Beruht der Lockdown-Beschluss auf falschen Zahlen? Experte: RKI-Angaben sind unbrauchbar

Die wesentliche Grundlage für die Verschärfung und Verlängerung des Lockdowns, die Angela Merkel heute mit den Ministerpräsidenten beschlossen hat, (bzw. diesen abrang , so wie die Verhandlungen verliefen), sind die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Darunter auch die Todeszahlen. Doch just an diesen tauchen nun Zweifel auf. „Ein Berliner Forschungsinstitut hat berechnet, dass die täglich veröffentlichten Covid-Sterbezahlen im Durchschnitt über drei Wochen alt sind. Das wirft grundlegende Fragen zum aktuellen Pandemie-Management auf – und zu den geplanten Lockdown-Verschärfungen“, schreibt die Zeitung „Welt“ heute in einem Beitrag, der hinter einer Bezahlschranke steht. Was sehr bedauernswert ist. Denn würden ihn viele Menschen lesen, kämen sicher viele davon ins Zweifeln, was die abzusehenden Verschärfungen angeht. Geschehen diese doch offensichtlich zumindest teilweise im Blindflug.

Den Angaben zufolge waren etwa von den 1.113 am 15. Januar durch das RKI gemeldeten neuen Todesfällen nur 20 an eben diesem Tag verstorben. Das beteuert der Mediziner und Soziologe Bertram Häussler. Er ist Leiter des unabhängigen Gesundheitsforschungsinstituts IGES in Berlin. Gemeinsam mit seinem Team bringt er seit August 2020 einen „Pandemie-Monitor“ heraus. Dieser enthält wissenschaftliche Analysen in Sachen Covid-19 und Infektionsgeschehen.

In der Ärztezeitung, wo nur ein eng begrenztes Fachpublikum liest, schreibt Häussler: „Im neuen Jahr scheint alles noch viel schlimmer: So berichtet etwa die ‘FAZ‘ am 14. Januar: ‘Abermals neuer Höchststand an Corona-Todesfällen. Binnen 24 Stunden wurden 1244 weitere Todesfälle gezählt, wie das Robert Koch-Institut unter Berufung auf die Gesundheitsämter mitteilte‘. Was aber, wenn sich die zitierten 1244 Todesfälle gar nicht in den vergangenen 24 Stunden ereignet haben? Was aber, wenn diese Zahlen rund vier Wochen alt sind und jetzt erst beim RKI ‘aktenkundig‘ werden?“

Die täglich vom RKI veröffentlichte Zahl der Covid-Todesfälle sei „kaum aussagekräftig“, so Häussler im Interview mit der „Welt“. Sie seien im Durchschnitt über drei Wochen alt: „Die reflektieren nicht den gestrigen Tag, wie es oft über die Medien kommuniziert wird, sondern die vergangenen Wochen. Das RKI selbst erweckt zwar nicht diesen Eindruck – die Behörde müsste aber angesichts der massenweisen falschen Rezeption schon längst gesagt haben: Stopp, diese Zahlen können so nicht interpretiert werden.“

Als Grund nannte Häussler unter anderem, das viele Kliniken am Limit seien. Die Todesbescheinigung kämen deshalb über das Standesamt, das sie an die Gesundheitsämter weiterleitet, erst nach Tagen an. In den Ämtern sei dann die „Zuordnung“ als Covid-19-Tote aufwendig und zeitintensiv. Die Gesundheitsämter seien überlastet.

Über die Verzerrung der Statistik sei sich aber „eine Mehrheit der Entscheidungsträger“ nicht bewusst, so Häussler: Die „geht immer noch davon aus, dass die Sterbezahlen die vergangenen 24 Stunden darstellen …“ Die Schlussfolgerung des Mediziners im Gespräch mit der „Welt“: Ein verschärfter Lockdown sei gar nicht  nötig. „Uns droht ein Mega-Lockdown auf Basis unbrauchbarer Zahlen. Außerdem ist bereits erkennbar, dass der bestehende Lockdown wirkt. Die Zahl der Intensivpatienten sinkt laufend seit dem 4. Januar. Dies ist auf den Rückgang der Neuinfektionen seit dem 26. Dezember zurückzuführen, der wiederum eine Folge des dritten Lockdowns ist, der seit dem 15. Dezember gilt.“

Weiter führt Häussler aus: „Denn dazwischen waren genau zehn Tage – also die Zeit, die ein Lockdown meist braucht, um Wirkung zu zeigen. Es passt also alles exakt zusammen. Dieser Rückgang der Intensivpatienten ist ein sicheres Zeichen, dass wir seit dem 4. Januar auch weniger Todesfälle haben, obwohl das im Moment nicht in den veröffentlichten Zahlen zu sehen ist.“ 

In der Ärztezeitung schrieb Häussler von einer „Bankrotterklärung der Berichtssysteme“: „Und was ist heute los? Geht die Zunahme der Sterbefälle einfach so weiter oder wirkt der Lockdown nicht wenigstens ein bisschen? Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es schlichtweg nicht, weil uns unsere offiziellen Berichtssysteme weitgehend im Stich lassen.“ Und das zehn Monate nach Beginn der Krise. Das Fazit des Mediziners: „Dieses Meldesystem hätte am Ende des vergangenen Jahres seinen Bankrott erklären müssen. Es hat zu keiner Phase der Pandemie die Hinweise geliefert, die für gezielte Maßnahmen erforderlich gewesen wären. ‘Diffuses Geschehen‘ war mehr oder weniger das einzige, was aus ihm herausgedrungen ist, obwohl es in der Lage wäre, die Schlüsselinformationen zu liefern … Das öffentliche Meldesystem ist für diese Pandemie nicht mehr flächendeckend reformierbar.“

Diese Aussagen müssten die Sprengkraft einer journalistischen und politischen Bombe haben. Das RKI müsste heute mit Fragen überrannt werden und die Medien die Vorwürfe breit veröffentlichen. Es müsste eine breite Diskussion stattfinden. Stattdessen sind sie nur hinter einer Bezahlschranke in der „Welt“ zu lesen. Es wird immer offensichtlicher, auf welch dünnem Eis die Kanzlerin sich mit ihrer strikten Corona-Politik bewegt. Noch scheint zwar eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Deutschen dahinter zu stehen – wie die aktuelle INSA-Umfrage ergibt, die ich in Auftrag gegeben habe. Doch dies ist wohl vor allem auf die massive Stimmungsmache und das Angstschüren in den Medien zurückzuführen. Eben deshalb könnte die Stimmung sehr schnell kippen. Weil das für Merkel sehr gefährlich wäre, wird sie wohl alles tun, um den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.


Hier noch einige Tweets von mir zur der heutigen Konferenz:


Bild: Chenspec/Shutterstock
Text: br


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