Ärzte und Apotheker teilen Seitenhiebe gegen Spahn aus Ärzte-Chef bleibt bei Skepsis in Sachen Lockdown

Sehen Sie hier mein Video von der heutigen Bundespressekonferenz mit Jens Spahn.

Nach dem groß angekündigten Start der Corona-Impfungen in Hausarztpraxen werden ab Dienstag zunächst nur zwanzig Impfdosen pro Arztpraxis in der ersten Impfwoche verimpft, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn heute auf der Bundespressekonferenz mitteilte. Das reiche für eine Impfstunde in der Woche, so der Minister. Ende April werde es das Dreifache, in den Folgewochen dann noch mehr. Neben den Hausärzten der Kassen sollen in Zukunft auch Fach- und Privatärzte Teil der Impfkampagne werden können, so Spahn. Er rief dazu auf, auch private Treffen nur im Freien zu halten, dabei eine Maske zu tragen und vorher einen Schnelltest zu machen.

„Die Impfstoffmengen fließen noch nicht so, wie wir uns das vorstellen“, kommentierte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Zahlen. „Das Liefer- und Bestellregime ist ein strenges Regime“, sagte Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA): „Wenn sich alle daran halten, wird das Impfen in den Praxen verlässlich über dieses System anlaufen. Auch wenn die Kolleginnen und Kollegen in den Apotheken in den vergangenen Wochen turbulente Zeiten erlebt haben und wir einige Bedingungen erst in der letzten Nacht erfahren haben“, so die Apothekerin, „nach 13 Monaten Pandemie, in denen nicht immer alles so funktioniert hat, wie wir uns das gewünscht haben und wie wir es erwartet haben, sind Menschen mitunter etwas müde, kritisch oder auch skeptisch geworden. Das verstehe ich, aber für die Impfstofflogistik kann ich Ihnen Zuversicht geben, auch wenn es aufgrund der verfügbaren Impfstoffmenge langsam anlaufen wird.“

Interessant ist, dass in den Live-Tickern großer Medien wie T-Online und Focus Online die Seitenhiebe gegen Spahn nicht erwähnt werden. Ich gehe davon aus, dass diese Live-Ticker zumindest teilweise von Nachrichtenagenturen sind und damit zentral verbreitet werden.

Ein Journalist fragte Ärzte-Chef Gassen, ob er dabei bleibe, dass er einen Lockdown zu Beginn der zweiten Welle als nicht zielführend bezeichnet habe. „Ich glaube, dass der sichere Weg aus der Pandemie in einer zügigen Impfkampagne besteht“, sagte der Mediziner, Impfungen würden funktionieren. So sein Seitenhieb: „Dass ich eine kritische Auffassung zu Ausgangssperren, Reiseverboten, etc. habe, dürfte kein Geheimnis sein, ihr Wert, wirklich Infektionsketten zu durchbrechen, ist sehr umstritten. Dagegen gibt es Maßnahmen, die unumstritten helfen.“ Spahn rechtfertigte als Antwort auf Gassens Kritik die Lockdown-Politik und verwies darauf, auch in London und Israel gebe es diese, trotz vieler Impfungen.

Focus Online beschreibt die Lockdown-kritische Antwort im Liveticker so, dass ein ganz anderer Eindruck entsteht: „Gassen hatte einen Lockdown zu Beginn der zweiten Welle als nicht zielführend bezeichnet. Vertritt er diese Meinung immer noch?“ – „Ich glaube, dass der sichere Weg aus der Pandemie in einer zügigen Impfkampagne besteht“, sagt der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er weist auf andere Länder wie Israel und Großbritannien hin, wo schon deutlich mehr Menschen gegen Covid-19 geimpft sind als in Deutschland.“

T-Online macht es noch kürzer: „Impfen sei der Weg raus aus der Krise, da seien sich alle Anwesenden sicher. Doch Spahn räumt mit Blick auf das Impftempo ein: „Es dauert aber alles noch etwas länger.““

Spahn, Merkel und Laschet würden noch über das weitere Vorgehen in Sachen Corona nachdenken, so Sascha Meyer von dpa: „Ist noch Zeit zum langen Nachdenken oder muss man jetzt schneller nachdenken, womöglich auch mit Ausgangsbeschränkungen?“ Spahn antwortete, die Notbremse müsse zum Einsatz kommen. Allerdings liege es  auch „an jedem von uns“, die Pandemie zu bekämpfen. So sei jeder gefordert, Kontakte und Mobilität einzuschränken. „Ich habe auch den geplanten Besuch bei meinen Eltern abgesagt. Das machen wir jetzt digital“, so Spahn über seine Oster-Pläne: „Es liegt an uns allen, diesen Unterschied zu machen.“

