Von Kai Rebmann
Auf Patienten, die unter Atemwegserkrankungen wie Asthma oder chronisch obstruktive Bronchitis (COPD) leiden, könnten schon bald einschneidende Änderungen zukommen. Zur Behandlung stehen bisher entweder treibgasbetriebene Dosieraerosole (DA) oder Pulverinhalatoren (dry powder inhaler, DPI) zur Verfügung.
Eine EU-Verordnung sieht ab dem Jahr 2025 eine Begrenzung der Herstellung der erstgenannten Methode vor. Dabei handelt es sich um einen Schritt auf dem Weg hin zur Klimaneutralität im Gesundheitssektor und einen Beitrag zur „Planetary Health“. Anstatt wie bisher soll also nicht mehr (allein) die Gesundheit des Menschen im Vordergrund stehen, sondern immer mehr die des Planeten.
Problem: Dosierearosole besitzen laut Einschätzung von Medizinern nicht nur eine ganze Reihe von Vorteilen gegenüber den Pulverinhalatoren, sondern sind für bestimmte Patientengruppen praktisch unverzichtbar und damit lebenswichtig. Deshalb richteten sich im Oktober 2022 mehrere Fachgesellschaften mit einem dringenden Appell an die EU und warben für eine Ausnahmeregelung bis mindestens 2030. In dem Schreiben heißt es unter anderem:
„Patienten, die unter Asthma oder der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) leiden, werden entsprechend aller Leitlinien […] bevorzugt mit inhalativen Medikamenten behandelt. Diese haben eine schnellere und stärkere Wirkung, geringere Nebenwirkungen und können in niedrigeren Dosen verabreicht werden.“ In der Folge werden verschiedene Systeme genannt, insbesondere die beiden eingangs erwähnten.
Weiter steht in dem Appell: „In der Anwendung hat jedes dieser Systeme Vor- und Nachteile. Nicht jedes Medikament steht in jedem beliebigen Inhalationssystem zur Verfügung. Nicht jeder Patient kann jedes System benutzen. Insbesondere ältere Patienten mit stark beeinträchtigter Lungenfunktion sind auf treibgasbetriebene Dosieraerosole angewiesen. Häufig gibt es bei solchen Patienten keine Alternative hierzu.“
Die Fachgesellschaften werden aber noch deutlicher: „Die klinischen Besonderheiten müssen bei jedem einzelnen Patienten berücksichtigt werden. Bereits geringe Bedienungsfehler in der Inhalationstechnik beeinträchtigen oder heben die Deposition des Medikamentes in der Lunge auf. […]
Auch für die Inhalationstherapie im Notfall (z.B. mit Salbutamol) sind treibgasbetriebene Dosieraerosole derzeit in den allermeisten Fällen nicht zu ersetzen. Eine Begrenzung der Herstellung treibgasbetriebener Dosieraerosole ab 2025 würde einen Teil unserer Patienten, darunter die am schwersten Erkrankten, z.B. auch die beatmeten Patienten, ohne jede Therapiealternative lassen.“
Im Klartext: Für nicht wenige Patientengruppen gibt es derzeit keine Alternative zu Dosieraerosole, sprich treibgasbetriebenen Dosieraerosolen. Zu den Unterzeichnern des Schreibens gehört auch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG), namentlich vertreten unter anderem durch Dr. Christian Grah und PD Dr. Stephan Walterspacher von der DGP-internen „Taskforce Klimawandel und Gesundheit“.
Und siehe da, dieselben Namen tauchen in der im Januar 2024 veröffentlichten Leitlinie „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“ auf. Wer nun aber glaubt, in dem Dokument würde ganz ähnlich argumentiert wie in dem noch ein gutes Jahr zuvor an die EU-Kommission in Brüssel gerichteten Appell, der sieht sich eines Besseren belehrt.
Zwar wird noch betont, dass Pulverinhalatoren „wegen des notwendigen forcierten Inspirationsmanövers“ für Kinder unter 5 Jahren nicht empfohlen werden, aber: „Davon abgesehen, ist eine Umstellung auf klimafreundlichere DPI für viele Betroffene gut möglich.“ Dies führe zu einer „substanziellen Verringerung Treibhausgasausstoßes ohne Nachteile in Bezug auf die Asthmakontrolle, nach systematischen Reviews bestehen keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen DA und anderen inhalativen Arzneimitteln.“
Das hörte sich in der Stellungnahme zur geplanten EU-Verordnung freilich noch ganz anders an. Unter dem Strich kamen die Unterzeichner zu Empfehlungen wie diesen:
„Bei Jugendlichen über 12 Jahren und Erwachsenen mit einer obstruktiven Lungenerkrankung soll eine klimabewusste inhalative Therapie (vorzugsweise mit einem DPI) erfolgen. In der Regel gilt dies auch für den bedarfsweisen Einsatz.“
„Bei der Verordnung eines DA soll möglichst ein Präparat mit einem Zählwerk verordnet werden.“
„Kinder und Jugendliche und deren Sorgeberechtigten bzw. Bezugspersonen sollen über die Hintergründe der klimabewussten Verordnung informiert werden.“
Etwas überspitzt, aber im Klartext formuliert, heißt das: Schon Kindern und deren Eltern soll ins Gewissen geredet werden, wenn sie sich aus ganz praktischen Überlegungen heraus für ein DA, also ein treibgasbetriebenes Dosieraerosol entscheiden. Eine Leserin merkt dazu und insbesondere in Bezug auf die DGP und die Doppelrolle der beiden Fachmediziner Grah und Walterspacher in einer E-Mail an:
„Erst scheinbar kritisch an die EU appellieren und dann vorauseilend eine deutsche Leitlinie passend zu der EU-Verordnung schreiben. Das ist schon dreist. Und die anderen Fachgesellschaften, die in der scheinbar kritischen Stellungnahme an die EU appelliert haben, haben es offensichtlich zugelassen, dass die deutsche Leitlinie ‚Klimabewusste Verordnung von Inhalativa‘ erstellt wird.
