Bloß nicht zu kritisch? Säuberung bei der Berliner FDP

Oppositions-Arbeit besteht eigentlich darin, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Bei der FDP – und auch anderen Oppositionsparteien – hat man immer öfter den Eindruck, sie tun das Gegenteil. Daran hat man sich leider schon gewöhnt. Was die Liberalen jetzt in der Hauptstadt aufführen, wo Opposition besonders bitter nötig wäre, ist selbst für die Verhältnisse in Merkel-Deutschland ungewöhnlich. Und ein Nutzer auf twitter fasste es in einem einzigen Satz zusammen, einer Art Hilfe-Ruf an die FDP-Fraktion: „Ihr schließt den einzigen Grund, warum man überhaupt noch die Berliner FDP wählen sollte, aus eurer Fraktion aus?“

Aber der Reihe nach, weil für mich auch eine persönliche Geschichte mit der Nachricht verbunden ist. Vor einigen Wochen wurde ich Augenzeuge von brutalem und teilweise absurdem Vorgehen der Berliner Polizei gegen Demonstrationen der Corona-Maßnahmen-Gegner. Auf meine Presseanfrage an die Polizei, in der ich nach den Widersprüchen beim Polizeieinsatz fragte, bekam ich lange keine Antwort. Also schrieb ich an den Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja (37), mit der Frage, ob das kein Thema für ihn bzw. seine Fraktion und eine parlamentarische Anfrage wäre. Die Reaktion: null. Ich schrieb nochmal. An die Pressestelle der FDP-Fraktion. Die Reaktion: null. Ich war sehr verwundert – denn hier lag ein Ball vor dem fast leeren Tor, und dass eine Oppositions-Partei nicht mal reagiert auf so eine Vorlage, ist merkwürdig.

Kurz darauf rief mich der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe (42) an. Der Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer hatte eine ähnliche Anfrage wie ich gestellt an den Innensenator wegen des Polizeieinsatzes. Ich dachte schon, die Fraktion habe meinen Brief intern weitergeleitet. Aber weit gefehlt. Luthe wusste von meinem Schreiben an die Fraktion gar nichts, war auf Eigen-Initiative tätig geworden. Lange erzählte er mir von dem Versagen der Berliner rot-rot-grün Regierung in der Corona-Krise. Von seinem Kampf dagegen.

Er berichtete etwa, dass anfangs selbst Elternteile mit Umgangsrecht nach der Berliner Verordnung ihre Kinder nicht sehen durften. Erst als er protestierte, wurde das als „Schreibfehler“ bezeichnet und später korrigiert. Er protestierte dagegen, dass Lebenspartner, die nicht in der gleichen Wohnung leben, sich nach der Corona-Verordnung nicht treffen durften. „Alles, was der Senat macht, ist weder wissenschaftlich fundiert noch durchdacht. Die geben das teilweise offen zu. Da gibt es massive Eingriffe in die Grundrechte allein aufgrund von Pressemitteilungen“, klagt Luthe: „Ich sage weder, dass alles gut ist, noch, dass alles schlecht ist. Aber ich finde, mündige Bürger müssen informiert werden.“ Mehr als 2000 Anfragen hat Luthe gestellt, seit er 2016 ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde. Seine Handynummer ist im Netz zu finden – „ich will, dass mich jeder anrufen kann“. Bei der Wahl hatte er das beste Ergebnis von allen FDP-Abgeordneten. Er hat aufgedeckt, dass der Senat massiv das Recht des Parlaments verletzte – weil er die Corona-Verordnungen den Abgeordneten nicht mal vorlegte, was seine Pflicht gewesen wäre. Als Luthe dagegen klagte, korrigierte der Senat den Fehler schnell – bevor das Verfassungsgericht ihm auf die Finger klopfen konnte.

Man kann Luthe überspitzt als eine Art Ein-Mann-Opposition in Berlin bezeichnen. Jede normale Oppositionspartei müsste froh sein, so ein Energiebündel in ihren Reihen zu haben. Und jetzt das: Die Berliner FDP-Fraktion erklärte den Ausschuss des Abgeordneten aus ihren Reihen. Ins Internet stellte sie ein Video, das gespenstig ist: Fraktionschef Sebastian Czaja ist darauf zu sehen, ganz vorne, und hinter ihm in Reih und Glied die zehn weiteren verbleibenden FDP-Abgeordneten. Czaja erklärt, warum sie Luthe ausgeschlossen haben. Genauer gesagt, er erklärt es eben nicht. Denn außer dem „zerrütteten Vertrauensverhältnis“ nennt er keinen Grund. Die Abgeordneten stehen da wie Bio-Roboter, regungslos, ohne eine Miene zu verziehen. Das erinnert an Szenen, wie man sie aus autoritären Systemen kennt. Aber nicht an eine lebendige Demokratie, und um so weniger an liberale Politik.

