Kinderbuchautor als Retter der Nation? Wenn leere Worte Helden machen Habecks tiefsinnige Enthüllungen

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Zuerst hielt ich es für Satire, für eine Persiflage auf leeres und sinnloses Gerede. Leider habe ich mich geirrt, denn in Wahrheit scheint es sich um einen eher schweren Fall von Heldenverehrung zu handeln, und der Held ist – wie sollte es anders sein – Robert Habeck, der Minister für Deindustrialisierung und Klimahysterie.

Bei dem Verehrer handelt es sich um Johannes Wagner, seit 2021 im Auftrag der grünen Partei, die manche noch für eine demokratische Partei halten, Mitglied des Deutschen Bundestages und dort vor allem tätig in der Gesundheitspolitik. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen verfügt er über ein abgeschlossenes Studium; er hat bis 2019 Medizin studiert und seit 2020 als Kinderarzt in Weiterbildung gearbeitet, bis er dann 2021 diese Weiterbildung selbstlos unterbrach, um segensreich für uns alle im Bundestag zu wirken. Seine Kompetenz hat er schon mehr als einmal unter Beweis gestellt, indem er beispielsweise im Januar 2022 im Hinblick auf die sichere und wirksame Covid-Impfung erklärte: „Da die bisherige Impfkampagne leider eine ausreichende Impfquote nicht erreicht hat, halte ich eine allgemeine Impfpflicht für unausweichlich.“ Und erst im November 2023 erläuterte er, wie segensreich doch das Pandemieabkommen der WHO sei und kam zu dem Schluss: „Der Zusammenhang von Klima und Gesundheit sowie Umwelt und Gesundheit muss auf allen Ebenen Beachtung finden. Der beste Gesundheitsschutz – und das schließt den Schutz vor Pandemien wie Corona ein – ist und bleibt der Klima- und Umweltschutz.“

Man kann sich daher im Groben seine Denkwege vorstellen. Wie sich sein Denken im Feineren bewegt, hat er kürzlich zum Besten gegeben. Am 9. November 2024 feierte er bei X – wie alle anderen gebe ich zur Kenntnis, dass X früher Twitter hieß – seinen Minister Robert Habeck, und da man nicht sicher sein kann, ob ein Post eines grünen Abgeordneten auch genügend Leser außerhalb der Blase illusionärer Totalitaristen erreicht, hat der Kolumnist Michael Klonovsky dankenswerter Weise auf Wagners Hervorbringung hingewiesen. Einen Videoauftritt Habecks kommentierte Wagner mit den von tiefer innerer Bewegung zeugenden Worten: „Zeige mir einen anderen Politiker mit so einer Analyse. Nur einen! Robert Habeck kann dieses Land zusammenführen und nach vorne bringen. Ohne Egoismen, sondern für die Sache! Von hier ab anders!“

Es muss sich wohl bei Habecks Äußerung um eine besonders tiefsinnige Erörterung gehandelt haben und Wagner scheut sich nicht, in seinem Post sofort das entsprechende Video Habecks zu zeigen, das man aber auch bei dem eloquenten Minister selbst findet. Werfen wir also einen Blick auf die glänzende Analyse des Kinderbuchautors, die nach Wagners Auffassung kein anderer hätte erstellen können.

„Ich glaube,“ so beginnt er, „dass der Bruch der Ampel oder der Verlust der Mehrheit der Ampel eine viel tiefergehende Herausforderung für unsere Parteiendemokratie darstellt als ‚Oh, da ist eine Mehrheit weg, juhu, jetzt machen wir Neuwahlen, dann finden wir eine andere Mehrheit!’ “ Selbstverständlich: Wenn man eine Mehrheit verliert und dann zähneknirschend Neuwahlen in die Wege leiten muss, weil die lästige Demokratie eben Mehrheiten verlangt, dann ist das eine ganz besonders tiefgehende Herausforderung, sofern man damit rechnen muss, bei diesen Neuwahlen Stimmen und damit Bundestagsmandate zu verlieren. Doch Habeck begründet seine Auffassung: „Denn eine Mehrheit hatten wir ja und auch nach einer nächsten Wahl werden unterschiedliche Koalitionspartner zusammenkommen müssen.“ Darin liegt also die besondere Herausforderung: Es gab schon eine Mehrheit – die haben sie aber nicht mehr und es soll schon früher vorgekommen sein, dass man einstmalige Mehrheiten verliert – und Koalitionen wird man auch beim nächsten Mal brauchen. Man steht voller Bewunderung vor der Kraft dieser Analyse, die nur besagt, dass man wohl wieder eine Koalitionsregierung wird bilden müssen; das wäre nicht allzu ungewöhnlich. Oder hat Habeck hier etwa für eine absolute Mehrheit der Unionsparteien plädiert, damit man sich nicht mehr mit lästigen Koalitionen plagen muss? In jedem Fall fährt er fort: „Wir müssen also erst einmal den Raum des Politischen wiedereröffnen, zuhören, verstehen, miteinander reden,“ was zu der Frage führen sollte, wieso denn der Raum des Politischen bisher wohl verschlossen war und wer den Schlüssel versteckt hat. Sollte es vielleicht die grünrote Borniertheit gewesen sein, die nicht im Traum daran denkt, politischen Gegnern zuzuhören, sie zu verstehen oder gar mit ihnen zu reden? Doch am schönsten ist die Folge der Wiedereröffnung des politischen Raumes: „Und daraus wächst vielleicht etwas oder auch nicht.“ Wie wahr! Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist. Liegt der Bauer tot im Zimmer, lebt er nimmer. Auf diesem Niveau bewegt sich die von Wagner angekündigte Analyse. Wie auch immer der politische Raum wieder eröffnet werden sollte: dass daraus etwas folgt oder nicht, ist keine Analyse, sondern eine tautologische Banalität.

