Es ist eine Szene, die verstörte. Bei brütender Hitze liefen die Fußballer des Bundesligisten FSV Mainz beim Heimspiel gegen Union Berlin am Sonntag in das heimische Stadion ein. Begleitet jeder von einem so genannten „Einlaufkind“. Die Sportler selbst trugen dabei keine Maske – wohl aber die Kinder neben ihnen. Wie bitte ist das zu erklären? Ist das Virus nur für Kinder gefährlich? Die bisherigem medizinischen Erkenntnisse deuten ja eher in die umgekehrte Richtung – dass Kinder mit Corona viel besser zurechtkommen als – vor allem alte – Erwachsene.
Die Maskenpflicht für Kinder hat der Verein auf seiner Homepage verkündet. „Unmittelbar vor Anpfiff im Mittelkreis der MEWA ARENA stehen und seinen Idolen ganz nahe sein – dieser Wunsch geht mit Mainz 05 und dem Einrichtungshaus MÖBEL MARTIN Mainz in Erfüllung!“, heißt es da zunächst. Und dann wird eine Bedingung für die Erfüllung des Traumes genannt: „Wichtiger Hinweis! Alle Kinder müssen eine Maske (medizinische oder FFP2) tragen, sobald sie das Untergeschoss betreten. Die Maske darf auch zum Einlaufen nicht abgenommen werden“.
30 Grad im Schatten
Die Mainzer „Allgemeine Zeitung“ berichtet nun im Tonus der Empörung darüber, dass, so die Überschrift, „Mainz 05 im Visier von Corona-Maßnahmenkritikern“ sei. Unter anderem heißt es in dem Beitrag: „Los geht es am Montagnachmittag, als ein Nutzer mit dem Namen ‘Franz Branntwein‘ einen Beitrag zu einem Foto der einlaufenden Fußballer aus Mainz und Berlin verfasst. Wie in der Bundesliga üblich halten die Spieler Kinder an der Hand. Der Twitter-Nutzer schreibt ‘Mainz, 30 Grad im Schatten. Es ist so widerlich!‘ – womit er sich offensichtlich auf die Maske tragenden Einlaufkinder bezieht.“
Der Beitrag habe mittlerweile über 4100 „Gefällt-mir-Angaben“ erhalten, echauffiert sich die Zeitung. Und erklärt dann, so als ob man über eine Geschlechtskrankheit berichte: „Der Beitrag spricht bei Twitter ein bestimmtes Klientel an, das die 05er schnell als Zielscheibe ausgemacht hat. Von ‘Kindesmisshandlung‘, ‘Propaganda‘ und ‘Marionetten‘ ist unter anderem die Rede. Die Mainzer sind ins Zielfeuer der Querdenker und Corona-Leugner geraten.“
Bemerkenswert. Kein einziges Wort der kritischen Auseinandersetzung in der Zeitung mit der Maskenpflicht nur für Kinder, aber dafür Diffamierung derjenigen, die das kritisieren – etwa durch die absurde Beschimpfung als „Corona-Leugner“.
Böse, böse Twitterer
„Weiter geht es kurze Zeit später, als ‘Prof. Freedom‘ zu dem Foto mit 05-Spielern und Maske tragenden Kindern von der Internetseite des FSV schreibt: ‘Hallo 1. FSV Mainz, könnt ihr das bitte erklären?‘, empört sich die Zeitung weiter: „Bis Dienstagmittag erzielt der Beitrag des Nutzers, der selbst über 48.000 Follower hat, über 3600 ‘Gefällt-mir-Angaben‘.“
Auch den strafversetzen Leiter des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, zitiert das Blatt mit seiner Aussage auf Twitter: „Ich bitte um eine evidenzbasierte Begründung, Karl Lauterbach. Oder finden Sie das fachlich in Ordnung? Wenn ja, dann bitte Begründung. Gerne hier. Falls Sie das ebenso schäbig finden, könnten Sie sich mit einem Tweet dazu äußern. Wie wäre das? Den Kindern zuliebe.“
Die Journalisten aus Mainz scheint es auch zu ärgern, dass die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder den Beitrag von „Prof. Freedom“ teilte und dazu schrieb: „Lieber FSV Mainz 05, das würde mich auch mal interessieren!“ Sodann ordnen die Kollegen das für die Leser ein und betreiben so etwas wie Teil- und Like-Polizei: „Schröder folgen auf Twitter über 63.000 Personen. Schröders Beitrag wird unter anderem vom CDU-Bundestagsabgeordneten Erwin Rüddel geteilt, der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit verteilt dafür ein Herzchen. Nun sind die Mainzer in den Kreisen derer angekommen, die die Corona-Regeln zumindest kritisch sehen.“
Sodann zitiert der Verein die Pressesprecherin des FSV Mainz, Silke Bannick, mit der Aussage, „dass in der Mixed Zone, also dem Bereich in den Katakomben des Stadions unmittelbar vor dem Spielfeld, alle diejenigen eine Maske tragen müssen, die nicht Teil der Mannschafts-Bubble – zu der Spieler und der direkte Staff gehören – sind. Vereinsmitarbeiter, Journalisten und eben Einlaufkinder müssten also einen Mund-Nase-Schutz tragen.“
Als Begründung führt Bannock an, es handle sich um einen „sehr engen Raum, in dem man ohne Abstand zusammensteht“. Zudem würden Spieler und Einlaufkinder auch eine gewisse Zeit in der Mixed Zone warten, bis es dann aufs Spielfeld gehe. Warum in Deutschland Maskentragen noch notwendig sei, in den meisten Ländern Europas man hingegen fast schon vergessen hat, was eine Maske ist – dieser Frage geht die Allgemeine Zeitung nicht nach.
