Özdemir ratlos: „Unding, dass wir im November nicht wissen, was im Januar ist“ Chaos um EU-Waldschutzgesetz

Von Kai Rebmann

Unternehmen in Deutschland und der EU müssen demnächst eine sogenannte Sorgfaltserklärung abgeben, die sicherstellen soll, dass für Herstellung und Verkauf ihrer Produkte nach dem 30. Dezember 2020 kein Wald mehr gerodet wurde. Verbrauchern droht deshalb eine Preisexplosion bei Kaffee, Schokolade oder Soja, die überwiegend aus Süd- und Mittelamerika stammen. Über die Hintergründe haben wir bereits im März dieses Jahres in diesem Artikel berichtet.

Nach massiven Protesten aus der Wirtschaft konnte sich das EU-Parlament in der vergangenen Woche zu einer Verschiebung des Inkrafttretens dieses Waldschutzgesetzes durchringen – eigentlich. Da die EVP-Fraktion unter maßgeblicher Beteiligung der CDU/CSU gleichzeitig aber weitreichende Änderungsanträge eingebracht hat, die von einer Mehrheit des Parlaments auch angenommen wurden, droht jetzt das vollständige Chaos.

Zur Stunde ist weder klar, wann genau das EU-Waldschutzgesetz in Kraft treten soll, noch in welcher Form bzw. mit welchen konkreten Inhalten. Können sich Parlament und EU-Staaten nicht innerhalb der nächsten Wochen auf einen tragfähigen Kompromiss einigen, tritt das Gesetz wie ursprünglich geplant Ende 2024 in Kraft und wäre damit für alle Unternehmen und ihre in der EU verkauften Produkte verbindlich.

Unternehmen drohen Strafen in Millionen-Höhe

Erster Ansprechpartner ist dabei Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne), der allem Anschein nach aber selbst nicht im Bilde ist. Das jüngste Treffen mit seinen Amtskollegen aus der EU in Brüssel brachte dabei offenbar auch keinen Erkenntnisgewinn, sodass Özdemir anschließend einräumen musste: „Das ist doch ein Unding, dass wir im November nicht wissen, was im Januar Fakt ist.“

Noch schlimmer ist diese Ahnungslosigkeit freilich für die Unternehmer in der EU. Denn bei Verstößen gegen das EU-Waldschutzgesetz drohen happige Bußgelder in Höhe von bis zu vier Prozent des in der EU erzielten Umsatzes. Blöd nur, wenn die Wirtschaft gar nicht weiß, aus welchen Regionen dieser Welt sie nach dem Willen der EU noch bedenkenlos Rohstoffe für ihre Produktion beziehen darf – eben, weil es Brüssel selbst nicht weiß.

Denn eines gilt im allgemeinen Politbetrieb als ungeschriebenes Gesetz, ob in Brüssel oder Berlin: Schuld sind immer die anderen! Und da bildet natürlich auch die jetzt angerichtete Verwirrung rund um den Waldschutz keine Ausnahme. Also konzentriert sich Özdemir lieber auf den politischen Gegner, anstatt mögliche Fehler bei sich zu suchen. Vernunft scheine bei der EVP „verpönt“ zu sein, moniert der Noch-Minister und will damit womöglich von eigenen Fehlern ablenken.

Özdemir und die Grünen hatten sich zwar noch mit einer Verschiebung des EU-Waldgesetzes einverstanden erklärt, was die eingangs beschriebenen Folgen für die Wirtschaft und nicht zuletzt die Verbraucher aber eben nur verschoben und nicht aufgehoben hätte. Die EVP wiederum wollte inhaltliche Änderungen durchsetzen und war mit diesem Ansinnen letztlich auch erfolgreich.

Wahlpanne überschattet Ergebnis der Abstimmung

Kernpunkt des Antrags war die Einführung einer Kategorie von sogenannten „Nicht-Risiko-Ländern“, für die das EU-Waldschutzgesetz nicht oder nur in deutlich abgespeckter Form gelten soll. Für Rohstoffe und Produkte aus diesen Regionen sollen dann weniger strenge Regelungen gelten. Kritiker, vor allem jene aus den Reihen der Grünen, sehen in diesem Passus eine Hintertür, um die strikten Vorgaben des ursprünglichen Entwurfs doch noch umgehen zu können.

Da passt es ins Bild, dass auch die Abstimmung an sich alles andere als reibungslos verlief und den demokratischen Grundregeln wohl kaum genügen dürfte. Mehrere Abgeordnete reklamierten „technische Probleme“ bei ihren Wahlmaschinen, die das Ergebnis womöglich beeinflusst haben könnten. Für eine Wiederholung der Abstimmung – die den Antrag ihrer eigenen Fraktion positiv beschied – sah EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (Malta, EVP) aber trotzdem keinen Anlass.

Ob des ganzen Schwarzer-Peter-Spiels kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Cem Özdemir und die Grünen eben dieses instrumentalisieren, um im gerade begonnen Wahlkampf zu punkten – und zwar im Endeffekt nicht auf Kosten der Union, sondern letztlich der Wirtschaft und Verbraucher.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: philip1234/Shutterstock

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