Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
Es sollte ein unbeschwertes Sommerfest werden für zwei Freundinnen, 16 und 17 Jahre alt, im August 2022. In einem Sportclub in Berlin-Zehlendorf. Doch es wurde für eines der Mädchen zu einem Alptraum, der bis heute andauert.
Damit sie sicher nach Hause kommen, so der Plan, sollte sie einen Uber bestellen, wenn sie die Party verlassen will. Ihre Mutter hatte dazu bei dem weltweiten Fahrdienstleister (9,5 Milliarden Fahrten im Jahr 2023 weltweit) ihre PayPal-Kontonummer hinterlegt. Sicher nach Hause – das war das Wichtigste.
Die Mädchen bestellten einen Wagen gegen 2.10 Uhr in dieser Nacht.
Der Fahrer (43) holte die beiden Teenager in seinem Toyota Prius um 2.24 Uhr ab. Der Mann am Steuer arbeitete seit eineinhalb Jahren für Uber. Eines der Mädchen stieg nach ein paar Minuten am Haus ihrer Eltern aus, die andere wollte weiter zu ihrem Elternhaus in Teltow (Brandenburg). Auf der Fahrt fragte sie der Fahrer, ob sie einen Freund habe, was das Mädchen verneinte.
Ungefähr 100 Meter entfernt vom Haus ihrer Eltern stoppte der Fahrer und vergewaltigte die 16-Jährige auf der Rückbank des Autos. Danach gelang es dem Mädchen, sich zu befreien und ins Haus der Eltern zu entkommen. Ihre Schwester traf sie im Haus, und ihr fiel auf, dass irgendwas nicht stimmte. Als die Mutter dazukam, erzählte das weinende Mädchen, was passiert war. Und die Eltern verständigten die Polizei.
Am Sonntagmorgen um 10.20 Uhr verhafteten sechs Polizisten den Uber-Fahrer in seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Tegel. Ein türkischer Staatsbürger, der 2016 bereits abgeschoben worden war, dann aber ´einfach wieder einreisen konnte nach Deutschland.
Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ schrieb über den Fall, der Täter habe sich bei der Festnahme „verstörend reuelos“ gezeigt. Das Mädchen habe doch gesagt, dass sie keinen Freund habe. Dann sei das „auch keine Vergewaltigung“. Inzwischen sitzt der Mann im Gefängnis, verurteilt vom Amtsgericht Potsdam im Januar 2023 zu drei Jahren Haft.
Doch die Aufarbeitung dieses Verbrechens hat mit der Verurteilung – wann kommt man eigentlich wieder raus, wenn man zu drei Jahren verurteilt wurde und sich im Knast gut führt? – erst begonnen.
Das 16-jährige Opfer ist seit der Vergewaltigung durchgehend in traumatherapeutischer Behandlung. Sie leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTS), Depressionen und andauernden Schlafstörungen. Sie muss Antidepressiva mit erheblichen Nebenwirkungen nehmen. Sie hat Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund sogenannter „Flashbacks“. Ausgerechnet in diese Zeit fiel die Abiturprüfung.
Das Mädchen bekam als Einzige aus der Abschlussstufe kein Voll-, sondern nur das Fachabitur. Eine für die Oberstufe erteilte Ausnahmeregelung wird ohne weiteren Hinweis seitens der Schule im Abitur-Block, als der Druck für das Mädchen am höchsten ist, nicht mehr gewährt. Eine Begründung liefern weder Schulamt noch Ministerium.
Es fehlte ein Punkt. Ein Punkt.
Ein vielleicht entscheidender Punkt für das weitere Leben des Mädchens.
Hätte man bei fünf Fächern nicht einen Punkt finden können?
Die Eltern des Opfers sind mehr als enttäuscht von der Schulleitung des Gymnasiums und von der Schulbehörde in Brandenburg. Hat sich mal jemand erkundigt, ob sie der Tochter helfen, sie unterstützen können? Es kam nichts, außer dem absolut Notwendigen. Stattdessen wurde den Eltern das Gefühl gegeben, sie würden Geschenke erwarten. Ein unwürdiges Gefühl, so beschreiben sie das gegenüber uns.
Im Artikel 4, Absatz 2 der Verwaltungsvorschriften zur Leistungsbewertung in den Schulen des Landes Brandenburg heißt es u. a.:
„Die Lehrkraft ist verpflichtet, einen Schüler bei deutlicher Veränderung des Leistungstandards sowie im Falle einer zu erwartenden nicht ausreichenden abschließenden Leistungsbewertung rechtzeitig zu informieren und mit ihr oder ihm Möglichkeiten der Leistungsverbesserung zu beraten…“ (Wir haben an dieser Stelle das Zitat entgendert und ins Deutsche übersetzt).
Doch die Unterstützung des Mädchens seitens der Schulleitung und Lehrkräfte empfinden die Eltern als ungenügend, wie sie im Gespräch mit Kelle bekräftigen. Immer wieder hätten sie persönlich das Gespräch mit der Schule gesucht und E-Mails geschrieben, doch darauf sei gar nicht oder erst spät reagiert worden Selbst als der massive Leistungseinbruch entstand nach der Tat und sich abzeichnete, dass der Abschluss in Gefahr war.
Es hätte viele Möglichkeiten seitens der Schule gegeben, die Situation des Opfers und ihrer Familie zu verbessern.
Und es gibt viele ungeklärte Fragen in Bezug auf die Erstvernehmung bei der Polizei in Potsdam, die Erstuntersuchung des vergewaltigten Mädchens im Krankenhaus, wo nur ein männlicher Arzt zur Verfügung stand. Es ist zum tausendsten Mal zu fragen, warum abgeschobene Wirtschaftsmigranten einfach so wieder nach Deutschland einreisen können. Und an erster Stelle ist im Interesse des Opfers nach der Verantwortung von Uber zu fragen.
3824 sexuelle Übergriffe von Uber-Fahrern wurden in den Jahren 2019 und 2020 vom Unternehmen selbst nur allein in den USA gemeldet. In den beiden Jahren davor waren es 5981. In Wien und Zürich wurden Uber-Fahrer wegen Vergewaltigung rechtskräftig verurteilt. Auch in Deutschland gab es weitere Fälle dieser Art, etwa 2019, als eine 19-Jährige in Hessen auf dem Parkplatz eines Supermarktes von einem Uber-Fahrer vergewaltigt wurde. Er bekam drei Jahre und zehn Monaten Haft damals, der Täter legte Revision ein.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für viel gelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf seinem neuen Portal kelle-aktuell.de erschienen.
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