Haben kritische Überschriften im „besten Deutschland aller Zeiten“ nur eine kurze Halbwertzeit. „Masketragen: Dann hat das Immunsystem keine Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen“ – ein Freund schickte mir heute kurz vor Mittag einen Link auf einen Welt-Artikel mit dieser Schlagzeile. Als ich ihn öffnete, war sie weg. Und ein ganz anderer, weitaus harmloserer Text in der Überschrift: „Jetzt plädieren Mediziner bei den Masken für einen Mittelweg“. Auch die URL, also die Internet-Adresse, war eine andere. Drückte man auf „https://www.welt.de/politik/deutschland/plus240043115/Masketragen-Dann-hat-das-Immunsystem-keine-Moeglichkeit-sich-damit-auseinanderzusetzen.html“, landete man automatisch bei „https://www.welt.de/politik/deutschland/plus240043115/Corona-Jetzt-plaedieren-Mediziner-bei-den-Masken-fuer-einen-Mittelweg.html“. So war die Veränderung nicht erkennbar. Kritische Leser sandten mir nun den Hinweis, alles sei umgekehrt – die kritische Überschrift sei da. Ob mich meine Links in die Irre führten oder die „Welt“ nochmal umdisponierte – ich kann es ihnen leider nicht sagen.
Ein Transparenz-Hinweis, dass die Überschrift geändert wurde, fehlt unter dem Beitrag, und kann ich nur im Dunklen stochern. Was ist passiert? Ein technischer Defekt? Möglicherweise auch bei mir? Oder war dem Blatt, bei dem ein heftiger Konflikt tobt zwischen kritischen Journalisten wie Tim Röhn und solchen, die stramm auf Linie sind, die Überschrift zu heiß – angesichts der Tatsache, dass die „Welt“ inzwischen ins Zielfernrohr von sogenannten „Faktenfindern“ geraten ist? Diese versuchen nämlich – mit Hilfe von Steuergeldern und Unterstützung von Großkonzernen – nun sogar die „Welt“ zu diffamieren (unsereiner ist das ja schon längt gewohnt).
Überschrift hin oder her – Fakt ist: Da der Artikel hinter einer Bezahlschranke steht, werden die meisten Leser die Brisanz nicht in vollem Umfang erkennen können. Die versteckt sich vor allem hinter folgendem Satz – der nur Bezahlkunden zugänglich ist: „Laut der Barmer, mit 8,7 Millionen Versicherten eine der größten Krankenkassen in Deutschland, war die Zahl der Atemwegserkrankungen ohne Corona zuletzt mehr als dreimal so hoch wie im vergangenen Jahr. Das teilte die Versicherung auf Anfrage von WELT mit.“
Das sitzt.
„Auf 10.000 Versicherte kamen in der Woche zwischen Juni und Juli 139 Fälle, die wegen einer Atemwegserkrankung krankgeschrieben wurden – im Vergleich dazu waren es im Vorjahr zwischen 45 und 47″, heißt es in dem Beitrag. „Gegenüber dem Vorjahr zeigt sich damit insgesamt eine deutliche Steigerung um bis auf das Vierfache“.
Wie bereits gestern auf meiner Seite berichtet, glaubt der Chef des saarländischen Hausärzteverbandes, Michael Kulas, das dauerhafte Tragen von Masken sei einer der Gründe für diese Entwicklung. Aktuell sähen wir, welche Folgen es habe, wenn das Immunsystem durch Hygienemaßnahmen zu sehr geschont werde, sagte der Ärzte-Chef der „Saarbrücker Zeitung“: „Wir müssen unser Immunsystem wieder hochfahren.“ Kulas appellierte, die Masken auch mal wegzulassen. Ein Albtraum für Masken-Fanatiker wie Karl Lauterbach.
