Zwei Gürtel, ein Konzern – und die Kapitulation des Systems Wie zwei Billigartikel einen Weltkonzern lahmlegten – und was dahinter steckt


Manchmal zeigen nicht die großen Skandale den Zustand einer Zeit, sondern die kleinen Absurditäten. Zwei Gürtel, ein paar Vitamine, eine Waage – nichts, was die Welt aus den Angeln heben sollte. Und doch hing eine Bestellung fast einen Monat im digitalen Nirwana. „Bestellt“. „In Kürze“. „Noch nicht versandt.“ Ein Zustand wie eine schlecht erzählte Groteske.

Wer früher bei Amazon bestellte, wusste: Morgen kommt’s. Heute bekommt man stattdessen Vertröstungen, Textbausteine und Versprechen, die nur klingen wie Handeln, aber keins sind. „Ich habe soeben mit dem Zusteller gesprochen, das Paket kommt in drei Stunden“ – bemerkenswert, wenn das System gleichzeitig „nicht versandt“ anzeigt. Es war, als würde man mit zwei Realitäten telefonieren: der menschlichen und der algorithmischen. Nur dass keine von beiden stimmte.

Irgendwann kamen zwei Sätze, die mich gleichzeitig lachen und den Kopf schütteln ließen: „Keine Gedankend darueber. Das ist nun sysmatischer fehler und wird schnellstmoeglich im system korrieigiert.“ Man muss diese Sätze – die Rechtschreibung habe ich bewusst belassen und nicht korrigiert – nicht kommentieren. Sie kommentieren sich selbst. Und sie beschreiben mehr als diesen Vorgang. Sie beschreiben eine Epoche.

Kopp Vertreibung 2

Wenn Systeme anfangen, Realität zu simulieren

Die Hotline-Agenten waren freundlich, bemüht, manche fast rührend. Aber sie waren Zuschauer der eigenen Arbeit, nicht Akteure. Sie trösteten. Sie erstellten Tickets. Sie „verfolgten persönlich“. Sie telefonierten angeblich mit Zustellern, die angeblich gerade auf dem Weg waren – obwohl die Sendung noch nicht mal verschickt war. Wenigstens waren sie kreativ. Das war offenbar auch ihre einzige Chance. Denn was sollten sie tun – außer Textbausteine verschicken.

Einer versprach mir, er werde alles lösen und sich binnen 24 Stunden melden.

Nichts passierte.

Eine andere meinte, jetzt sei wirklich alles unterwegs, ich sehe es nur nicht im System.

Ich sah aber, dass kein Geld abgebucht war – und ohne Abbuchung kein Versand. Das ist die einzige Gewissheit, die man bei Amazon heute noch hat.

Das Versagen im Chat war nicht böse Absicht. Das Problem war ein System, das nicht mehr beherrscht wird, sondern herrscht. Es erzeugt Antworten wie eine Maschine Wärme erzeugt. Ohne Bezug zur Wirklichkeit. Es wiederholt statt zu lösen. Und wenn gar nichts mehr geht, wirft es den Kunden aus dem Chat wegen „Inaktivität“.

Nicht einmal der Humor ist mehr menschengemacht.

Und dann: Der Hebel, den niemand bedienen kann

Nach fast vier Wochen tat ich, was man als Journalist tun muss, wenn man über etwas schreiben will: Ich informierte die Pressestelle. Nicht als Drohgebärde, sondern als Fairness-Akt. Wenn man einen Fall öffentlich aufgreift, gibt man dem Betroffenen Gelegenheit, seine Sicht einzubringen. So gehört sich das. Und ja – ich weiß, dass viele Kunden diese Möglichkeit nicht haben. Vielleicht macht gerade das diese Episode so bezeichnend. Denn wenn ein Großkonzern erst reagiert, wenn jemand Öffentlichkeit herstellen könnte, ist das nicht Kundenfreundlichkeit. Das ist Reputationshygiene.

