Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Nun ist es am Tage: Alice Weidels Großvater war ein Nazi. Die „Welt am Sonntag“ hat Archive durchstöbert und Unterlagen ausgewertet, um uns nun mitzuteilen, dass Hans Weidel in der Nazi-Diktatur „eine einflussreiche Figur“ war, wie die „Bild“-Zeitung berichtet, nicht ohne stolz darauf hinzuweisen, dass „Welt am Sonntag“ und „Bild“ beide zum Hause Springer gehören. Andere Blätter wie Spiegel, Focus oder auch der Merkur haben diese Neuigkeit dankend aufgenommen und schreiben die ursprünglichen Berichte ab – man will ja bei der Nazi-Entlarvung dabei sein.
Der tatsächliche Inhalt der Enthüllungen ist schnell erzählt. Hans Weidel war Mitglied in der NSDAP und der SS, „gehörte insgesamt nicht weniger als zehn verschiedenen NS-Organisationen an“ und war ab Juli 1941 Heeresrichter in Warschau, wo er 1944 zu allem Übel auch noch befördert wurde. Nach dem Krieg wurden drei Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, die allerdings ergebnislos verliefen. Über diese Fakten muss man nicht diskutieren, selbst bei der „Welt am Sonntag“ gehe ich davon aus, dass die sogenannten Investigativjournalisten einigermaßen des Lesens kundig sind.
Bei „Bild“ legt man aber großen Wert darauf, gleich nach diesen spektakulären Enthüllungen einen Stammbaum von Alice Weidel abzubilden, in dem neben den Daten ihrer beiden Großeltern väterlicherseits ein Hakenkreuz zu sehen ist, während man sowohl ihren Vater als auch sie selbst mit einem AfD-Symbol verziert hat. Die Intention ist klar: Von der NSDAP kommt man zwangsläufig zur AfD, es scheint in den Genen zu liegen. Und auch bei der Enkelin hat man nachgefragt: Sie behauptet, „von alledem nichts gewusst“ zu haben und ließ ihren Sprecher mitteilen: „Aufgrund familiärer Dissonanzen gab es weder Kontakt zum Großvater, der bereits im Jahr 1985 starb, noch war er Gesprächsthema in der Familie.“ Selbstverständlich muss anschließend noch erwähnt werden, sie lehne den Vorwurf, die AfD „würde die NS-Zeit weitgehend ausblenden und verharmlosen“, ab, wobei sich nicht unmittelbar erschließt, was das mit der Biographie ihres Großvaters zu tun hat, für die sie nichts kann.
Hans Weidel, der ehemalige Heeresrichter mit NSDAP-Mitgliedschaft, ist 1985 gestorben, da war seine Enkelin Alice Weidel noch keine sechs Jahre alt. Es ist nicht anzunehmen, dass er Gelegenheit hatte, ihre politischen Vorstellungen zu prägen. Hätten die Investigativjournalisten nachgewiesen, dass es eben doch Kontakt zum Großvater gab, dass er häufiger Gesprächsthema in der Familie gewesen ist und dass sich Alice Weidel laut Zeugenaussagen begeistert über seine Vergangenheit geäußert habe – das wäre eine wirkliche Nachricht gewesen, denn in diesem Falle hätte Weidel das Publikum angelogen. Doch davon hören wir nichts. Wir erfahren nur, dass Alice Weidel die Enkelin eines überzeugten Nazis war und nach eigener Aussage nichts davon wusste. So geht investigativer Journalismus.
Die Wehrmachts-Akte von Waldemar Baerbock
Andere Politikerinnen wussten auch nichts oder wenig. Die Wehrmachts-Akte von Waldemar Baerbock, dessen Enkelin heute so tut, als wäre sie Außenministerin, „vermerkt, dass er ein glühender Anhänger der Nazis war. In der Akte heißt es über Oberst Kriegsoffizier Waldemar Baerbock, dass er „ein bedingungsloser Nationalsozialist“ gewesen sei,“ wie man Anfang des Jahres im Focus lesen konnte. Dass er Offizier war, hat seine Enkelin gewusst, seine Nazi-Ideale sind ihr wohl verborgen geblieben. „Die Dokumente waren der Außenministerin nicht bekannt.“ Das mag ja sein, aber „Baerbock hat sich in Büchern und Reden immer wieder positiv auf ihren Großvater bezogen,“ berichtete die „taz“. Und das, obwohl nach Auskunft des Focus „die Nazi-Vergangenheit von Waldemar Baerbock ein großes Thema innerhalb der Familie gewesen sein“ soll.
„Baerbocks Vater stritt sich mit Waldemar, weil dieser eben nicht offen über seine Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg sprechen wollte.“ Da muss die Enkelin sich wohl gerade auf dem Trampolin vergnügt haben, als die Diskussionen über die großväterliche „Nazi-Vergangenheit“ stattfanden. Ich sollte anmerken, dass Waldemar Baerbock 2016 im Alter von 103 Jahren gestorben ist, da war Annalena über 30 Jahre alt. Dass eine Fünfjährige nichts von der Nazi-Vergangenheit ihres Großvaters wusste, zumal er in der Familie gesprächsweise kaum vorkam, ist nicht überraschend. Dass man bis zum Alter von 30 Jahren trotz heftiger familiärer Diskussionen nichts mitbekam, allerdings schon.
Ob Weidel oder Baerbock etwas über die Vergangenheit ihrer jeweiligen Großväter wussten, ist jedoch in Wahrheit völlig gleichgültig. Es gibt keine Pflicht zur Ahnenforschung. Aber Weidel gehört zur AfD, Baerbock ist Grüne, und deshalb ist es den üblichen Medien eine besondere Freude, Weidel etwas ans Zeug zu flicken, während es im Falle Baerbocks hieß, in fast jeder deutschen Familie habe man „einen Opa, der Mitläufer oder Täter war“.
„Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher,“ schrieb George Orwell in seinem Buch „Farm der Tiere“. Die deutsche Presse hat einiges von Orwell gelernt.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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