Es gibt wenig zu Lachen in Corona-Zeiten. Darum halte ich weiter dagegen – und bringe heute wieder eine heitere Geschichte aus einer Zeit, die heute wirkt, als sei sie aus einer anderen Welt. Umso mehr, als es darin um Saunas geht (nicht zu verwechseln mit der „Banja“, Russlands Antwort auf die finnische Sauna – aber es gibt beides in Moskau). Die Schwitzräume sind etwas, was ich – und wohl auch viele von Ihnen – derzeit ganz besonders vermisse. Lassen Sie sich entführen aus der Tristesse der Corona-Maßnahmen, und tauchen Sie mit mir ins Jahr 2007 ein, in eine Welt, die uns derzeit verboten ist (nicht übrigens den Russen – dort darf weiter nach Belieben geschwitzt werden, ob in der Banja oder in der Sauna):
Lauschen am Nachbartisch in verrauchten Kneipen im Regierungsviertel? Wöchentliche Interviews mit Marketing-Fachleuten? Brüten über Marktforschungsstudien? Oder diskretes Durchwühlen der Abfalleimer von Ministerien? Nein, alles was an Geheimtipps für Informations-Beschaffung und Trendforschung unter Journalisten gehandelt wird, ist eher dröge – im Vergleich zu meiner Sauna in der Moskauer Konnij-Gasse. Mit ihren 115 Grad mag sie westlichen Besuchern eher als Hochleistungs-Grill denn als gewöhnlicher Schwitzraum erscheinen. Doch wer die Hitze auf sich nimmt, wird dafür oft mit heißen Informationen entschädigt. Die Recherche im Hochtemperatur-Bereich stellt nicht nur an den Körper höchste Anforderungen – auch mentale Klippen sind zu umschiffen. Alte Gewohnheiten aus Deutschland könnten einem in der russischen Mischung aus Schwitzraum und Vorhölle zum Verhängnis werden – und im schlimmsten Fall Ärger mit der Sittenpolizei einbringen: Denn während Saunas zwischen Flensburg und Berchtesgaden textilfreie Zonen sind, legt Mann und vor allem Frau in Russland viel Wert darauf, dass die körperliche Blöße an den entscheidenden Stellen züchtig verhüllt bleibt. Nur wo die Geschlechter in separaten Räumen schwitzen, ist Nacktheit statthaft.
Kleine Geheimnisse
Doch so verhüllt sich die Russen in der Sauna äußerlich geben – so tiefe Einblicke gestatten sie in ihr Innenleben. Nicht, dass man auf den Holzbänken Enthüllungen vom Ausmaß der Watergate-Affäre erwarten dürfte: Wer allzu Wichtiges weiß, hat in Moskau in der Regel auch eine eigene Sauna. Doch wer intime Kenntnisse über die kleinen Geheimnisse der Moskowiter bekommen will, schwitzt in der Konnij-Gasse richtig: Da sind die Studenten, die sich über die Bakschisch-Tarife bei den Examen ihrer Professoren austauschen. Ab 1000 Rubel ist eine Fünf – die Bestnote – zu haben. In welchen Diskotheken die schönsten Frauen tanzen, welche Automarken angesagt sind und welche Schleichwege an den Moskauer Dauerstaus vorbeiführen, ist ohne größere Lauscharbeit zu hören; die Ohren weiter öffnen muss man, wenn man erfahren will, wo sich die stil-sichere Moskauerin die Haare epilieren lässt, und welche Aktien Banker als ihre Favoriten handeln.
Der hohe Informations-Gehalt kommt nicht von ungefähr: Meine Sauna in der Konnij-Gasse ist kein gewöhnlicher Schwitzraum: Sie gehört zum Fitness-Center „Orange“. Dass der so ergiebig für den neugierigen Gast ist, hat wohl vor allem einen Grund: Anders als in der gemeinen russischen Banja, wo sich die Männer mit Birkenzweigen traktieren und die Eintrittspreise manchmal noch erschwinglich sind, ist „Orange“ nur im Jahresabo zugänglich – und das kostet stolze 55.000 Rubel, rund 1600 Euro. Für die teuerste Stadt der Welt fast ein „Schnäppchen“ – zumal Badetuch und Seifenspender inklusive sind und die Empfangsdamen mit ihren kurzen Röcken und engen Blusen direkt vom Laufsteg zu kommen scheinen. Dass Iwan Normalverdiener bei „Orange“ auch ohne Sauna ins Schwitzen kommt, liegt allerdings weniger an solchen Anblicken als an den Preisen – und so ist der Kundenkreis sehr erlesen – und offenbar geschäftstüchtig.
Die Umkleide-Kabine gleicht manchmal eher einem Call-Center: Zuweilen bekommt man beinahe Komplexe und fühlt sich völlig unwichtig, wenn man zwischen dem Ausziehen von Hemd und Socken sein Handy ausschaltet und deshalb keine Anrufe bekommt – während die Männer an den Nachbar-Umkleideschränken lautstark Vertragsabschlüsse absprechen, ihre Mitarbeiter dirigieren oder Aktien an- und verkaufen. Wer glaubt, wir Deutschen seien besonders technikverliebt, wird in der Orange-Sauna eines Besseren belehrt. Selbst beim Schwitzen wollen manche Moskowiter nicht auf ihren Walkman, das Handy oder die Spiele in ihrem Mini-Computer verzichten. Auf die logische Frage, ob diese Geräte nach Russland nicht nur mit einem speziellen Kälte-, sondern auch Wärmeschutz ausgeliefert werden, weiß ich keine Antwort. Ebenso wie ich mir lange Zeit nicht erklären konnte, was es mit dem Kopfhörer auf sich hat, den einer der Dauer-Gäste beim Schwimmen trägt – ich tippte auf ein militärisches Geheimnis, die Miniaturausgabe eines Unterwasser-Radars, das sonst in U-Booten zum Einsatz kommt. Bis meine Neugierde überhand nahm und ich nachfragte: Es handelt sich um einen Unterwasser-Walkman.
Ungewöhnlicher Kopfschutz
So sehr die zahlungskräftigen Russen bei „Orange“ moderne Technik lieben, und so wenig sie diese schonen – um so sorgsamer gehen sie mit ihren körpereigenen Hochleistungsrechnern um – und greifen zu deren Schutz auf eher unmoderne Methoden: Ahnungslose Deutsche, die meine Sauna zum ersten Mal betreten, würden sich vielleicht tief in den Tiroler Bergen fühlen – schwitzt ein Großteil der Russen doch mit Filzhüten auf dem Kopf, die jedem hochalpinen Bergbauern zur Ehre gereichen würden. Kein Wunder: Bei 115 Grad braucht man viel Gottvertrauen und noch mehr Selbstbeherrschung, um kühlen Kopf zu bewahren. Vielleicht ist die Hitze auch einer der Gründe für die strikte Kleiderordnung, wie mir einer der Damen am Empfang ganz zu Beginn erklärte: „Dafür, dass Frauen und Männer ohne Kleidung gemeinsam in einem Raum sitzen könnten, sind wir Russen auch ohne Sauna viel zu hitzig“.
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Text: br
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