Ein Land im (AfD-)Wahn Gesellschaft

Berlin, 11.2.2020. Auch, wenn es in Deutschland völlig unschick ist: Ich habe Respekt vor dem Alter. Vor allem dann, wenn es mit Weisheit einhergeht. Wie bei meiner alten russischen Lehrerin, die 90 Jahre alt ist, sich als Mädchen noch vor deutschen Jagdfliegern verstecken musste, dann zur Professorin wurde und jetzt seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Sie könne die Politiker in Deutschland nicht ernst nehmen, sagte sie mir kürzlich, als wir über Heiko Maas sprachen: „So viele Männer und Frauen ohne Eigenschaften, wie Kinder.“ Das sei generell ein Problem in Politik und Medien, eine massive Infantilisierung, erwiderte ich. Sie sah mich mit großen Augen an und meinte: „Da greifen Sie zu kurz. Das Problem ist viel größer, viel dramatischer!“Nach einer dramaturgischen Pause setzte die alte Frau mit den jung gebliebenen, strahlenden Augen fort: „Ich habe den Krieg und seine Schrecken erlebt. Und ich finde, die Deutschen haben etwas Unglaubliches geschafft. Im Gegensatz zu uns Russen. Sie haben ihre schreckliche Vergangenheit aufgearbeitet, haben Reue gezeigt. Dafür zolle ich ihnen höchsten Respekt, ja ich bewundere sie dafür. Doch dann passierte etwas Schreckliches, dessen tragische Auswirkungen viele nicht sehen, und das mir große Angst macht: Diese Reue verwandelt sich immer mehr in einen Wahn. Das Ganze hat etwas Selbstzerstörerisches, Irrationales, etwas von einer Welle, die alles hinwegfegt. Das ist nicht Infantilität. Das ist viel Schlimmer. Es ist eine Tragödie!“ Die alte, weise Frau gab mir dann noch einen Auftrag mit auf den Weg: „Knicken Sie nicht ein, stellen Sie sich gegen diese Welle. Auch einzelne können in solchen Zeiten etwas bewirken“.

Die Warnung der alten Professorin geht mir seither nicht mehr aus dem Kopf. In meinen Augen hat sie recht – auch wenn wir uns in Details durchaus stritten. Fast täglich muss ich an die Worte der großen Dame denken. Das politische Leben in der Bundesrepublik hat in der Tat etwas von der Zeit der Glaubenskriege, etwas Mittelalterliches. Der Kampf gegen die AfD trägt Züge von einem religiösem Wahn. Statt mit Argumenten wird die Partei mit Stigmatisierung bekämpft: als unrein. Wer sich von ihr wählen lässt, wie die FDP in Thüringen, wird selbst unrein. Auch, wer nur gratuliert. Oder ihr Säle vermietet, oder ihre Politiker in Restaurants läßt. Die Kontaktschuld ist wieder da.

Was in der Kirche das Amen war, ist in der politischen Diskussion in Deutschland im Jahr 2020 die Gleichsetzung der AfD mit dem Nationalsozialismus. Wehe, man lässt das weg – im Handumdrehen ist man Ketzer! Selbst, wer sich nicht in jedem Satz oder mehrfach in jedem Artikel lautstark distanziert, läuft Gefahr, das schlimmste Urteil zu hören, das heute im politischen Leben in Deutschland verhängt werden kann: „AfD-nah“. Wer dieses Etikett angehängt bekommt, ist das, was man im Mittelalter vogelfrei nannte. Ein Aussätziger. Wer darauf aufmerksam macht, dem wird unterstellt, den „Opfer-Mythos“ der AfD zu bedienen. Wer es gar noch wagt, darauf aufmerksam zu machen, dass nicht alle AfD-Mitglieder und Sympathisanten Nazis sind und auch für diese die Grundrechte gelten, der bekommt massenhaft Reaktionen wie diese:

All das geschieht im Namen der Toleranz, Buntheit und Offenheit sowie insbesondere der Bekämpfung von Hass. Besonders deutlich wurde der Irrsinn bei einer Demonstration in Berlin, bei der zwei Losungen vorherrschten: „Gegen den Hass“ und „Ganz Berlin hasst die AfD“. Wie stark müssen Menschen aufgewiegelt sein, in was für einen logikfernen Zustand wurden sie versetzt, dass ihnen dieser völlig eklatante Widerspruch nicht mehr auffällt? Dass Prominente heute gefeiert werden, nachdem sie wiederholt AfD-Mitglieder das Mensch-Sein abgesprochen haben. Wir sind Zeugen eines Rückfalls in die Barbarei im Namen der Bekämpfung der Barbarei.

