Wie gerecht ist der Ukraine-Bonus bei Hartz IV? Einwanderung ins deutsche Sozialsystem

Von Kai Rebmann

Seit dem 1. Juni 2022 haben Flüchtlinge aus der Ukraine Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, sprich Hartz IV. Damit werden sie nicht nur besser gestellt als Flüchtlinge aus anderen Kriegsregionen, sondern erhalten oft auch höhere Leistungen als deutsche Rentner. Bereits im Sommer 2022 wies der AfD-Politiker René Springer auf diese Tatsache hin. Der Bundestagsabgeordnete betreibe Ukraine-Bashing und spiele verschiedene Gruppen wie Rentner, Sozialhilfeempfänger und Flüchtlinge gegeneinander aus, lautete der Tenor seiner Kritiker. Jetzt, etwas mehr als ein halbes Jahr nach Inkrafttreten der Bevorzugung von Ukrainern sowie der Veröffentlichung von Springers Video lässt sich eine erste Zwischenbilanz ziehen. Was ist an den Vorwürfen sowohl des AfD-Politikers als auch der Gegenseite dran?

Zunächst einmal sollte klargestellt werden, dass nicht jeder Hinweis auf – vielleicht auch nur vermeintliche – Ungerechtigkeiten des deutschen Sozialsystems als Ukraine-Bashing gewertet werden sollte. Auch dann nicht, wenn solche Hinweise aus der AfD kommen. Ebenso gut könnte die Kritik auch an die Bundesregierung gerichtet sein, die mit ihrer Migrationspolitik seit Jahren die falschen Anreize setzt. Unstrittig ist ferner, dass es speziell im Zusammenhang mit nach Deutschland geflüchteten Ukrainern, die hier Sozialhilfe beziehen, durchaus einige Ungereimtheiten gibt, die zumindest einer genaueren Untersuchung wert sein sollten. So haben wir an dieser Stelle zum Beispiel schon über ein auffällig hohes Aufkommen an Pendelfahrten zwischen Deutschland und der Ukraine bei einem Fernbusunternehmen berichtet. Solche Vorgänge sind zwar keine endgültigen Belege für Sozialtourismus, aber eben auch nicht unbedingt dazu geeignet, entsprechende Vorwürfe zu widerlegen. Interesse an einer Aufklärung war und ist bei den zuständigen Behörden aber offenbar nicht vorhanden und politisch wohl auch nicht gewollt.

Integration in den Arbeitsmarkt stockt

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich die Ampelkoalition den unkontrollierten Zuzug von Migranten aus aller Herren Länder als eines ihrer wichtigsten Ziele auf die Fahnen geschrieben hat. Dazu passt, dass sich der Grünen-Politiker Andreas Audretsch zum Ukraine-Bonus bei der Sozialhilfe im Bundestag wie folgt äußerte: „Mit diesem Gesetz tun wir etwas, was in Deutschland noch nie davor getan wurde. Wir ermöglichen Millionen von Menschen, wenn sie zu uns kommen, die Möglichkeit, ganz direkt in unsere Sozialsysteme zu kommen. Das ist ein Riesenunterschied zu allem, was davor dagewesen ist.“ Ziel dieses Schrittes sei es, so der Bundestagsabgeordnete, dass Flüchtlinge aus der Ukraine nicht mehr von den Sozialämtern betreut werden, sondern von den Jobcentern, um sie so schneller in Arbeit bringen zu können. Ukrainer würden dann selbst in die Sozialsysteme einzahlen, anstatt durch sie unterstützt zu werden, erzählte Audretsch damals.

Die Realität ist – wieder einmal – aber eine andere. Zwar sind die Flüchtlinge aus der Ukraine in der Regel deutlich besser qualifiziert als die „Fachkräfte“ aus dem Nahen Osten und Afrika, die seit dem Jahr 2015 mehr oder weniger ungehindert nach Deutschland einwandern. Erstaunlich ist, was der „Mediendienst Integration“ zur Qualifikation der Ukrainer verbreitet: „Geflüchtete aus der Ukraine haben im Durchschnitt ein sehr hohes Bildungsniveau – sowohl im Vergleich zu anderen Geflüchteten als auch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland. Fast drei Viertel von ihnen (72 Prozent) gelten als ‚hochqualifiziert‘, besitzen also einen Hochschul- beziehungsweise Fachhochschul-Abschluss. Auch im Verhältnis zur ukrainischen Bevölkerung sind Geflüchtete, die nach Deutschland gekommen sind, besonders gut qualifiziert.“ Überprüfen lassen sich diese Behauptungen kaum. Es wird zwar auf eine Quelle verwiesen, die das hohe Bildungsniveau belegen soll. Wer dort allerdings nachschaut, bekommt Informationen über die Fluchtgründe und die familiäre Situation der Flüchtlinge, nicht aber über deren Bildungsstand.

