Von Kai Rebmann
Die behördlichen Verwaltungsstrukturen in Deutschland haben ihre Wurzeln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und gehen auf den damaligen Deutschen Bund zurück. Seither sind diese im Wesentlichen praktisch identisch geblieben – wenn man einmal von dem Umstand absieht, dass der ganze Apparat mittlerweile geradezu monströse Ausmaße angenommen hat und insbesondere in den letzten Jahren überproportional aufgebläht wurde. Aktuell gibt es in Deutschland nicht weniger als 946 Behörden mit insgesamt mehr als 500.0000 dort beschäftigten Beamten, knapp 20 Prozent davon üben rein verwaltende Tätigkeiten aus.
Diese Zahlen stammen aus der Keimzelle des Bürokratie-Staates, einem fünfseitigen Brandbrief, an dem „gut 30 leitende Beamte aus Bundesministerien“ mitgewirkt haben und über den die „Welt“ berichtet, wenn auch leider hinter der Bezahlschranke. Die Autoren gehören dem sogenannten „Gesprächskreis Staatsmodernisierung“ der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung an und fordern eine tiefgreifende und grundlegende Reform der Bundesverwaltung. Ziel müsse eine Verschlankung der Strukturen sein, damit diese effizienter arbeiten könnten, so eine zentrale Forderung des Papiers.
Eine solche Reform ist in der Tat mehr als überfällig, schließlich wird die „seit 200 Jahren nahezu unveränderte Organisation der Ministerialverwaltung“ als das größte Problem identifiziert. Allein in den vergangenen zehn Jahren hätten sich die Personalkosten auf Verwaltungsebene verdoppelt, während das Vertrauen in den Staat auf einem Tiefpunkt angekommen sei.
Ein Satz aus dem „Welt“-Artikel muss in besonderer Weise hellhörig werden lassen: „Dass es nicht so weitergehen kann, ist klar, nicht zuletzt, weil durch die Demografie das Personal knapp wird.“ Mit anderen Worten: eine Reform des bundesdeutschen Behörden-Dschungels wird auch deshalb als notwendig erachtet, weil der Nachwuchs auszugehen droht, um die ganzen Stellen zu besetzen, die ein in sich krankes System immer wieder selbst schafft.
Brandbrief voller Binsenweisheiten und Fensterreden
Zu einer invasiven Schaffung neuer Posten und Pöstchen kam es nicht zuletzt in der zurückliegenden Legislaturperiode unter der Ampel, aber auch ganz aktuell unter Schwarz-Rot. Linientreue Parteisoldaten mussten oder sollten – dieser Eindruck entstand mehrfach – für ihre Dienste in der Vergangenheit belohnt werden, der Rotstift wurde und wird dagegen nirgends angesetzt.
Und so ist es wohl auch kein Zufall, dass es sich bei den Autoren des aktuellen Brandbriefs um „gut 30 leitende Beamte aus Bundesministerien“ handelt. Genau darin liegt die Doppelmoral: es sind also nicht diejenigen, die als erste um ihre sicherlich sehr gut dotierten Jobs werden bangen müssen. Was sich im ersten Moment als selbstloser Alarmruf anhören mag, relativiert sich bei genauerem Hinsehen sehr schnell wieder – keiner der Brandbrief-Autoren muss an dem Ast sägen, auf dem er selbst sitzt.
Stattdessen ist das Schreiben gespickt mit Binsenweisheiten, für die es wahrlich nicht die Expertise von Insidern braucht. „Je größer die Bundesverwaltung, desto weniger leistungsfähig wird sie“, stellen die Autoren zum Beispiel fest. Oder, dass es eine „drastische Reduzierung der Anzahl der Behörden der Bundesverwaltung von derzeit 946 (!) und eine Vereinheitlichung von Aufgaben und Verfahren“ brauche. Eine redliche Ausnahme, die jedem Steuerzahler die Tränen in die Augen drücken muss, stellen Enthüllungen darüber dar, wie fest der hiesige Behörden-Apparat im Schwitzkasten des Bürokratie-Monsters sitzt: „Ein erheblicher Teil des Personalaufwuchses der Bundesverwaltung der letzten zehn Jahre dient der eigenen Verwaltung. Viele Aufgaben werden mit großem Aufwand bis zu 14-mal (!) parallel vorgenommen.“
Der Bundestagabgeordnete Ralph Brinkhaus (CDU), Sprecher der Union für Staatsmodernisierung, ruft in diesem Zusammenhang in einer weiteren Fensterrede nach „einer wesentlich stärkeren Bündelung von Dienstleistungen im Personal- und IT-Bereich“ und fordert „eine effektive Steuerung und Verwaltung“.
Probleme erkannt – und weiter auf die lange Bank geschoben
Den Reformstau scheint man zumindest im Konrad-Adenauer-Haus inzwischen erkannt zu haben – was nach gut 200 Jahren durchaus auch mal der Fall sein darf. Eine Garantie dafür, dass sich deshalb schnell etwas an diesen Zuständen ändert, ist das freilich nicht, eher im Gegenteil. Die CDU ist und bleibt in einer für alle Beteiligten toxischen Koalition mit der SPD gefangen – und die treibt die Union als Juniorpartner mit Zustimmungswerten um 15 Prozent weiter munter vor sich her. Und ein schlankerer Staat wird bei der SPD so ziemlich das Letzte sein, was diese ganz oben auf ihrer Agenda stehen hat.
Ein wenig erinnert das Ganze an die seit Wochen schwelende Renten-Debatte. Auch da wurde ein in sich krankendes System längst als solches identifiziert. 18 Abgeordnete der Union und Mitglieder der sogenannten „Jungen Gruppe“ machen seit Wochen auf dicke Hose und haben mehrfach betont, dass das Paket in seiner aktuellen Form nicht zustimmungsfähig sei. Nur, um jetzt, wo es in diesen Tagen darum ginge, Farbe zu bekennen, den Kniefall zu üben – und damit die eigene politische Karriere zu retten.
Inhaltlich habe sich zwar nichts am Standpunkt geändert, jedoch werde man sein Abstimmungsverhalten auch nach der „staatspolitischen Verantwortung“ und den „Koalitionsfrieden“ ausrichten. Diese und ähnliche Sprachregelungen sind Anfang der Woche bereits durchgesickert und bedeuten nichts Anderes, als dass die „Junge Gruppe“ einem Rentenpaket zustimmen wird, das sie aus inhaltlichen Gründen eigentlich ablehnen müsste. Die SPD wird sich damit einmal mehr auf ganzer Linie durchsetzen und die Frage nach „Karriere oder Gewissen“ werden die vermeintlichen „Unions-Abweichler“ dann ebenso klar beantwortet haben.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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