Von Kai Rebmann
Die EU-Kommission will die sozialen Medien ab sofort zur Löschung von aus ihrer Sicht „hasserfüllten Inhalten“ und „ernsten Gefahren“ verpflichten. Was daran neu sein soll, wird sich mancher nun nicht ganz zu Unrecht fragen. Schließlich gelten insbesondere Plattformen wie Facebook oder Youtube schon lange nicht mehr unbedingt als der Inbegriff der freien Rede, falls sie es denn jemals taten.
Neu ist insofern vor allem, dass die Angebote der „Gatekeeper“, wie die EU-Kommission soziale Medien mit mehr als 45 Millionen Nutzern nennt, künftig vollständig abgeschaltet werden können. So wie man es ansonsten eigentlich nur von totalitären Regimen in China oder dem Iran kennt.
Als Grundlage dafür sollen entsprechende Verschärfungen im Digital Services Act (DSA) dienen. Ex-Trump-Berater Jason Miller hat im Exklusiv-Interview auf dieser Seite schon vor gut einem Jahr vor diesem neuen Zensur-Monstrum gewarnt. Die Neufassung tritt am heutigen Freitag in Kraft und wird fast zwangsläufig zu hitzigen Kontroversen führen. Neben den sozialen Medien sind von der Änderung auch Suchmaschinen, Online-Shops (Play Store, Zalando etc.) oder Messenger-Dienste wie Telegram betroffen.
Unruhen in Frankreich als Brandbeschleuniger?
Bisher enthielt der DSA nur sehr abstrakt gehaltene Formulierungen zu einer möglichen Begrenzung von Inhalten, die über die sozialen Medien verbreitet werden. So war zum Beispiel von „dringenden Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit oder Gesundheit“ die Rede. Dahinter verbarg sich natürlich nichts anderes als die Warnung vor bzw. Löschung von vermeintlichen „Fake News“ über Corona und insbesondere die dazugehörige „Impfung“.
Über eine mögliche und im Zweifelsfall auch unbefristete Sperrung stand im DSA nichts – bis jetzt. Im Zusammenhang mit den landesweiten Unruhen in Frankreich infolge der tödlichen Schüsse aus einer Polizeipistole auf einen 17-jährigen unterstrich Thierry Breton Anfang Juli seine Forderung nach einer Verschärfung des DSA.
Dem TV-Sender „France Info“ sagte der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen: „Wenn es hasserfüllte Inhalte gibt; Inhalte, die zum Beispiel zum Aufstand, Töten oder Anzünden von Autos aufrufen, dann sind die Plattformen verpflichtet, diese zu löschen. Wenn sie das nicht tun, werden sie umgehend sanktioniert.“
Wer mag diesen Ausführungen schon ernsthaft widersprechen wollen? Nur braucht es dafür keine Verschärfung des Digital Services Acts, da derartige Gewaltaufrufe in der EU – und nicht nur dort – ohnehin eine strafbare Handlung darstellen und von den Plattformen gelöscht werden, sobald deren Betreiber (oder die von ihnen beschäftigten Zensoren) Kenntnis davon erhalten.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würde gerne noch einen Schritt weiter gehen. Nachdem es in zahlreichen Städten der Grande Nation über Tage hinweg zu bürgerkriegsähnlichen Szenen gekommen war, dachte Macron laut über ein generelles Nutzungsverbot der sozialen Medien für Jugendliche nach. Viel mehr als Effekthascherei dürfte das aber ohnehin nicht gewesen sein, denn ein solches Vorhaben würde wohl schon allein an der fehlenden Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle scheitern.
Drastische Geldstrafen bis hin zur Sperrung drohen
Kritiker sehen die Verschärfung des DSA in der EU als Einfallstor für staatliche Zensur und eine weitere Beschneidung der Meinungsfreiheit. Thierry Breton hat wohl nicht umsonst ein besonders drastisches Beispiel gewählt, um zu erläutern, worauf der Digital Services Act in seiner ab heute gültigen Neufassung abzielen soll. Wie gesagt, wer will da schon widersprechen?
Was aber geschieht, wenn sich Bürger auch in Zukunft via X oder Telegram zu Spaziergängen oder Demonstrationen verabreden, die nicht im Sinne der Regierung sind? Denn klar ist schon jetzt: Was „hasserfüllte Inhalte“ oder „ernste Gefahren“ sind, das bestimmt Brüssel. Auch das in Deutschland gültige Netzwerkdurchsuchungsgesetz (NetzDG) wird künftig hinter dem DSA zurückstehen müssen.
Breton stellte in dem TV-Interview überdies klar, dass Brüssel im Zweifelsfall sehr handlungsfähig sein wird. Die EU verfüge, so der Franzose im Juli, „über Teams, die sofort eingreifen können.“ Und sollten die Plattformen nicht „sofort handeln“, sprich beanstandete Inhalte löschen, könnten nicht nur Geldstrafen (bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes) verhängt, sondern auch „der Betrieb der Plattform in der EU“ verboten werden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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