Das Problem ist daher nicht nur die EU. Das Problem sind auch medizinische Fachgesellschaften, denen es nicht mehr um menschliche Gesundheit, sondern um die ‚planetarische Gesundheit‘ (‚Planetary Health‘) geht. Die Fachgesellschaften haben entsprechende Arbeitsgruppen, auf den Jahreskongressen gibt es entsprechende Vorträge und auch sonst geht es nicht mehr bloß um Patienten und Human-Medizin, sondern um Politik und Ideologie.“
Die oben bereits erwähnte „Taskforce Klimawandel und Gesundheit“ bei der DGP ist dabei nur eines von sehr vielen Beispielen. So informiert etwa auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM): „Als wissenschaftliche Fachgesellschaft fühlt sich die DEGAM dem Thema in besonderer Weise verpflichtet. Deshalb wurde 2022 eine neue Sektion Klimawandel und Gesundheit gegründet, um Klimathemen insbesondere auch in der Aus- und Fortbildung zu verankern. […] Auch in der DEGAM selbst wird eine Klima-Neutralität angestrebt.“
Mit dem politisch und medial allgegenwärtigen Klimawandel ist der außerfachliche Aktionismus der medizinischen Fachgesellschaften aber längst nicht erschöpft, wobei die Übergänge oft auch sehr fließend sind. In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) gegen autoritäre Bestrebungen mit der Überschrift „Forschung braucht Freiheit, Medizin braucht Unabhängigkeit!“ vom 21. Februar 2024 liest sich das dann so:
„Wir fühlen uns besonders dazu aufgerufen, weil wir als medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für eine freie und nur der Würde des Menschen und der Wissenschaft verpflichtete Medizin eintreten. […] Eine ‚gleichgeschaltete‘ und politischen Zielen unterworfene Medizin ist nicht mehr dem Individuum und nicht mehr der Wissenschaft verpflichtet und daher zutiefst unethisch.“
Anscheinend ohne es zu merken, widersprechen sich die Fachgesellschaften mit derartigen Stellungnahmen selbst. Wer einerseits nach „Planetary Health“ ruft, sich also für die Gesundheit des Planeten einsetzen will, sich andererseits angeblich aber „dem Individuum“ und „nur der Würde des Menschen“ – ausdrücklich im Sinne von „ausschließlich“ – verpflichtet sehen will, der gleicht dem Mann, der ins Wasser gehen, dabei aber nicht nass werden wollte.
Es kommt aber noch dicker. Und spätestens bei den folgenden Zeilen muss die Frage gestattet sein, ob den insgesamt 11 Unterzeichnern der DGIM-Stellungnahme die darin enthaltenen Widersprüche wirklich nicht selbst auffallen oder ob die Leute schlicht für dumm verkauft werden sollen:
„Wir sind aufs Äußerste besorgt, dass in bestimmten aktuellen politischen Strömungen Wissenschaft verfemt und ihre Erkenntnisse geleugnet und infolge dieser Falschinformationen einzelne Wissenschaftler wegen ihres Eintretens für die Wissenschaft bedroht werden. Jüngste Ereignisse haben gezeigt, dass – wie auch in der Vergangenheit – radikale Parteigänger ihre politische Meinung über wissenschaftliche Erkenntnis setzen, also beispielsweise Corona und die Wirksamkeit einer Impfung leugnen oder den Klimawandel abstreiten.“
Wohlgemerkt: Den Konsens, der hier suggeriert werden soll, gab es bei keinem der genannten Themen und es gibt ihn bis heute nicht. Tatsächlich wurden eben die Wissenschaftler bedroht und mundtot gemacht, die Erkenntnisse vorgelegt haben, die nicht mit den Vorgaben des Mainstreams vereinbar waren, sei es nun bei der sogenannten Impfung, dem Klimawandel oder ähnlich umstrittenen Themen und Thesen.
Kaum ein Satz eignet sich als Fazit besser als die von der DGIM selbst getroffene Feststellung: „Eine ‚gleichgeschaltete‘ und politischen Zielen unterworfene Medizin ist nicht mehr dem Individuum und nicht mehr der Wissenschaft verpflichtet und daher zutiefst unethisch.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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