Auckland: Quarantäne in der City of Sails Ein Leserbericht

Leser aus aller Welt schicken mir ihre Erfahrungsberichte, wie sie vor Ort die Corona-Politik erfahren. Neuseeland beklagt nach gut einem Jahr Krise nur 26 Tote. Doch, den das Land dafür bezahlt,  ist hoch. Ein Leser, der dort wohnt und im November einreiste, musste in die übliche Quarantäne – und berichtet von Hofgang, Ausgehverbot und hermetischer Abriegelung. Seinen Bericht finde ich ausgesprochen spannend und interessant – darum lege ich ihn Ihnen besonders ans Herz. Auch, weil man ja dazu neigt, im eigenen Haus besonders kritisch zu sein oder besonders empört über das, was geschieht. So wenig das, was in Neuseeland geschieht, geeignet ist, das Geschehen bei uns zu relativieren – es hilft doch bei der Einordnung. Langer Vorrede kurzer Sinn – hier sein Bericht aus Neuseeland:

Mit gemischten Gefühlen verließ ich am 15. November letzten Jahres München. Mein Ziel war Auckland und ich wusste, mir steht eine 14-tägige Quarantäne in einem Hotelzimmer nicht meiner Wahl bevor. Was ich nicht wusste, ob meine Psyche robust genug war, um das alleine zu verkraften. Allerdings konnte ich mein Schicksal selber wählen: Entweder gemeinsam mit meinem Mann von Tahiti nach Auckland segeln oder alleine in „Haft“ zu gehen. Da Wasser nun so gar nicht mein Element ist, wählte ich Klausurtage von Neuseelands Gnaden. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera. Abgesehen davon mussten wir nach Neuseeland: Wir hatten 2016 aufgrund der Flüchtlingspolitik nach einer Alternative zu Deutschland gesucht. Es blieb eigentlich nur Neuseeland – gesagt, getan. Gemeinsam mit unseren beiden erwachsenen Kindern beantragten wir die Permanent Residence. Sie wurde bewilligt, war aber über einen gewissen Zeitraum an bestimmte Bedingungen geknüpft, bevor man dann die immerwährende Aufenthaltserlaubnis bekommt. Eine Bedingung war, eine genau definierte Zeit im Land zu verbringen. 2019 haben wir eine im Bau befindliche Wohnung in Auckland gekauft, die nun fertig war und abgenommen werden musste.

Neuseeland fuhr und fährt eine sehr restriktive und konsequente Anti-Covid-19-Strategie. Ministerpräsidentin Jacinda Ardern und ihre politischen Verbündeten schlossen recht früh, Anfang März 2020, die Grenzen für Nicht-Staatsbürger und verhängten ab Mitte März einen zweimonatigen, mal mehr, mal weniger harten Lockdown. Mit Erfolg: Bis heute starben „nur“ 26 Menschen (Stand 8.2.2021). Zur Zeit gibt es 86 aktive Fälle, von denen 63 aus den Quarantäneeinrichtungen sprich heimkehrende Kiwis oder permanent Ansässigen stammen (Stand 29.3.2021, Quelle: www.health.govt.nz). Kürzlich war die mediale Aufregung groß: Eine Frau erkrankte fünf Tage nach der Quarantäne-Entlassung aus einem Hotel in Auckland an Covid – das war auch für die hier tätigen und beratenden „Drostens“ neu und unerklärlich. Anders als in Europa wird hier jeder Fall untersucht: Die Frau hatte die südafrikanische Mutante. Und, auch anders als in Deutschland, trägt die Mehrheit der Kiwis die Maßnahmen mit. Sie bewundern Ardern für ihren lebensrettenden Kurs. In Auckland hängt an jedem Geschäft, an jeder Ecke ein QR-Code-Schild und die Kiwis nutzen ihre Tracer-App fleißig. Sie verschwenden keine Gedanken an Tracing und Überwachung, man nimmt, was praktisch ist.

Digitalisierung? Super. 5G? Klar, warum nicht? Dagegen ist Deutschland ein Dritte-Welt-Land. Presse und Politik waren voll des Lobes, dass die erkrankte Frau sehr gewissenhaft ihre App genutzt hatte. So konnten 168 Leute, die zur selben Zeit an denselben Ort waren, auf ihren Handys gewarnt werden und sich sofort in häusliche Quarantäne begeben. Eine Liste der Geschäfte, Museen etc., die die Frau besucht hatte, wird auf der Seite des Gesundheitsministeriums und in der Zeitung veröffentlicht. So etwas bereitet mir Unbehagen, das hatte etwas von „anprangern“. Für die Kiwis bedeutet das: Man kann die Infektionsketten sofort nachvollziehen und unterbrechen.

