Am Wahlabend in Den Haag war der Ton nüchtern. Geert Wilders, der Gottseibeiuns von Hollands und Deutschlands Linken, erkannte an, dass seine „Partij voor de Vrijheid“ (PVV) hinter ihren Hoffnungen blieb. „Der Wähler hat gesprochen“, schrieb er auf X. Kein Brüllen, kein Trotz, kein Populisten-Theater, wie es ihm die Medien so gerne unterstellen. Wilders’ bedächtige Reaktion passt nicht zum deutschen Narrativ. Dort überschlugen sich die Schlagzeilen: Rückschlag für die Rechten, Brandmauer steht, Experiment gescheitert.
Nur hat dieser Rückschlag eine merkwürdige Form. Wilders steht heute nämlich stärker da als fast alle Jahre seiner politischen Karriere – abgesehen vom Rekordhoch der Wahl 2023. Damals 37 Sitze, jetzt 26. Vorher: deutlich weniger. Wer „verloren“ sagt, muss erklären, gegen welchen Maßstab. Gegen den historischen Normalwert sicher nicht.
Und dann Rob Jetten. Ein Name, den viele außerhalb der Niederlande bis vor wenigen Tagen nie gehört hatten. Nun steht er plötzlich im Rampenlicht: Die linksliberale D66, vergleichbar mit der FDP unter Lindner, mit 26 Sitzen, fast eine Verdreifachung gegenüber 2023. Ein politischer Kometenschweif. Oder wie Welt-Kolumnist Leon de Winter live im Studio von „Welt TV“ sagte: „Aus dem Nichts. Er ist ein Anzug. Das Resultat von wunderbarem Marketing.“ Keine große Karriere, wenig Lebenserfahrung, nie normal gearbeitet – aber das perfekte Produkt für eine kurzatmige Medien-Demokratie. Fahnen, Kampagne, Gefühl. Fertig ist der strahlende Sieger. Nach dem Vorbild von Macron in Frankreich – Wahlsieger aus der Retorte.
Wer hat Wilders also wirklich „geschlagen“? Nicht eine starke linke Bewegung, nicht eine progressive Welle. Sondern Marketing. Und die Implosion der Konkurrenz auf der Rechten – die NSC, die 2023 die Christdemokraten zertrümmert hatte, ist nun auf null Sitze gefallen. Ein Kartenhaus. Mehr Taktik als Trend.
Die deutsche Öffentlichkeit bekommt davon wenig mit. Sie liest vor allem: Rechts verliert. Europa atmet auf. Ende der Gefahr.
Das Problem: Es stimmt nicht.
D66 – ein Marketing-Meteor, nicht die Rückkehr der Linken
Nimmt man die Zahlen ernst, ergibt sich ein völlig anderes Bild als das mediale Wunschdenken. 26 Sitze für D66, 26 für die PVV, 22 für die liberal-konservative VVD, 18 für die Christdemokraten. Dazu mehrere kleinere Kräfte rechts der Mitte. In Summe um die 90 von 150 Sitzen. Eine klare Dominanz.
Die Linke hingegen?
Das rot-grüne Bündnis GroenLinks-PvdA: 20.
Andere linke Gruppen zusammengenommen: rund 27.
Das war’s.
Leon de Winter formulierte es drastisch: „Links hat aufgehört zu existieren in Holland.“ Nicht als Schwächephase, sondern als politischer Systemfehler. Die klassischen Sozialdemokraten – implodiert. Die frühere, selbst ernannte „moralische Achse“ – zerbröselt. Zurück bleibt ein Vakuum, das von PR-Liberalismus gefüllt wird. Jetten als Werbefigur eines progressiven Wohlgefühls ohne Tiefe.
Wilders hat verloren, heißt es. Die Wahrheit lautet: Die Linke ist am Boden zerstört.
Und jetzt der Satz, der in Deutschland weh tun wird: Wenn man diese Maßstäbe auf Berlin legt, leben wir längst im niederländischen Zustand. Union, AfD und die Reste der FDP sowie Kleinparteien wie die „Freien Wähler“ – rechnerisch kommen sie in Bundestag und vielen Landtagen auf konservativ-liberale Mehrheiten. Tatsächliche, nicht gefühlte.
Nur: In Deutschland hat sich ein kultureller Filter vor die Wahrnehmung geschoben. Man tut so, als gäbe es nur zwei Lager: die Guten und den Rest. Die Realität ist nüchterner: Die politische Mitte-Rechts-Mehrheit existiert längst – sie darf nur nicht gedacht werden.
In Den Haag steht das jetzt offen im Licht. In Berlin wird es wegmoderiert.
Wenn die Moral-Besessenen in Deutschland jetzt erleichtert seufzen und schreiben, die „Brandmauer“ stehe und die „Rechten“ seien gebändigt, dann verwechseln sie Dramaturgie mit Realität. Ein Wilders, der trotz Rückgang immer noch deutlich über seinem langjährigen Niveau steht, ist kein Sieg des Establishments. Er ist die neue Normalität.
Was in Holland sichtbar ist – die vollständige Verschiebung des politischen Gravitationszentrums – findet in Deutschland im Schatten statt. Hier spielen wir weiter „Brandmauer“, dort zählt man einfach Stimmen.
Die Ironie: Wo deutsche Leitmedien eine Rückeroberung der Mitte feiern wollen, zeigen die Zahlen eher eine andere Wahrheit. Die konservative Mehrheit ist nicht verschwunden – sie war nie weg. Sie darf nur nicht regieren.