Die Presseabteilung meldete sich nicht direkt – aber sie schaltete nach vier Tagen jemand vom „Executive Customer Relations Team“. Immerhin. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. In dem freundlichen Brief eröffnete mir der Herr das Unglaubliche: Nicht Amazon hatte das Problem gelöst. Sondern ich selbst. Denn offenbar blockierten zwei billige Gürtel für unter zehn Euro die gesamte Bestellung. Ich hatte sie einen oder zwei Tage, bevor ich den Brief vom „Executive Customer Relations Team“ bekam, aus Intuition gelöscht, weil da stand, dass sie nicht lieferbar sind– und plötzlich lief das System weiter.

Der Executive-Kundenbetreuer formulierte es so höflich wie entwaffnend: „Ihre Stornierung war die richtige Entscheidung und hat die Blockade aufgehoben.“

Was für ein Offenbarungseid für das ganze System! Diverse Mitarbeiter im Chat hatten das wochenlang nicht geschafft.

Wie kann das sein?

So löst man heute globale Logistikprobleme: Der Kundendienst versagt und als Kunde muss man auf Verdacht einzelne Artikel stornieren. Der Kunde räumt die Server auf. Und der Konzern, der das selbst nicht schafft, bedankt sich.

Nein, das ist kein Vorwurf. Es ist eine Diagnose.

Zwei Gürtel als Zeitzeichen

Woran erkennt man den Zustand einer Gesellschaft? Nicht daran, wie sie glitzert, wenn alles funktioniert. Sondern daran, wie sie klingt, wenn etwas klemmt.

Hier klang es so:

Ticket.
Ticket.
Ticket.
„Zustellung in drei Stunden“.
„Ich begleite das persönlich.“
„Systemfehler.“
„Keine Gedanken darüber.“
„Beschleunigt.“
Nichts.

Und dann muss der Kunde selbst das System austricksen.

Amazon will das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt sein. Ein ehrgeiziger Anspruch. Vielleicht ist das größte Hindernis inzwischen nicht mangelnder Wille. Sondern eine technokratische Kultur, in der niemand mehr entscheiden darf – und alle nur versprechen.

Zwei Gürtel haben ein Weltunternehmen lahmgelegt.

Das ist nicht dramatisch.
Es ist nicht skandalös.
Es ist schlimmer:
Es ist normal geworden.

Früher hätte so ein Fall anders geendet. Ich erinnere mich an Zeiten, da bekam man bei Amazon automatisch einen Monat Prime gutgeschrieben, wenn ein Paket einen Tag zu spät kam. Kulanz war nicht Ausnahme, sondern Prinzip. Heute? Wenn Sie Glück haben, bekommen Sie Textbausteine in fehlerhaftem Deutsch und ein Ticket, das niemand liest. Fortschritt kann manchmal erstaunlich rückwärts laufen.

Und wenn Sie sich jetzt fragen, warum ich darüber schreibe – schließlich erleben wir das doch alle ständig –, dann liegt genau darin das Problem. Wir haben uns daran gewöhnt. Wir zucken die Schultern, wir richten uns ein, wir „verstehen das System halt“.

Und während wir uns arrangieren, verschwinden Verlässlichkeit, Verantwortung und Kulanz leise aus unserem Alltag. Nicht als Skandal, sondern als schleichende Selbstverständlichkeit. Das macht es so gefährlich.

Vielleicht ist es Zeit, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Auch nicht zwei Gürtel lang.

PS:

Angeblich ist jetzt alles versandt. Ich bin gespannt, ob es ein Happy End wird – oder ein Fortsetzungsroman.

PPS:

Falls jetzt jemand fragt, warum ich überhaupt bei Amazon bestelle:

Ich versuche es zu vermeiden, wo es geht. Aber manche Dinge gibt es dort billiger, manche nur dort – und vor allem liefern viele andere Anbieter schlicht nicht zuverlässig ins Ausland. Wer im Ausland lebt, kennt das Problem.

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