Deutschland ist im Vergleich mit anderen Ländern bei den Impfungen ein Nachzügler. Bislang haben nur 11,3 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten. Das sind rund 9,42 Millionen Menschen. Kritiker haben bemängelt, dass Hausarztpraxen zu spät in die Impfkampagne einbezogen wurden. Sie machen unter anderem geltend, dass Hausarztpraxen von Anfang an geeigneter gewesen wären, weil sie ihre Patienten und deren Vorerkrankungen besser kennen.

Laut Spahn wird zunächst nur das Biontech-Vakzin in den Arztpraxen verimpft. Ab der 16. Kalenderwoche soll Astrazeneca  dazu kommen, eine Woche später auch der Stoff von Johnson & Johnson. Der Impfstoff von Moderna soll künftig nur in Impfzentren angewandt werden, weil Lieferung und Aufbewahrung des Impfstoffs dies erforderlich machen.

Ein Kollege fragt, wie Spahn den Deutschen erklären könne, dass in Deutschland in Sachen Astrazeneca mit anderen Daten gearbeitet werde als bei den europäischen Nachbarn? „Die EMA hat schon vorletzte Woche einen Warnhinweis in die Produkt- und Fachinformationen aufgenommen“, antwortete Spahn. Das Risiko der Hirnvenenthrombose werde auch in anderen europäischen Ländern gesehen: „Sie müssen sehen, Norwegen, Schweden und Dänemark haben noch gar nicht wieder begonnen, mit Astrazeneca zu impfen, seit sie ausgesetzt haben.“

„Ich halte den Impfstoff nach wie vor für sicher. Ich halte ihn für nicht übermäßig gefährlich“, sagte der Ärztevorsitzende Gassen. Das klingt nicht nur optimistisch. In den zitierten Livestreams der großen Medien fehlt diese Aussage ebenfalls. Spahn ergänzte: „Ich bin mir sicher, wir werden ausreichend Menschen finden, die diesen Schutz annehmen. Denn der Schutz ist gut.“ Es gebe in Deutschland 25 Millionen Menschen über 60 Jahren, führte Spahn aus. Er sei sich deshalb sicher, dass sich ausreichend Menschen finden werden, die sich mit Astrazeneca impfen lassen.

Spahn wird gefragt, was er davon hält, dass Innenminister Horst Seehofer öffentlich erklärte, dass er sich nicht mit Astrazeneca impfen lassen wolle. Er verweist darauf, jeder müsse das individuell entscheiden. Auch diese Frage finde ich in den großen Livetickern, in denen ich nachsah, nicht.

Georg Link vom öffentlich-rechtlichen SWR  fragt: „Biontech meldet, dass sein Impfstoff auch bei Kindern wirkt. Muss jetzt nicht auch mit der Impfung von Kindern begonnen werden?“ Spahn antwortet, es gebe erste Daten dahingehend, Wirksamkeit bedeute aber nicht, dass alle anderen Faktoren schon geprüft seien: „Was ein Wirkstoff in einem Körper macht, ist unterschiedlich bei Kindern und Jugendlichen.“

Apotheker-Vertreterin Overwiening verwies darauf, dass jedes Medikament und jeder Impfstoff eine Abwägung von Nutzen und Risiken erforderlich mache.

Auf die Frage, ob er sich selbst mit Astrazeneca impfen lassen würde, sagte Spahn: „Ja, wenn ich dran wäre.“ Allerdings würde er sich vorher von einem Arzt beraten lassen, fügte er hinzu. Sobald eine Zulassung da sei, könnten auch Jugendliche geimpft werden. Welchen Sinn dies macht, wenn nicht bewiesen ist, dass Impfungen eine Ansteckung unmöglich machen und die Gefahren für Kinder und Jugendliche durch Corona sehr gering ist, wurde Spahn nicht gefragt.

PS: Getreu dem Ergebnis der Leser-Abstimmung gestern hier berichte ich von der Bundespressekonferenz heute von Zuhause. Meine Frage habe ich online über das interne System der Bundespressekonferenz gestellt. Leider wurde sie nicht drangenommen.


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Bild: Reitschuster
Text: br


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