Belarus und das Schweigen in Berlin: Warum ich mich fremdschäme

Es ist eine Schande für Europa. Direkt an der Grenze zur EU, gar nicht allzu viele Autostunden von Berlin entfernt, führt der Weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko einen Krieg gegen das eigene Volk. Er setzt die Armee gegen die Bürger ein, die sich die dreiste Fälschung der Präsidentschaftswahlen am Sonntag nicht gefallen lassen wollen.

Ich kenne die Situation in Belarus, wie Weißrussland heute auch in Deutschland oft genannt wird, aus eigener Erfahrung seit fast 30 Jahren. Der frühere Polit-Instrukteur der Sowjetarmee und Direktor einer Sowchose (eines landwirtschaftlichen Staatsbetriebs) Lukaschenko regiert das Land mit eiserner Hand. Diverse Kritiker kamen unter mysteriösen Umständen ums Leben oder wurden weggesperrt. Die Oppositionskandidatin Svetlana Tichanowskaja, die nach Ansicht vieler Beobachter die wahre Siegerin der Wahlen ist, wurde zur Flucht ins Ausland getrieben.

Zuvor verlas sie eine Erklärung, bei der wohl allen Menschen mit Diktatur-Erfahrung der Atem stockt, weil sie ein bekanntes Muster darin wieder erkennen. Ohne die Augen aufzurichten verliest die 37-Jährige monoton vom Blatt, sie erkenne den Sieg des Diktators an und rufe die Bürger auf, die Proteste zu beenden. Eine 180-Grad-Wende gegenüber ihren Erklärungen nach der Wahl, den Betrug nicht zu akzeptieren. Tichanowskajas Mann ist bereits im Gefängnis. Man mag gar nicht daran denken, womit sie erpresst wurde.

Einen Tag vor der Wahl wurden zwei enge Vertraute von Tichanowskaja festgenommen. Schon am Abend des Urnengangs ließ Lukaschenko den Protest niederknüppeln und rund 3.000 Menschen festnehmen. Die Gefängnisse in dem kleinen Land mit 9,5 Millionen Einwohnern zwischen Polen, Russland, Litauen und der Ukraine sind nach Augenzeugenberichten überfüllt, teilweise sollen deshalb Inhaftierte gezwungen werden, lange auf den Höfen auf dem Boden zu liegen mit dem Gesicht nach unten. Ein Demonstrant ist bereits um Leben gekommen.

Ich verfolge in jeder freien Minute das Geschehen in Minsk, so gut es geht, in den russischen Oppositionskanälen. Ich mache mir große Sorgen um die vielen Menschen in Minsk, die ich in all den Jahren kennen und schätzen gelernt habe. Viele sind mutige Kämpfer für Freiheit und gegen Willkür, trotz Gefahr für Leib und Leben, denen sie sich damit aussetzen. Ihren Mut würde ich vielen hier in Deutschland wünschen, die nur aus Angst um Karriere und Privilegien den Mund halten und sich anpassen.

Ich wünsche den Menschen in Belarus von ganzem Herzen, dass sie eine freie Zukunft haben und sich das Land aus dem Würgegriff eines in meinen Augen völlig von der Realität losgelösten Despoten befreien kann. Ich schreibe das nicht einfach so dahin, sondern als Quintessenz aus 20 Jahren intensiver Beschäftigung mit dem Land, und auch aus den Erfahrungen von persönlichen Begegnungen mit Lukaschenko.

Ich ziehe meinen Hut vor den mutigen Menschen, die trotz Lebensgefahr auf die Straße gehen. Und ich kann mich nur fremdschämen für unsere Politiker, die keine klaren Worte finden. Ein Leser hat mir diese Fotocollage geschickt. Außenminister Heiko Maaß fand bisher nur sehr verhaltene Worte der Kritik für das Vorgehen der Regierung in Minsk. Bei Trump ist das ganz anders:

Merkel, die sonst gerne die US-Amerikaner und Trump ermahnt, hüllt sich in Schweigen. Ihr Sprecher äußerte sich nur vorsichtig. Er habe „Zweifel“. Das ist fast schon Beihilfe.

FDP-Chef Christian Lindner war erst noch kürzlich in der ersten Hochphase der Corona-Pandemie in herzlicher Umarmung mit Steffen Göpel, einem deutschen Immobilien-Unternehmer und Honorar-Konsul Lukaschenkos in einem Berliner Nobellokal abgelichtet worden.

In den deutschen Medien wird zwar berichtet über die Ereignisse in Minsk, und auch durchaus ausführlich. Doch in die großen Schlagzeilen schafft es die Tragödie in Belarus nicht. Warum können meine Kollegen nicht das, was in Belarus passiert, so groß in den Vordergrund stellen, wie sie das sonst in großer Regelmäßigkeit mit dem Trump-Bashing tun? Warum können sie nicht mal statt des US-Präsidenten, statt Urban in Ungarn und Duda in Polen die eigene Regierung laut kritisieren – für ihr schändliches Wegducken?


PS: Bei der Bezeichnung ausländischer Städte halte ich es normalerweise mit dem Sprachpapst Wolf Schneider und finde die Umbenennung in Originalbezeichnungen in der jeweiligen Fremdsprache unsinnig. Ich fand es nie diskriminierend, dass Briten Köln „Cologne“ nennen und München „Munich“. Ich habe keinen Russen getroffen, der forderte, man müsste die Eigenbezeichnung „Rossija“ verwenden für sein Land, und keinen Moskowiter, der es kränkend fand, dass wir seine Stadt nicht „Moskwa“ nennen. Ich kann deshalb nur schwer nachvollziehen, dass etwa manche Ukrainer fordern, man müsse jetzt „Ky­jiw“ schreiben statt Kiew. Aus Achtung gegenüber den Menschen in Weißrussland in diesen für sie schweren Tagen benutze ich hier aber auch ihre Eigenbezeichnung „Belarus“, weil das vielen sehr wichtig ist. Trotz aller grundsätzlichen Bedenken gegen diese Art der Sprachkorrektur.


Bild: Screenshot Facebook / Screenshot twitter / Nexta Text: br

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