Viel bemerkenswerter ist, dass eine ganze politische Tradition kollabiert ist – und dass das niemand sagen möchte. Vielleicht weil es nicht in die vertraute Erzählung passt: Rechte bedrohen Europa. Linke retten es. Nur steht man plötzlich da und merkt: Die vermeintliche „Rettung“ hat keine Wähler mehr. Und die Bedrohung wirkt erstaunlich alltäglich.
Die Niederlande erinnern uns: Politik ist kein Märchen von Licht und Dunkelheit. Manchmal ist sie ein simpler Wählerentscheid, der zeigt: die alte „Moral-Mär“, die Verteufelung des politischen Gegners als „Rechtspopulist“ trägt nicht mehr. Und wenn die Deutungsschablonen nicht mehr stimmen, fallen zuerst eben nicht diese angeblichen „Populisten“. Sondern die, die sich für unersetzlich hielten.
Wer also meint, Wilders’ Rückgang sei die Kernaussage, hat nicht hingesehen. Die eigentliche Nachricht lautet: Europa verändert sich. Und die Ränder werden nicht gefährlich, weil Rechte stärker werden. Sondern weil die Mitte verschwindet, die Linke implodiert und die Öffentlichkeit lieber von Dämonen spricht als von Ursachen, lieber auf Ketzerbekämpfung setzt als auf eine Politik, die unbequeme Entwicklungen angeht.
Holland zeigt es offen. Deutschland lebt es verdeckt.
Wilders ist nicht die Bedrohung, sondern die Antwort auf diese Bedrohung, die die Linke und die Mitte schuldig bleiben. Und Jetten ist kein politischer Neuanfang, sondern ein Zwischenschnitt, solange der Werbespot hält.
Wer heute erleichtert tut, weil der angebliche „Populist“ nicht triumphiert hat, übersieht das größere Bild: Wenn eine politische Seite lautlos verschwindet und die andere dafür nicht einmal kämpfen muss, verändert das Europa weit gründlicher als ein einzelner Sitz mehr oder weniger.
Die Niederlande schicken kein Beruhigungssignal für die Rot-Grünen.
Sie senden ein Störgeräusch in deren Kulturkrieg: Die alte politische Grammatik mit den Feindbildern und Schwarz-Weiß-Schemata funktioniert nicht mehr.
Wer es trotzdem nicht hören will, bekommt die Nachricht eben später. Lauter – und ohne Untertitel. Die Realität klingelt immer zweimal. Beim ersten Mal höflich. Beim zweiten ungeduldig.
PS: Ich bin kein Niederlande-Spezialist. Ich betrachte die Wahl aus deutscher Perspektive – als politisches Signal, nicht als Landesstudie. Irrtum vorbehalten, Diskussion erwünscht.
HELFEN SIE MIT –
DAMIT DIESE STIMME HÖRBAR BLEIBT!
Im Dezember 2019 ging meine Seite an den Start. Heute erreicht sie Millionen Leser im Monat – mit Themen, die andere lieber unter den Teppich kehren.
Mein Ziel:
Sie kritisch durch den Wahnsinn unserer Zeit zu lotsen.
Ideologiefrei, unabhängig, furchtlos.
Ohne Zwangsgebühren, ohne Steuergelder oder Abo‑Zwang. Ohne irgendjemanden zur Kasse zu bitten. Nur mit Herzblut – und mit Ihnen an meiner Seite. Jede Geste, ob groß oder klein, trägt mich weiter. Sie zeigt: Mein Engagement – mit all seinen Risiken und schlaflosen Nächten – ist nicht vergeblich.
Der direkteste Weg (ohne Abzüge) ist die Banküberweisung:
IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71.
Alternativ sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – allerdings werden dabei Gebühren fällig. Über diesen Link
Auch PayPal ist wieder möglich.
Nicht direkt – aber über Bande, dank Ko-fi:
Über diesen Link
(BITCOIN-Empfängerschlüssel: bc1qmdlseela8w4d7uykg0lsgm3pjpqk78fc4w0vlx)
Wenn Ihr Geld aktuell knapp ist – behalten Sie es bitte. Niemand muss zahlen, um kritisch informiert zu bleiben. Mir ist es wichtig, dass jeder hier mitlesen kann – ohne Ausnahme. Gleichzeitig bin ich umso dankbarer für jede Unterstützung, die keinen Verzicht abverlangt. Jede Geste, ob groß oder klein, ist für mich ein wertvolles Geschenk und trägt mich weiter.
Dafür: Ein großes Dankeschön– von ganzem Herzen!
Meine neuesten Videos und Livestreams
Heute Bolz – morgen Sie? Warum diese Hausdurchsuchung ein gezieltes Warnsignal an uns alle ist
Real-Satire pur: Von der Leyen lobt Freiheit – und vor ihren Augen nimmt Polizei Kritiker fest
EXKLUSIV: Staatsanwaltschaft leugnet Tod einer 17-Jährigen – Regierung muss Verfahren einräumen
Bild: Screenshot YoutubeBitte beachten Sie die aktualisierten Kommentar-Regeln – nachzulesen hier. Insbesondere bitte ich darum, sachlich und zum jeweiligen Thema zu schreiben, und die Kommentarfunktion nicht für Pöbeleien gegen die Kommentar-Regeln zu missbrauchen. Solche Kommentare müssen wir leider löschen – um die Kommentarfunktion für die 99,9 Prozent konstruktiven Kommentatoren offen zu halten.
Mehr zum Thema auf reitschuster.de