Aus gut unterrichteten Kreisen heißt es, dass Luthe für Czaja, dem seine Kritiker ein großes Geltungsbewustsein und wenig Hang zur innerparteilichen Demokratie nachsagen, zu aktiv war. Und zu wenig untertänig. So soll er nicht begeistert gewesen sein, dass sich der gelernte Elektrotechniker als Fraktionschef von der eigenen Fraktion ein vielfaches an Bezügen genehmigen lässt wie die Chefs anderer Fraktionen und damit fast so gut besoldet sein soll wie ein Senator, also Minister.

Zum endgültigen Bruch mit Luthe kam es den Informationen zufolge, nachdem Czaja wegen einer Plakat-Aktion der Fraktion gegen die Schließung des Flughafens Tegel unter heftigen Beschuss kam. Die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger, selbst ehemaliges FDP-Mitglied, sieht darin illegale Parteienwerbung – wofür Gelder der Fraktion nicht ausgegeben werden dürften: „Hier wird eine Werbekampagne gestartet, die in erster Linie der Partei und nicht der Fraktion zu Gute kommen soll“, kritisierte die Professorin für Öffentliches Recht und Direktorin des Institutes für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung.

Czaja soll Luthe vorgeworfen haben, die „Plakat-Affäre“ ins Rollen gebracht zu haben – was dieser als abwegig bezeichne. Von konkreten Belegen ist nichts bekannt; Luthe plant den Informationen zufolge, gegen den Ausschluss aus der Fraktion zu klagen, weil er ihn für rechtswidrig hält.

Inzwischen kamen sogar aus der Partei selbst statt Widerstand gegen den Ausschluss Aufforderungen an Luthe, sein Mandat niederzulegen – obwohl der weiter Parteimitglied ist. Czaja und seine Fraktion posierten zwischenzeitlich erneut vor den Kameras: In Schöneberg klebten sie gemeinsam mit den Liberalen Schwulen und Lesben in Berlin (LiSL), mit Mund- und Nasenschutz auf der Straße, einen Zebrastreifen in Regenbogenfarbe – angeblich als Zeichen für Toleranz. Tatsächlich standen die Liberalen immer für Offenheit und Toleranz, aber wenige für Show-Aktionen dieser Art. Ob ein solches Hinterher-Hecheln hinter dem linken Zeitgeist die Stammwählerschaft motiviert und neue Wählerschichten dazu bringt, statt des grünen oder roten Originals gelb zu wählen, darf bezweifelt werden. Es ist atemberaubend, wie sich die Liberalen selbst zerlegen. Und traurig, denn als bürgerliche Opposition mit harter Kritik statt vorauseilendem Gehorsam wäre die FDP wichtiger denn je.

P.S.: Die Presseanfrage von Luthe an den Innensenator und die Antworten finden Sie unten.


Bilder: Screenshot twitter/FDP Fraktion Berlin / Boris Reitschuster


Abgeordnetenhaus BERLIN Drucksache 18 /23 666

Schriftliche Anfrage

18. Wahlperiod

Schriftliche Anfrage

des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP)

vom 02. Juni 2020 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Juni 2020)

zum Thema:

Ingewahrsamnahme des Autors Attila Hildmann am 23.05.2020?

und Antwort vom 19. Juni 2020 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Jun. 2020)

Senatsverwaltung für Inneres und Sport

Herrn Abgeordneten Marcel Luthe (FDP)

über

den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin

über Senatskanzlei – G Sen –

Antwort

auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/23666

vom 02. Juni 2020

über Ingewahrsamnahme des Autors Attila Hildmann am 23.05.2020?

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:

1. In einer Vielzahl von Onlinemedien ist ein Video zu sehen, das die Ingewahrsamnahme des aus

verschiedenen Publikationen bekannten Herrn Attila Hildmann am 23.05.2020 durch Kräfte der

Polizei Berlin zeigen soll. Trifft es zu, dass Herr Hildmann — bei dem es sich um eine Person der

Zeitgeschichte handeln durfte — an diesem Tag in polizeiliches Gewahrsam genommen worden ist?