Mein Urgroßvater war Sozialdemokrat, auch unter dem Kaiser und unter Hitler. Meine Großmutter litt ihr Leben lang unter der Stigmatisierung, der auch sie als Tochter deswegen ausgesetzt war. Sie traute sich nie, sich zu Politik zu äußern. Als ich mit 16 Jahren in die Fußstapfen meines Uropas trat und SPD-Mitglied wurde, glich das für sie einem Weltuntergang. Sie machte sich riesige Sorgen um mich – so tief saß die Angst, dass sie selbst 1987 noch vorhanden war, als man als Sozialdemokrat in der Mitte der Gesellschaft stand – für die meisten zumindest, nur nicht für meine Oma. „Du wirst schon sehen, wie das endet“, warnte sie mich wieder und wieder. Und ich lachte nur.

Vielleicht ist es diese Familiengeschichte, die mich heute so empfindlich macht. Schon in der Schule fand ich es schrecklich, wenn eine Mehrheit eine Minderheit schikanierte, wenn Menschen ausgegrenzt wurden, gemobbt. Ich habe das dann in ganz anderer Dimension in Russland erlebt, wo Freunde von mir wie Boris Nemzow erst als Faschisten diffamiert und entmenschlicht wurden – und dann umgebracht. Seitdem bin ich gegen diese Erscheinung allergisch. Vielleicht auch übersensibel. Aber mir macht die Entmenschlichung der AfD weitaus mehr Angst als die AfD selbst (das ist jetzt schon wieder ein ketzerisches Satz).

Kein Sinn für Deutschtümelei oder Nationalismus

Mich als alten Sozialdemokraten (womit man nach den neuen Maßstäben der Merkel-Republik ja auch schon rechts ist) befremdet sehr vieles in der AfD. Jede Art von Deutschtümelei oder Nationalismus ist mir fremd, und auch Patriotismus lernte ich erst in Russland, wo ich es als damals Linker erst gar nicht fassen konnte, wie begeistert die meisten Russen von dem Land waren, das sie überfallen und bei ihnen so unendliches Elend bei ihnen angerichtet hatte. Und – auch wenn ich davon genauso wie von den AfD-Hassern von AfD-Leuten angegriffen werde: Jemand wie Höcke macht mir Angst. Auch wenn ich ihn nicht für einen Faschisten halte. Und wenn Aussagen von ihm entstellt werden, um ihn zu diffamieren. Unappetitlich ist er für mich trotzdem – genauso wie eine Sarah Wagenknecht, die Alt-Kader der Linken und so mancher Ex-Sozialist, der heute in hohen Ämtern Sonntagsreden hält. Mir macht es Angst, wenn selbst AfD-Aussteiger und AfD-Insider über die Stärke rechtsradikaler Kräfte in der Partei berichten. Aber mir machen die Linksextremen weitaus mehr Angst – weil sie wieder nach den Schalthebeln der Macht greifen, manche von ihnen bereits besetzt haben – und Medien und Politik weitgehend blind sind gegen diese Gefahr.

In meiner kurzen Zeit als Jungsozialist in der SPD habe ich erlebt, wie viele Jusos hinter verschlossenen Türen von der DDR schwärmten, diese für das bessere Deutschland hielten und davon träumten, die Bundesrepublik zu DDR-isieren. Sie waren totunglücklich über die Wiedervereinigung und stinksauer auf die „blöden Ossis“, die zu dumm waren, die Vorzüge des Sozialismus zu schätzen – die sie in der satten Bundesrepublik natürlich klarer sahen. Sie wurden von den alten Sozialdemokraten als Spinner belächelt. Heute erkenne ich sie wieder, diese Ex-Genossen, ihre sozialistische Denke – sie haben die Partei übernommen, und sie regieren (mit). Sie machen mir große Angst. Weil ich sie kenne.