Am 17. November 2020 landete ich aus München mit Zwischenstopp in Doha und Brisbane (Australien) in Auckland. Die Maschine war bis Doha relativ gut gebucht, ab Doha ziemlich leer. Das Tragen der Maske während des insgesamt 28-stündigen Fluges war Pflicht. Allerdings wies die Crew niemanden zurecht, der seine Maske auf dem Sitzplatz nicht trug. Die Einreise war komplikationslos. Nach der Gepäckausgabe drückte ein staatlicher Mitarbeiter des Gesundheitsamtes jedem Passagier einen Zettel mit einem Buchstaben in die Hand: Mein Buchstabe lautete B. Einige Meter weiter stand der nächste Mitarbeiter, maß Fieber und dechiffrierte den Buchstaben. B war der Code des Hotels, das Ticket für den Busfahrer. Ich war erleichtert. Es war ein 5-Sterne Hotel im Stadtzentrum. Das konnte nicht schlecht sein. Ein Bekannter von mir, ein Kiwi, hatte es einige Wochen zuvor deutlich schlechter getroffen: Er war in einem 3-Sterne-Hotel am Flughafen untergebracht und schaute 14 Tage auf eine Betonwand. Er meinte, ich sollte unbedingt Messer, Gabel, Löffel mitbringen, das Plastikbesteck zum Essen brach bei kleinster Belastung durch. Ich habe es kein einziges Mal gebraucht.

Der Bus stand bereit, es interessierte niemanden, wer sich wohin setzte. Im Bus saßen alle Fahrgäste ganz normal nebeneinander, allerdings mit Maske. Im Hotel wurden wir noch im Bus mit den Regeln, die ab jetzt herrschten, vertraut gemacht. Aussteigen nacheinander, diesmal mit Abstand. Hände desinfizieren, Fieber messen. Am letzten Checkpoint hinter einer Plexiglasscheibe und mit Maske schob mir ein junger Mann vom Militär mein Welcome-Packet unten durch den schmalen Schlitz hindurch. Im Organisieren sind die Neuseeländer ausgezeichnet. Um es vorweg zu sagen: Alle Mitarbeiter, die ich traf, vom Militär bis zur Krankenschwester, waren überaus freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Eine Station weiter durfte ich mir eine Tüte mit Frühstück schnappen und musste dann sofort auf mein Zimmer.

Das Zimmer im 11. Stock war ca. 35 qm groß, sauber und hell. Ich war erleichtert. Dort konnte ich es 14 Tage aushalten. Ich schaute aus dem Fenster und wunderte mich über die bemaskete Menschen-Schafherde, die gegenüber auf der kleinen Terrasse im Kreis trottete. Erbärmlich! Wie tief ist die Menschheit gesunken – das waren meine Gedanken, noch nicht wissend, dass ich einen Tag später mit im Gleichschritt trotten würde. Als ich mein Welcome-Packet durchlas, war mir klar, wer die Schafsherde war. Die Regeln waren wie folgt: Zimmer durfte nicht verlassen werden, es sei denn um in der großen Lobby einen der heiß begehrten Termine für den „Hofgang“ am nächsten Tag auszumachen. Jeder durfte einmal am Tag für 40 Minuten an die frische Luft – oben auf die besagte kleine Rooftop Terrasse mit maximal 15 Personen unter den Augen des Militärs. Rennen oder körperliche Übungen waren strengstens untersagt und wurden auch sofort freundlich, aber konsequent unterbunden. Der Aufzug durfte nur von einer Person benutzt werden. Abstand halten – war selbstverständlich. Überhaupt war das Hotel hermetisch abgeriegelt und von Polizei und Militär bewacht, dafür hatte man die Jungspunte eingesetzt. Brave Schafe zu hüten ist eben nicht sehr herausfordernd. Von Freunden hörte ich, dass sie einmal am Tag mit dem Bus auf eine Wiese zum Weiden gefahren wurden, weil das Hotel über keine Terrasse verfügte.

Zusätzlich zum Freigang durfte man auch auf die ehemalige Hotel-Zufahrt, die selbstverständlich eingezäunt war, um seine kurzen Kreise zu ziehen. Ich hatte mir einen strengen Tagesrhythmus auferlegt. Morgens rannte, ja richtig gelesen, joggte ich vier Kilometer durch mein Zimmer. Anschließend musste das Gummi-Theraband der Zerreißprobe dienen. Dann Freigang, da schaffte ich weitere vier Kilometer und nachmittags nochmal vier Kilometer kreisend auf der zehn mal vier Meter großen „Hotelzufahrt“. Seit meiner Entlassung habe ich ein „Im Kreis gehen“-Trauma. Per Mail musste man das Essen für die nächsten fünf Tage bestellen – es wurde dann von unsichtbaren Geistern vor die Tür gestellt, ein lautes Klopfen – hätte nicht sein müssen, in unruhiger Erwartung auf die Highlights des Tages, hätte ich das leiseste Klopfen wahrgenommen und ich stürzte zur Tür. Das Essen – natürlich alles im umweltfreundlichen Einmal-Geschirr – war ein Graus zumindest in meinem Hotel, von anderen hörte ich auch Gutes. Aber auch damit fand ich mich ab. Es hätte schlimmer kommen können. Ich bin hier Gast und ich habe mich an die Regeln zu halten. Ich tue es freiwillig. Ich hätte auch Uber Eat bestellen können.