2. Falls zu 1) ja, wann und wo genau durch welche Polizeidienstkräfte (bitte individualisierbar durch

Kennzeichennummer benennen) ist diese Maßnahme erfolgt? Welche Kräfte haben die die

Maßnahme unmittelbar durchführenden Beamten begleitet?

3. Wer hat diese Maßnahme auf welcher rechtlichen Grundlage (e.g. § 30 Abs. 1 Nr. 3 ASO)

angeordnet?

4. Welche Tatsachen lagen der Annahme zugrunde, dass diese Maßnahme unerlässlich ist?

Zu 1.,2., 3. und 4.:

Nach der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung stehen einer Beantwortung der

Frage das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen gema&

Artikel 33 Verfassung von Berlin sowie als überwiegendes öffentliches Interesse, ein

laufendes Ermittlungsverfahren einer Beantwortung entgegen. So könnten die

erfragten Auskünfte Ermittlungen gefährden, weil Zeugen in diesem

Ermittlungsverfahren ihre Aussagen und ihr Verhalten nach dem mitgeteilten

Kenntnisstand der Polizei ausrichten könnten. Zur Gewährleistung einer effizienten

Ermittlung und Verfolgung von Straftaten kann daher hierzu keine Auskunft erteilt

werden. Daher kommt auch eine Übermittlung als ,Verschlusssache-Nur fur den

Dienstgebrauch* nicht in Betracht.

5. Waren vor oder wahrend der Maßnahme Mitarbeiter des höheren Dienstes der Polizei Berlin in

diese (geplante) Maßnahme involviert oder Uber diese informiert? Falls ja, wer (genaue

Funktionsbezeichnung) wann genau und in welcher Weise?

Zu 5.:

Der Polizeifiührer – Leiter der Direktion Einsatz und Verkehr – sowie der

Einsatzabschnittsführer Rosa-Luxemburg-Platz/Alexanderplatz waren kurz vor der

Durchführung der Maßnahme involviert.

6. Waren vor oder wahrend der Maßnahme Angehörige der Senatsverwaltung fur Inneres in diese (geplante) Maßnahme _ involviert oder Uber diese informiert? Falls ja, wer (genaue

Funktionsbezeichnung/Abteilung) wann genau und in welcher Weise?

Zu 6.:

Das Lagezentrum der Senatsverwaltung fur Inneres und Sport wurde zeitnah nach

der Ingewahrsamnahme Uber diesen Umstand in Kenntnis gesetzt. Von dort wurden

um 16:46 Uhr die Hausleitung und weitere Mitarbeitende der Senatsverwaltung fur

Inneres und Sport per E-Mail Uber die Ingewahrsamnahme informiert.

7. Gab es im Vorfeld des Einsatzgeschehens am 23.05.2020 am Alexanderplatz auf diesen Einsatz

bezogene dienstliche Weisungen durch den Polizeipräsidenten, seinen Stellvertreter oder den

Leiter der Direktion Einsatz hinsichtlich der Einschreitschwellen? Falls ja, welche? (ggf. unter

offener Begründung eines etwaigen Einstufungserfordernisses als VS eingestuft beantworten)

Zu 7.:

Vom Leiter der Direktion Einsatz/Verkehr wurden als zuständigem Polizeiführer für

diesen Tag Einschreitschwellen formuliert. Einschreitschwellen stellen Kernelemente

der polizeilichen Einsatztaktik dar und können zum Schutz der öffentlichen Sicherheit

und Ordnung nicht veröffentlicht werden. Sie werden Ihnen daher gesondert als

Verschlusssache — Nur für den Dienstgebrauch übermittelt.

8. Welches Geschehen ging nach Kenntnis des Senats der Ingewahrsamnahme an diesem Tage im Einzelnen voraus?

9. Ist Herr Hildmann bei anderen Gelegenheiten seit dem 01.03.2020 von polizeilichen Maßnahmen betroffen gewesen? Falls ja, welcher Maßnahmen an welchen Tagen zu welchem Anlass?

10. Sind Herrn Hildmann Handfesseln angelegt worden? Falls ja, welcher der Falle des § 20 UZwGBln lag aufgrund welcher Tatsachen vor?

Zu 8., 9. und 10.:

Siehe Antwort zu 1., 2., 3. und 4.

11. Trifft es zu, dass Herr Hildmann anlässlich der polizeilichen Maßnahme seiner Hose im

öffentlichen Straßenraum entkleidet worden ist? Falls ja, wie und weshalb ist dies auf welcher

rechtlichen Grundlage geschehen?