Sie und ihre Gesinnungsgenossen schüren eine Stimmung, in der viele Menschen aufrichtig glauben, wir stünden kurz vor einer nationalsozialistischen Machtergreifung durch die AfD. Sie haben den gesellschaftlichen Frieden geopfert, um ihre Macht und ihre linke Ideologie zu sichern. Und sie haben in den Medien Mittäter und nützliche Idioten gefunden. Leute wie Ex-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz oder Monitor-Chef Restle agieren wie Glaubenskrieger. Sie scheinen geradezu ihren Lebenssinn darin gefunden haben, einen neues Drittes Reich zu verhindern, und scheinen sich noch unglaublich mutig dabei vorzukommen, mit dem Strom zu schwingen.

So wird kurzfristig die Macht und der Linksruck gesichert – längerfristig aber die AfD gestärkt. Wenn etwa bei Anne Will am Sonntag ganz offensichtlich der Tonpegel von Alice Weidel gedämpft und ihre Widersacher wie Kevin Kühnert lauter gedreht wurden, wenn das Publikum ganz offensichtlich so gefiltert bzw. „maßgeschneidert“ wurde, dass Weidel kein einziges Mal Applaus bekam (und nicht mal Wirtschaftsminister Altmeier, als er die fehlende Distanzierung der Linken von SED und DDR kritisierte). Wenn „Hart aber Fair“ in ein Tribunal in Abwesenheit der Angeklagten verwandelt wird, mit Einpeitscherinnen wie der Grünen Weisband, die FDP-Chef Lindner einen rassistischen Schildbürger nannte. Wenn AfD und FDP auf der Anklagebank sind, aber im Studio sitzen: 0 x AfD, 0 x FDP. 2 x Grüne, SPD, CDU, linke Journalistin, ein Professor.

Der Hass auf die AfD fördert diese nicht nur – er macht auch blind. Und auch dumm. Hier nur zwei Beispiele dafür, von Jutta Ditfurth, die keiner Erwähnung wert wäre, wenn nicht so viele so dächten wie sie, und von einem Spiegel-Korrespondenten.

Der Hass und die Irrationalität erreicht inzwischen selbst Teile der CDU. Elmar Brok, lange einer der einflussreichsten CDU-Männer und Ausschußvorsitzender im EU-Parlament, und unter Beschuss wegen Betrugsvorwürfen, nannte die Werte-Union „Abweichler“ und verglich sie mit einem „Krebsgeschwür“: „Das muss man mit aller Rücksichtslosigkeit bekämpfen, damit ein solches Krebsgeschwür nicht in die Partei hineinkriechen kann.“ Statt sich zu verwahren, assistierte der Reporter von der einstmals konservativen Welt: „Ein Krebsgeschwür muss man herausschneiden!“ Claus Kleber sprach im ZDF-heutejournal vom „Einsickern eines Virus“ in FDP und CDU, wie mir ein Leser schrieb. Die menschenverachtende Denke und Sprache der Kommunisten ist auch in der CDU und unseren Medien angekommen: Das Gleichsetzen von politischen Gegnern mit Krankheiten. Von den Leuten, die ihren politischen Gegnern ständig vorwerfen, dass sie die Sprache verrohen und Hass schüren. Tiefer kann eine politische Kultur nicht mehr sinken.

Die Hysterie geht soweit, dass mein Freund Michael Rubin, FDP-Mitglied und Jude aus der ehemaligen Sowjetunion, mir gerade geschrieben hat, dass er, Sohn von Holocaust-Überlebenden, der regelmäßig antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt ist hierzulande, nun als Nazi beschimpft wird. Drastischer und tragischer als dieses Beispiel ist die Absurdität der Situation in unserem Lande nicht mehr zu beschreiben.

