Düsseldorfer Verwaltung, auf Düsseldorfer Straßen und Plätzen ist kein Platz für Rechtsextremismus.“

Da die Demonstrationen offen gegen die Opposition gehen, die als rechtsextrem diffamiert wird, handelt es sich hier um einen eklatanten Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Faktisch werden die Mitarbeiter unter Druck gesetzt – denn jeder, der dem Appell nicht folgt, muss zumindest Angst haben, dass sich dies negativ auf seine Karriere auswirkt.

Auch weitere Arbeitnehmer schickten mir Briefe von ihren Chefs, in denen sie zur Teilnahme an den Demos aufgefordert werden. Wer dann nicht komme, müsse damit rechnen, schief angeschaut oder gar benachteiligt zu werden, so ihre Angst.

Auch Vereine üben indirekt Druck aus. So liegt uns die Rundmail eines Knabenchors vor, in dem die Mitglieder zur Teilnahme an den Demos aufgefordert werden. Als die Leserin den Verein aufforderte, ihr keine politischen Nachrichten mehr zu senden, kam trotzig die Antwort, solche Nachrichten seien notwendig.

Ähnlich erfolgt die Agitation und Beeinflussung auch an Schulen. Hier zwei Beispiele aus der Leserpost:

Das Gymnasium an der Karthaus in Koblenz bot Schülern an, sie für die Demos zu beurlauben. In einer Nachricht hieß es: „Am Samstag um 11 Uhr findet auf dem Münzplatz in Koblenz eine Demo gegen Rechtsradikalismus statt. Solltet Ihr daran teilnehmen wollen, unterstützen wir als Schulgemeinschaft dies. Um dementsprechend ab 10.30 Uhr am Samstag beurlaubt zu werden, benötigen wir daher bis spätestens MORGEN (Freitag, 19.01.24, 10 Uhr) eine schriftliche Bitte um Beurlaubung seitens Eurer Eltern bzw. bei Volljährigkeit von Euch selbst. Richtet die schriftliche Bitte um Beurlaubung bitte an das Sekretariat.“

Auch hier ist offensichtlich: Wer nicht mitmacht, kann Gefahr laufen, sich „verdächtig“ zu machen. Und umgekehrt kann jeder, der sich für die Demo meldet, darauf hoffen, einen Sympathiepunkt zu gewinnen. Ganz abgesehen davon, dass Schüler natürlich gerne eine Abwechslung vom Unterricht wahrnehmen – so war das jedenfalls bei mir.

Das Inda-Gymnasium in Aachen fordert ebenfalls seine Schüler auf, gegen die Opposition auf die Straße zu gehen. Hier wird sogar – wie oft in diesen Tagen – der Holocaust instrumentalisiert.

In einem Schreiben an die „Schulgemeinschaft“ heißt es:

„Am 27.01. gedenken wir der Opfer des Holocausts. Millionen Menschen wurden von den Nationalsozialisten ihrer Menschenwürde beraubt und ermordet. Doch heute darf es nicht nur bei einer Schweigeminute bleiben. Auch in unserer Zeit erstarken die rechtsextremen Kräfte und planen die millionenfache Deportation von Menschen, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen oder ihnen offen widersprechen. Heute dürfen wir nicht schweigen. Viele tausend Menschen haben sich in den letzten Tagen auf Demonstrationen zusammengefunden, um zu zeigen, dass wir nicht wollen, dass sich die Verbrechen von damals wiederholen.

Am 27.01.2024, um 13.00 Uhr findet am Aachener Hauptbahnhof eine Kundgebung statt. Organisiert wird diese Veranstaltung von der Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen in Zusammenarbeit mit vielen Vereinen und Verbänden aus Aachen.

Wir, das Inda-Gymnasium, werden an dieser Demo teilnehmen. Alle SchülerInnen, alle MitarbeiterInnen, alle KollegInnen, ihre Familien und Freunde sind herzlich eingeladen, als Schulgemeinschaft friedlich an der Demonstration teilzunehmen.

Wir zeigen gemeinsam als Schule, dass wir die demokratiefeindlichen Pläne nicht schweigend hinnehmen. Wir setzen gemeinsam ein Zeichen gegen Rechts! Eine Aktion des Inda-Gymnasiums.“

Wer ein autoritäres oder totalitäres Regime erlebt hat, fühlt sich bei all solchen Vorgängen an die Mechanismen dort erinnert – denn dass Menschen für die Regierung auf die Straße gehen, ist für solche Systeme typisch, für demokratische Länder indes äußert ungewöhnlich. Weil in West-Deutschland aber kaum noch jemand solche persönlichen Erfahrungen hat und diese auch oft in den Familien nicht durch Überlieferung ausreichend weitergegeben wurden, fallen die Parallelen und die Problematik eines Demonstrierens für die Regierung mit sanftem, indirektem Druck bzw. Schaffen von Anreizen niemandem auf.

 

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