Zu 11.:

Nein.

12. Ist eine solche Maßnahme im öffentlichen Straßenland nach Auffassung des Senats mit der

Wurde des Menschen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar? Falls ja, weshalb? Falls nein, was

unternimmt der Senat dagegen?

Zu 12.:

Nach Auffassung des Senats wäre eine solche Maßnahme grundsätzlich nicht

verhältnismäßig. Die Dienstkräfte der Polizei Berlin sind verpflichtet, ihre

Maßnahmen nach Recht und Gesetz zu treffen und haben hierbei Artikel 1 Absatz 1

des Grundgesetzes und den Grundsatz der Verhaltnismäßigkeit selbstverständlich

zu beachten.

13. Weshalb war es erforderlich und zulässig — bitte sowohl die Tatsachen als auch die gesetzliche

Grundlage präzise benennen — anlässlich der polizeilichen Maßnahme Herrn Hildmann mit dem

Knie in die Lendenwirbel zu treten, wie es nach Videoaufzeichnungen offenbar durch einen

Polizeioberkommissar mit der Kennzeichennummer BE 23310 geschehen ist?

14. Die Verwirklichung welches Tatbestand ist Herrn Hildmann am 23.05.2020 vorgeworfen worden?

Zu 13. und 14.:

Siehe Antwort zu 1., 2., 3. und 4.

15. Bleibt der Senat dabei, dass es — wie auf Seite 9 des Inhaltsprotokoll der 56. Sitzung des Ausschusses fur Inneres, Sicherheit und Ordnung angesprochen — keine Weisung — ggf. auch informell, etwa im Rahmen einer dienstlichen Besprechung mit den Direktionsleitern – gegeben hat oder gibt, das Konzept der Deeskalation und den Grundsatz der sprechenden Polizei aufzugeben und ,robust* im Rahmen von Demonstrationsveranstaltungen vorzugehen, also die

Einschreitschwellen zu senken?

Zu 15.: Hinsichtlich der geltenden Leitlinien und des Konzepts der bewahrten

Doppelstrategie gab es weder Änderungen noch informelle Absprachen oder

Weisungen, vom gültigen Einsatzgrundsatz einer konfliktmindernden Kommunikation

abzuweichen.

16. Trifft es zu, dass der Beamte mit der Kennzeichennummer BE 25120 am 23.05.2020 ebenfalls in

der Nahe des Reichstagsgebäudes einem oder mehreren Burgern mündlich Platzverweise erteilt

hat? Falls ja, was war Anlass dieser Platzverweise und weshalb waren diese erforderlich und

verhaltnismäßig?

Zu 16.:

Nein.

17. Gibt es bei Demonstrationen, die mit Gegendemonstrationen einhergehen, klare gesetzliche oder

sonstige Normen (e.g. durch den Polizeiführer), die die -— technisch verstärkte – zulässige

Lautstarke der Bekundungen der jeweiligen Demonstrationsteilnehmer — etwa Uber Megaphone

etc. — derart begrenzen, das jeweils sichergestellt ist, dass die Teilnehmer der jeweils anderen

Demonstration ,ihre“ Redebeiträge hören können? Falls nein, weshalb nicht und wie sonst stellt

der Senat sicher, dass die Versammlungs- und anlässlich solcher die Meinungsfreiheit aller

Teilnehmer dahingehend gewahrt bleibt, dass die eigenen Belange jeweils gehört werden können

und nicht von ,Gegendemonstranten“ übertönt werden?

Zu 17.:

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung existiert für einen solchen Fall nicht.

Regelmäßig werden in solchen Fallkonstellationen allerdings Auflagen nach § 15

Versammlungsgesetz z.B. hinsichtlich Abstrahlrichtung etc. durch die

Polizeiführenden vor Ort erlassen. Sollte die störungsfreie Durchführung einer

Versammlung aufgrund der _ Lautstarke der Außenkommunikation — einer

Gegenversammlung nicht möglich sein, so würde die störungsverursachende

Versammlung regelmäßig beauflagt werden. Sinn und Zweck — einer

Gegenversammlung ist es jedoch auch, die Teilnehmenden der

Ausgangsversammlung akustisch und visuell zu erreichen. Im Wege der praktischen

Konkordanz ist hier durch entsprechende Abwägung der widerstreitenden

Interessen ein schonender Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz herzustellen.

Berlin, den 19. Juni 2020

In Vertretung

Sabine Smentek

Senatsverwaltung für Inneres und Sport

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