Wie verrückt – im doppelten Wortsinne – die Maßstäbe sind, zeigt, dass ein amtierender CDU-Bundestagsabgeordneter einen Aufruf wie diesen starten muss – und darin auf Dinge hinweisen, die selbstverständlich sein müssten:

Wie groß der geschürte Hass ist, wie stark sich die Rollen verdreht haben, macht ein Film deutlich, den ein AfD-Mitglied gedreht hat. Und der für mich der Anstoß war, diesen Artikel zu schreiben. Wenn tiefe Gräben in eine Gesellschaft gerissen werden, und der Hass wächst, ist Perspektivenwechsel und Empathie wichtiger denn je. Deshalb empfehle ich dieses AfD-Video (anzusehen hier). Es schockiert. Es zeigt, wie tief sich der Hass gefressen hat. Und dass er eine Frage der Perspektive ist. Wer sein Herz offenhält und sich nicht hat verblenden lassen durch Hass, den muss dieses Video ins Grübeln bringen:

Es wäre die ureigenste Aufgabe des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin, der Kirchen, der Politiker, der Medien, gegen diesen Hass die Stimme zu erheben. Auch die Angriffe und die Anfeindungen auf die AfD zu verurteilen, auf die Liberalen, wegen der vermeintlichen „Kontaktschuld“ (die Frau von Kurzzeit-Ministerpräsident Kemmerich wurde auf der Straße angespuckt, seine Kinder brauchten Polizeischutz auf dem Schulweg) Statt dessen – nur Schweigen. Ja Anstachelung – wenn etwa Thüringens SPD für den Druck auf der Straße dankte.

Ich schäme mich für mein Land. Und zwar für das im Jahr 2020. Es macht mir Angst. Wir bräuchten einen Aufstand der Anständigen – einen, für den es mehr als den heute üblichen Gratis-Mut benötigt – und der fordert: Grundrechte und ein Minimum an Respekt und Toleranz auch für den politischen Gegner.

Hoffnung macht nur, dass es Stimmen der Vernunft gibt. „Wer die AfD ei­ne Par­tei von Fa­schis­ten nennt, der ver­harm­lost den Schre­cken, der mit die­sem Be­griff im 20. Jahr­hun­dert ein­her­ging und seit­dem be­schrie­ben wird. Wer von ,Na­zis´ (und nicht we­nigs­tens von ,Neo­na­zis´) spricht, ver­ne­belt ge­schichts­ver­ges­sen die rea­le Mons­tro­si­tät des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gimes“, schrieb gestern die Frankfurter Allgemeine: “ Deut­sche Zeit­his­to­ri­ker wie Mi­cha­el Wildt oder Hein­rich Au­gust Wink­ler war­nen in die­sem Sin­ne mit Blick auf die Thü­rin­ger Un­ru­hen ver­stärkt vor in­fla­tio­nä­ren his­to­ri­schen Par­al­le­li­sie­run­gen und dem miss­bräuch­li­chen Ge­brauch von Kampf­be­grif­fen wie ,fa­schis­tisch´. Die Wahl ei­nes Mi­nis­ter­prä­si­den­ten in Thü­rin­gen mit Hil­fe der AfD sei nicht mit der Si­tua­ti­on im Deut­schen Reich auf dem Weg zur Macht­über­nah­me ver­gleich­bar, so Wink­ler in ei­nem In­ter­view mit der „Welt am Sonn­tag“: Die AfD sei ,am ehes­ten mit den Deutsch­na­tio­na­len der Wei­ma­rer Zeit zu ver­glei­chen´. Mit fal­schen Ana­lo­gi­en wer­de die ge­gen­wär­ti­ge Si­tua­ti­on der deut­schen De­mo­kra­tie in ein fal­sches Licht ge­rückt.“

Auf twitter schrieb ich gestern: „Viele Politiker und Journalisten sind verblendet: Vor lauter Fixierung aufs AfD-Bekämpfen sehen sie nicht, dass dieses nur Chancen hätte, wenn sie all die Tabu-Themen, die unsere Menschen umtreiben (Migration, Sicherheit, Ausländerkriminalität etc.), selbst aufgreifen, statt der AfD das Monopol auf diese Themen zu überlassen.“Dazu schrieb Ex-AfD-Chefin Frauke Petry folgenden Kommentar:

Sie hat recht. Genau das ist die wirkliche Gefahr. Die kaum einer sehen will.


Bild: WIX

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