Jeden Morgen kam die/der Krankenschwester/-pfleger vorbei und maß an der Tür und mit Abstand Fieber, fragte nach dem körperlichen und psychischen Wohlbefinden. Am Tag 3 erster Covid-Test mit negativem Ergebnis bei mir – allerdings wurde eine Person aus meinem Flugzeug positiv getestet. Oh Gott. Das bedeutete drei Tage komplettes Ausgehverbot. Keine Kreise trotten – nichts. Also vertrieb ich mir die Zeit mit Sport am Morgen, Sport am Nachmittag dazwischen Lesen, Filme schauen, Karten legen, Wein trinken (am Abend) etc..

Nach 14 Tagen hatte ich mich so an mein Leben in meiner um mich kreisenden Welt gewöhnt, dass ich es gar nicht eilig hatte, heraus zukommen. Nach Fiebercheck, Formulare ausfüllen und mit negativem Corona-Test (Tag 12) stand ich nun mit meinen beiden großen Koffern in Freiheit und konnte es zunächst nicht fassen, nicht genießen. Ich war draußen, gut, aber so schlecht war es drinnen auch nicht! Ich musste mich um nichts kümmern, war wohl behütet in meiner Blase. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass man auf das Gefühl der „Freude“ warten musste. Entweder hatte ich schon ein Stockholm-Syndrom entwickelt oder es war das, was Professor Rainer Mausfeld (emeritierter Professor für allgemeine Psychologie, Uni Kiel) mal in „Warum schweigen die Lämmer?“ beschrieb, dass Menschen ungern den Status Quo ändern würden, selbst wenn die Alternative dazu objektiv betrachtet die bessere ist (aus dem Gedächtnis aufgeschrieben).

Der indische Taxifahrer brachte mich in mein Hotel (die Wohnung war doch noch nicht fertig) und ich fragte ihn, wie er die Corona-Politik von Ardern fände, er war voll des Lobes. Allerdings muss man dazu sagen: Nach den harten Maßnahmen haben die Menschen – anders als in Deutschland – ich nenne es „ihr Leben zurückbekommen“. Die Neuseeländer (natürlich nicht alle) sind ein sehr offenherziges, tolerantes Volk – hier leben viele Kulturen und Ethnien zusammen – sie sind trinkfest und partyfreudig. Hier wird gefeiert, getanzt, gelacht, gelebt – hier tobt das Leben ganz normal. Ich liebe es, freitags am frühen Abend ins Hafenviertel zu gehen, aus allen Kneipen und Restaurants dröhnt laute Musik, lebensfrohe Menschen, die sich zur Begrüßung umarmen und zum Abschied küssen. Ohne Maske, ohne Abstand, ganz unbeschwert. Masken tragen ist nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht. Natürlich gibt es auch ängstliche Neuseeländer: Die chinesische Frau eines deutschen Bekannten, der seit 30 Jahren hier lebt, hat panische Angst vor Corona, trägt draußen Maske und schüttelt keine Hände, hält Abstand. Jeder wie er es mag.

Inzwischen haben wir unsere Wohnung bezogen und auch unsere neuen Nachbarn kennengelernt – alle so um die 60 Jahre. Man trifft sich und diskutiert – auch sie finden die Maßnahmen angebracht. Auch wenn der Tourismus am Boden liegt und es auch hier zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommen wird. Selbst vorsichtige Kritik von mir bei Diskussionen an der mRNA Impfung oder „man kann doch nicht dauerhaft die Grenzen schließen bzw. einen Virus dauerhaft eliminieren“ – diese Einwände kann hier keiner auch nur im Ansatz nachvollziehen. Wie lange wollt ihr denn noch die Grenzen schließen? Antwort: Bis alle geimpft sind, dann kommen auch die Touristen wieder. Bis dahin geben doch die Kiwis, die natürlich auch nicht ins Ausland reisen, ihr Geld im Land aus. Die Möbel- und Baubranche boomt. Trotzdem sind fast alle Backpacker-Hotels und auch viele Hotels bzw. Motels geschlossen, weil es sich nicht lohnt. Ganz zu schweigen von den Camper- und Autovermietern. Warum ich mich nicht impfen lasse, versteht niemand. Im April gehen hier (angeblich – denn auch hier wird Kritik wegen der späten Lieferung laut) die Impfungen los und da wird man sich so schnell als möglich impfen lassen.

Andererseits ist es schön zu beobachten, dass diese Gesellschaft in ihrer Vielfalt doch in Punkto Pandemiebekämpfung und Impfung weitgehend einer Meinung ist. Auch wenn es nicht meine Meinung ist. Deutschland ist ein gespaltenes Land dank der unermüdlichen Arbeit der Großen Vorsitzenden und ihrer braven Gefolgsleute. Neuseeland ist sich einig, in dem was man tut und wie man es tut. Für einen so kleinen Inselstaat mit knapp fünf Millionen Einwohnern mag es die richtige Strategie sein, für Deutschland oder Europa halte ich die Strategie für nicht umsetzbar. Und der entscheidende Unterschied: Die Neuseeländer leben wie vor der Pandemie, unsere Politiker machen in ihrem Adrenalin-Verbotsrausch sogar die Hoffnung darauf sofort zunichte.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Bilder: travellight/Shutterstock
Text: Gast

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