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Fakt ist: In der überwiegenden Mehrheit sind es Frauen und Kinder, die seit knapp einem Jahr aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Schon allein diese Tatsache lässt daran zweifeln, wie der „Mediendienst Integration“ darauf kommt, 72 Prozent dieser Flüchtlinge als „hochqualifiziert“ einzustufen. Auf Kinder und Jugendliche kann dieses Merkmal per se schon nicht zutreffen. Den Angaben des Portals zufolge waren Ende Dezember 2022 bei den Jobcentern in Deutschland insgesamt rund 462.000 Flüchtlinge aus der Ukraine gemeldet. Gleichzeitig ist die Anzahl der hierzulande sozialversicherungsbeschäftigten Ukrainer zwischen Februar und Oktober 2022 aber nur von 57.000 auf rund 120.300 angestiegen. Der weit überwiegende Teil der arbeitsfähigen Flüchtlinge zahlt also, anders als von Audretsch behauptet, nach wie vor nicht ins Sozialsystem ein, sondern wird durch selbiges alimentiert. Wie passt das zusammen, wenn die Betriebe in Deutschland händeringend nach Personal suchen, insbesondere nach „hochqualifizierten Fachkräften“?

Anspruch auf 449 Euro Regelsatz aus Hartz IV plus Mehrbedarfe

Wenn es also tatsächlich das Ziel der Bundesregierung war, Flüchtlinge aus der Ukraine im erwerbsfähigen Alter als Einzahler am hiesigen Sozialsystem zu beteiligen, und nicht als Empfänger, dann ist die Ampel damit grandios gescheitert. Vielmehr führen die Aussagen von Andreas Audretsch in die Irre. Denn: Auch bei einer Behandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hätten Ukrainer erwerbsfähig werden können. Ermöglicht wird dies durch die sogenannte „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU, der die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtete, ihre diesbezügliche Gesetzgebung anzupassen. Für Deutschland bedeutete dies, dass Paragraf 24 Absatz 6 ersatzlos aus dem Aufenthaltsgesetz gestrichen wurde.

Aber warum sollen Flüchtlinge aus der Ukraine arbeiten, wenn sie durch den Bezug von Hartz IV mindestens ebenso viel bekommen können wie durch das Auffüllen von Regalen im Supermarkt? Wirklich vorwerfen kann man das den Migranten nicht, wenn sie Geld nehmen, das ihnen angeboten wird. Jeder vierte Ukrainer (22 Prozent) nennt ganz offen das „Wohlfahrtssystem“ als Motiv für seine Flucht nach Deutschland. Die Kritik richtet sich vielmehr an die Bundesregierung, die erstens die völlig falschen Anreize setzt und damit zweitens Millionen deutsche Rentner verprellt, die über Jahrzehnte hinweg ins Sozialsystem eingezahlt haben – und jetzt in nicht seltenen Fällen weniger Leistungen beziehen als Ukrainer. Es sind also keineswegs (nur) Oppositionspolitiker wie René Springer, denen man vorwerfen kann, verschiedene gesellschaftliche Gruppen – gewollt oder ungewollt – gegeneinander aufzubringen.

Der Regelsatz für Leistungen aus Hartz IV liegt bei 449 Euro. Dazu kommen die Kosten für Miete und sonstige Mehrbedarfe wie etwa Beiträge für den Kindergarten. Der AfD-Politiker rechnet vor: „Da ist man schnell mal bei über 1.000 Euro jeden Monat.“ Im Vergleich dazu habe der durchschnittliche Rentenzahlbetrag in Deutschland zuletzt bei 989 Euro gelegen, nur auf Mütter mit drei Kindern bezogen sogar nur bei 751 Euro. Die beiden Zahlen zur Höhe der Rente stimmen, sie entsprechen der durchschnittlichen Rente, die im Jahr 2020 ausgezahlt wurde. Den Angaben der Arbeitsagentur zufolge lag die durchschnittliche Höhe der Ansprüche je Bedarfsgemeinschaft, die Hartz IV bezogen hat, im März 2022 bei 1.075 Euro.

Springer macht sich angreifbar

Im zweiten Teil seines Videos kritisiert Springer in Bezug auf Hartz IV die Aussetzung der Sanktionen, wenn Sozialhilfeempfänger einen zumutbaren Job ablehnen. „Die Ukrainer müssen sich also nicht mal um Arbeit bemühen“, was nichts anderes sei als ein „bedingungsloses Grundeinkommen für Ukrainer“, so der AfD-Abgeordnete. Diese Aussage ist grundsätzlich zwar nicht falsch, führt aber dennoch in die Irre. Von der Aussetzung der Sanktionen profitieren alle Hartz-IV-Empfänger, also nicht nur Ukrainer. Mit diesem Instrument will die Ampel zunächst die Brücke zum Bürgergeld schlagen, welches wiederum als Vorstufe für ein bedingungsloses Grundeinkommen gesehen werden darf.

Und auch Ukrainer müssen ihre Bedürftigkeit bei der Beantragung von Hartz IV oder ähnlichen Sozialleistungen nachweisen, zumindest theoretisch. In der Praxis wird es aber kaum bis gar nicht nachprüfbar sein, ob die von Flüchtlingen aus einem Kriegsgebiet gemachten Angaben wahrheitsgemäß erfolgt sind. Vor diesem Hintergrund übt Springer durchaus berechtigte Kritik an der sofortigen Aufnahme von Ukrainern in das deutsche Sozialsystem, hätte sie an der einen oder anderen Stelle aber etwas glücklicher formulieren können bzw. müssen.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

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