Von Kai Rebmann
Noch im Jahr 2010 überwies Deutschland Kindergeld in Höhe von insgesamt 35,8 Millionen Euro auf Konten im Ausland. Im vergangenen Jahr 2023 belief sich diese Summe bereits auf satte 525,7 Millionen. Damit bestätigte sich die bereits in diesem im März 2023 veröffentlichten Artikel gestellte Prognose. Nur mit den regelmäßigen Anpassungen dieser Sozialleistung ist diese Explosion wohl kaum zu erklären. Und auch über eine Invasion von Kindern, die ihre Eltern zu legitimen Leistungsempfängern gemacht hätten, wurde nichts bekannt. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre, um einen Anstieg in dieser Größenordnung auch nur halbwegs plausibel erscheinen zu lassen.
Insofern dürfte es sich bei der Razzia im Problem-Hochhaus „Weißer Riese“ in Duisburg nur um die Spitze des Eisbergs handeln. Dort sind offiziell 1.414 Bewohner gemeldet, die meisten davon Bezieher von Sozialleistungen wie Bürgergeld und Kindergeld. Angetroffen haben die Ermittler jedoch nur etwas über 500 Menschen. Und auch von den offiziell rund 300 Kindern, die in dem Hochhaus wohnen sollen, existiert offenbar nur ein Bruchteil, zumindest soweit es deren offiziellen Wohnsitz betrifft.
Sozialsystem schafft verführerische Anreize
Eng verwandt mit dieser Masche des Sozialbetrugs innerhalb der deutschen Grenzen sind die auf Konten ins Ausland fließenden Transferleistungen, allen voran des Kindergeldes. Die Verlockungen für Kriminelle sind in der Tat gewaltig. Denn beim Kindergeld handelt es sich um einen fixen Betrag, aktuell 250 Euro, der unabhängig vom tatsächlichen Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Kindes ausbezahlt wird.
Heißt: Wer in einem Land mit einem vergleichsweise niedrigen Preisniveau lebt, muss keine Abschläge nach unten befürchten. Das kann auf legale Weise passieren, zum Beispiel wenn ein Elternteil mit dem Kind im Ausland lebt, der andere Elternteil aber in Deutschland arbeitet und Steuern bezahlt, oder Deutsche im Ausland leben, aber in Deutschland weiter steuerpflichtig sind. Oder eben auf illegale Weise, etwa wenn ein Kind in der Bundesrepublik als wohnhaft gemeldet wird, tatsächlich mit seinen Eltern aber im Ausland lebt.
Wo man jetzt davon ausgehen sollte, dass der massive Anstieg des auf Konten im Ausland fließenden Kindergeldes in Kombination mit den Ereignissen in Duisburg alle Alarmglocken schrillen lassen müsste, ist das in der deutschen Politik nicht der Fall, zumindest nicht bei der CDU. Finanzpolitikerin Antje Tillmann sieht in denjenigen, die im Ausland illegal Kindergeld beziehen, allenfalls als eine Randgruppe und spricht in der „Bild“ von „wenigen, ärgerlichen Missbrauchsfällen“.
Nochmal: Diese Transferleistungen sind innerhalb von nur 13 Jahren von 35,8 Millionen Euro auf unglaubliche 525,7 Millionen Euro gestiegen, was einer Zunahme um atemberaubende 1.368 Prozent entspricht. Und das alles soll mit „wenigen, ärgerlichen Missbrauchsfällen“ zu erklären sein?
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Ja, beweisen lässt sich alleine mit diesen Zahlen natürlich gar nichts, aber aufhorchen lassen sollte diese Statistik auf jeden Fall. Zumal sich eine Stabilisierung des Trends auf diesem hohen Niveau abzeichnet. Auch im 1. Halbjahr wurden 258,5 Millionen Euro an Kindergeld ins Ausland überweisen, im Vorjahreszeitraum waren es 260 Millionen Euro. Die Frage nach der Staatsangehörigkeit der Kinder, für die Kindergeld bezahlt wird, kann durch die aktuellen Zahlen nicht beantwortet werden – diese sicher hilfreichen Daten werden von der zuständigen Bundesagentur für Arbeit schlicht nicht erhoben.
Und noch etwas fällt auf: Mehr als 40 Prozent der Auslandszahlungen beim Kindergeld fließen nach Polen. Im 1. Halbjahr 2024 waren dies rund 111 Millionen Euro. In Summe zweistellige Millionenbeträge wurden in diesem Zeitraum nach Rumänien (27 Millionen Euro) und Kroatien (11 Millionen Euro) überwiesen.
Anspruch auf deutsches Kindergeld haben Bürger aus der EU sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz, die hier leben und steuerpflichtig sind. Darüber hinaus hat die Bundesrepublik entsprechende Abkommen mit einigen weiteren Drittstaaten geschlossen, so etwa mit Algerien, Bosnien-Herzegowina, Marokko, Montenegro, Serbien, Tunesien und der Türkei. Sogenannte „nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer“ müssen weitere Voraussetzungen erfüllen, etwa im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder Aufenthaltserlaubnis sein.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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