Die „Welt“ kommentiert das unter Ausschluss der Mehrheit der Leser hinter der Bezahlschranke, also sozusagen mit Mut mit angezogener Handbremse, wie folgt: „Das lässt aufhorchen. Die Maske ist ein politisches Symbol geworden; ein sozialer Code, an dem vermeintlich sofort erkennbar ist, wie Menschen politisch einzuordnen sind – irgendwo zwischen ‘Querdenker‘ und panischem Moralapostel. Zwischentöne, wie die von Kulas, sind seltener geworden. Dabei zeigen Nachfragen: Gesundheitsverbände teilen seine Einschätzung.“
Auch Kulas ruderte mittlerweile etwas zurück. „Die Masken seien zu einem Zeitpunkt sehr sinnvoll gewesen, als das Wissen zu Übertragungswegen des Coronavirus gering war“, sagte er im Telefonat mit der „Welt.“ Wer heute als Arzt an den heiligen Lehrsätzen der Corona-Politik auch nur sanfte Zweifel äußert, muss damit rechnen, faktisch zum Aussätzigen zu werden. Dabei sagt Kulas nur Offensichtliches: „Heute wisse man aber, dass das Risiko besonders in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen hoch sei“, so zitiert ihn die „Welt“. Dennoch sehe man draußen Leute mit Masken. „Das ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll, unter anderem, weil das Immunsystem nicht mehr trainiert wird. Wenn Sie sich immer mit der Maske vor allem schützen, was sich da draußen in der Luft bewegt, hat das Immunsystem keine Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen.“
Genau dieses fehlende Training ist nach Ansicht von Kulas einer der Auslöser für die vielen Atemwegserkrankungen – was nun auch die Zahlen der Barmer indirekt bestätigen: „Am Ende führt es genau zu dem, was wir nicht wollen, dass in der kritischen Infrastruktur zu viele Menschen krankheitsbedingt ausfallen“, so der Arzt zur Welt. Um dann sofort wieder vorsichtig zu sein: „Das heißt nicht, dass man überhaupt keine Maske mehr tragen sollte – sondern in Situationen, in denen besonderer Schutz erforderlich ist. Die Maske kann nicht vor allen Eventualitäten schützen; das gelingt nicht und verhindert auf Dauer eine angepasste Immunantwort.“
Dabei ist Kulas nun nicht mehr allein mit seiner ketzerischen Meinung. Auch der Deutsche Hausärzteverband zielt laut „Welt“ in die gleiche Stoßrichtung: „Die Abstands- und Hygieneregeln, die grundsätzlich ein wichtiges Element zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus waren und sind, führen natürlich dazu, dass die Menschen auch mit anderen Viren weniger in Kontakt kommen.“ Wenn Menschen nun wieder mehr und engeren Kontakt hätten, steige auch die Zahl der Atemwegserkrankungen, die derzeit saisonal untypisch seien.
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sieht laut „Welt“ eine Maskenpflicht für Kinder „eher kritisch“, weil diese eher nicht zur Belastung des Gesundheitssystems beitrügen. „Wahrscheinlich wäre ein Mittelweg genau das richtige. Das Tragen einer medizinischen Maske insbesondere von gefährdeten Menschen und überall dort, wo das Gesundheitssystem zu kollabieren droht“, erklärt eine Sprecherin dem Blatt zufolge. Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), Torsten Bauer, folgt laut dem Blatt der Einschätzung des Saar-Hausärzteverbandes.
Parallel dazu will die Ampel-Regierung eine Maskenpflicht ab Herbst wieder gesetzlich ermöglichen – obwohl Verfassungsrechtler eine allgemeine Maskenpflicht für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz halten (siehe hier). Umso wichtiger sind Artikel wie der in der „Welt“ – und umso bedauernswerter, dass die Kollegen die Überschrift selbst kastriert haben und der wichtige Text nur hinter einer Bezahlschranke zu lesen ist.
Etwas mehr Mut und Standfestigkeit wäre schön, liebe Kollegen!
Bild: ShutterstockText: br
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