Afghanistan – Widerstand unterstützen oder nicht? Die westlichen und östlichen Mächte im Dilemma

Von Sönke Paulsen

Das Pandschir-Tal scheint an die Taliban gefallen zu sein. Allein die Nachrichtenlage bricht nach deren Erfolgsmeldungen ab. Der Widerstand scheint weiterzugehen. Bazarak, die Hauptstadt der Provinz, soll einer Geisterstadt gleichen.

Vielleicht liegt es daran, dass die wenigsten Reporter sich noch in diese Region Afghanistans trauen, dass die Nachrichtenlage so dünn geworden ist. In einigen Nachrichten auf CBS wird berichtet, dass man auf Informationen von Hilfsorganisationen, die Krankenhäuser in der Region betreiben, angewiesen sei. Andere Medien verfolgen die öffentlichen Äußerungen von Ahmad Massoud, dem Sohn des legendären Führers des afghanischen Widerstandes gegen die Sowjets bei der Verteidigung des Pandschir-Tals. Ahmad der Jüngere war gegen die Taliban weniger erfolgreich und setzte sich am 6. September nach Tadschikistan ab.

Jetzt hat Massoud Unterhändler in die USA geschickt, die dort um Waffenhilfe bitten sollen. Sein prominentester Unterstützer ist der bekannte republikanische Senator Lindsay Graham. Massoud hält die Taliban für wesentlich schwächer, als sie sich selbst darstellen, und ruft auf seinem Facebook-Account zum nationalen Widerstand gegen ihre Herrschaft auf.

Keinen Widerstand leistet der Westen

Wo noch vor einigen Jahren das Dogma galt, dass unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt werden muss, herrscht nun Verhandlungsstimmung mit den islamistischen Führern des Landes. In Konkurrenz stehen hier die Europäer, die Russen und Chinesen und natürlich die Amerikaner. Allerdings hat auch Pakistan, dessen Geheimdienst mit dem denkenswerten Kürzel ISI, das stark an den IS erinnert, aber nur Intelligence Service meint, die Taliban massiv unterstützt, Interesse an einer engen Partnerschaft.

Kürzlich besuchte der ISI-Chef Faiz Hameed Kabul, was zu Gerüchten über den zunehmenden pakistanischen Einfluss im Land führt, das wirtschaftlich am Boden liegt. Ein Umstand, der den Taliban die Kontrolle durchaus erschwert.

In den USA erscheinen hauptsächlich Artikel über die desolate Situation der Frauen im Land und einen harten Winter, der bevorsteht und eine Hungersnot nahelegt. International dringen noch die Attentate des Islamischen Staates in Kabul und in anderen Landesteilen durch. Der Widerstand dagegen scheint kein Thema mehr für die internationalen Medien zu sein.

Woran liegt das?

Es gibt so etwas wie eine Lauerstellung bei den Staaten, die sich als Stakeholder für afghanische Bodenschätze und seine geopolitische Schlüsselstellung verstehen. Das sind die genannten Mächte, einschließlich Russlands und Chinas. Jetzt, wo die Moral der beteiligten Länder kein Thema mehr ist, schwenkt man ungehindert auf wirtschaftliche und geopolitische Interessen um.

Es ist also nicht zu erwarten, dass die Nationale Widerstandsfront von Massoud tatsächlich mit größeren Waffenlieferungen oder direkter militärischer Unterstützung rechnen kann, egal wie schwach die Taliban militärisch in den nächsten Monaten werden. Denn auch hungernde Barfußsoldaten verlieren irgendwann die Lust am Kämpfen und dürften in ihre Heimatländer zurückdrängen, vor allem nach Pakistan, wo die meisten Taliban-Kämpfer herkommen.

Das wird leicht vergessen, wenn beispielsweise der Taliban-Sprecher Mudschahid betont, dass man keine Einmischung anderer Länder dulden werde, auch nicht von Pakistan. Der Grad der Einflussnahme Pakistans beim Sieg der Taliban gegen die gewählte Regierung in Kabul muss als hoch bezeichnet werden. So hoch, dass auch die Tatsache, dass viele Taliban Paschtunen sind, nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sie mehrheitlich eben auch Pakistani sind. Kurz: Die Machtergreifung der Taliban in Kabul ist leicht mit einer Besetzung Afghanistans durch das Nachbarland Pakistan zu verwechseln.

Pakistan selbst ist ein schizophrenes Land, das sowohl einen radikal-islamischen „Deep State“ aufweist, wie man nicht nur am Geheimdienst sehen kann, sondern auch eine Regierung, die sich mit westlichen Ländern, allen voran den USA, verbündet, weil sie gegenüber der größeren Atommacht Indien nicht ins Hintertreffen geraten will.

Liegt hier die Hoffnung der beteiligten Mächte, einschließlich der EU, dass man vielleicht eine ähnlich schizophrene Konstellation in Kabul antreffen wird, möglicherweise sogar direkt mit Pakistan verhandeln kann?

Eine schleichende Übernahme Afghanistans durch Pakistan erscheint nicht ausgeschlossen, vor allem dann nicht, wenn die Taliban unter Druck geraten.

Für den Druck könnte eventuell Massoud mit seiner nationalen Widerstandsfront sorgen, auch von Tadschikistan aus. Denn die Russen, die dort eine militärische Präsenz haben, sind wohl nur sehr ungern bereit, Pakistan zu stützen, das sich in erster Linie an die USA hält.

So könnte es sich letztlich fügen, dass sich die heutigen Taliban nicht als die Taliban erweisen, die vor zwanzig Jahren in Afghanistan entmachtet wurden, sondern als die Taliban, die sich in den islamistischen Provinzen Pakistans auf die Einnahme des Nachbarlandes vorbereitet haben. Solche Taliban, die vielleicht aus Afghanistan eine weitere islamistische Provinz, nach dem Beispiel von Khyber Pakhtunkhwa, der paschtunischen Nordwestprovinz Pakistans, machen wollen, die eine relative Autonomie gegenüber Islamabad genießt. Dann allerdings fragt sich erst recht, wer in der Atommacht Pakistan die Oberhand bekommt, die westlich geprägte Regierung oder die Islamisten.

Auch ein diplomatisches Katz- und Mausspiel kann gefährlich sein. Die Taliban könnten als Schwanz irgendwann mit dem gesamten Hund wedeln, was explizit auch Pakistan mit einschließen kann.

Dann haben wir ein Problem.

Man sollte den Widerstand gegen dieses gefährliche, islamistische Experiment vielleicht doch unterstützen. 

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.

Bild: meandering images/Shutterstock
Text: Gast

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