Tatsächlich ist der analytische Teil von Habecks Äußerungen damit auch schon beendet; was noch folgt, sind persönliche Bemerkungen, deren Ende Wagner in seinem Post als „sehr bewegend“ bezeichnet hat. Zu seiner Kanzlerkandidatur meint Habeck nun nämlich: „Ich habe gesagt, ich biete mich an mit meiner Erfahrung, mit dem, was ich kann, mit meiner Kraft.“ Über die Ausmaße seiner Kraft will ich nicht urteilen, doch seine Erfahrung ist die eines Wirtschaftsministers, der die Grundlagen des Wirtschaftens bis heute nicht verstanden hat und seine ganze Kraft darauf richtet, die deutsche Industrie in den Abgrund zu treiben. Er will sich mit dem anbieten, „was ich kann“? Was er kann, hat er gezeigt, und wer sich davon überzeugt fühlt, dürfte auch Kinderbücher für dokumentarische Literatur halten.

Und nun komme ich endlich zu seinen sehr bewegenden Schlussworten. „Was daraus wird, ist nicht an mir zu entscheiden. Das machen die Bürgerinnen und die Bürger und deswegen kann es auch sein, dass es natürlich nicht genug Zustimmung gibt, um ernsthaft diesen Kampf um die Eins zu führen, aber vielleicht ja doch. Das liegt an den Menschen jetzt.” Immerhin, Habeck hat bemerkt, dass nicht nur er wahlberechtigt ist und dass es vielleicht an Zustimmung fehlen könnte, „um ernsthaft diesen Kampf um die Eins zu führen“. Da kann ich ihn beruhigen. Selbst die FDP hat bei den letzten Landtagswahlen den Kampf um die Eins zweimal gewonnen: In Thüringen erzielte sie 1,1 Prozent der Stimmen, in Sachsen sogar 1,4 Prozent, sie hat also zweimal mindestens ein Prozent erreicht. Nur in Brandenburg wurde der Kampf um die Eins verloren, denn dort reichte es nur zu 0,83 Prozent. In diesem Kampf um die Eins dürfte selbst Habeck erfolgreich bleiben, auch eine grüne Partei mit ihm als Kanzlerkandidaten wird nicht unter ein Prozent fallen, so sehr ich das auch bedaure. Oder sollte er etwas anderes gemeint haben? Glaubt er ernsthaft, bei der vorgezogenen Bundestagswahl den ersten Platz erreichen zu können, nachdem er drei Jahre lang überdeutlich vorgeführt hat, was er kann und was er vor allem nicht kann? Ein treuherziger Blick und eine schwiegersohntaugliche Wuschelfrisur reichen da nicht ganz aus.

Ich darf es noch einmal erwähnen: Auf der Basis dieser Äußerungen meinte der Abgeordnete Wagner, man zeige ihm doch bitte einen einzigen anderen Politiker „mit so einer Analyse. Nur einen! Robert Habeck kann dieses Land zusammenführen und nach vorne bringen“. Vielleicht hat er da einen alten Witz missverstanden, der besagt, das Land stehe inzwischen am Abgrund, aber mit der neuen Führung werde man einen Schritt nach vorne gehen.

Das wäre mit Habeck sicher zu machen. Sonst nichts.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Heide Pinkall/Shutterstock

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