Lücken-Journalismus
Ebenso wenig hakt sie offenbar bei einem weiteren Schwachpunkt der Argumentation der Pressesprecherin nach: Führende Aerosolforscher gehen davon aus, dass eine Übertragung des Corona-Virus um Freien so gut wie ausgeschlossen ist. Also selbst wenn man der Argumentation mit den Innenräumen folgen würde – was schwer genug fällt – warum in aller Welt durften die Kinder dann nicht draußen in der großen Hitze die Masken abnehmen?
Eine medienwirksame Inszenierung, um an das Virus zu erinnern? Genauso wie der Fußball ja aktuell für diverse politische Zwecke instrumentalisiert wird, etwa einen vermeintlichen Kampf gegen Rassismus?
Wenigstens etwas erfahren die Leser der Allgemeinen Zeitung noch, ganz am Ende: Dass es kein Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mehr gebe, das eine Maskenpflicht für Einlaufkinder vorsehe. „Doch der Hygienebeauftrage des FSV Mainz 05 habe das im Rahmen des Konzepts der Mainzer vorgegeben.“
Faszinierend. Nicht einmal Karl Lauterbach fordert aktuell Masken im Freien. Aber irgendein Hygienebeauftragter bei irgendeinem Fußballverein. Und prompt werden Kinder im Freien in Masken gesteckt.
Bemerkenswert ist dann noch der Abschluss-Absatz der „Allgemeinen Zeitung“. Also das, was hängen bleibt: „‘Die Pandemie ist nicht vorbei‘, sagt die Pressesprecherin, die mit einem weiteren Gerücht aufräumt, das in den Beiträgen der Corona-Leugner zu lesen ist: „Biontech ist nicht Hauptsponsor von Mainz 05.“ Bei der im Internet verbreiteten Meldung des SWR habe es sich damals um einen Aprilscherz gehandelt.“
Das ist kein Journalismus, das ist Diffamierung und Verleumdung von Menschen mit anderer Meinung.
Leider nur hinter eine Bezahlschranke, wo die meisten Leser nicht rankommen, bietet die Zeitung dann echten Journalismus – eine Debatte von zwei Mitarbeitern zu den Kinder-Masken. Mit Pro und Contra. Ich habe extra ein Probeabo gelöst, um die Debatte zu verfolgen und sie für sie wiederzugeben. Der kritische Redakteur Christian Matz schreibt dort: „Aber geradezu grotesk wird es doch, wenn der Verein vor dem Spiel gegen Union ein Video der Profis bei der Ankunft am Stadion veröffentlicht – die Zuschauer stehen eng beieinander Spalier, die Spieler klatschen die jungen Fans ab, niemand trägt eine Maske. Man muss wahrlich kein ‘Querdenker‘ sein, um das alles für sehr widersprüchlich zu halten.“
Böse, böse Querdenker
Seine Kollegin Julia Sloboda, stramm auf Linie, sieht das anders: „Aber das ist doch kein Skandal. Wenn ich die Kommentare in den Sozialen Medien lese, geht da für viele ja die Welt unter. Die Kommentatoren überschlagen sich vor Wut. Da machen die Querdenker ein ganz schön großes Fass auf.“
Und sie findet: „Ich finde es nicht so dramatisch. Die Regeln werden vorab kommuniziert und niemand wird gezwungen, Einlaufkind zu sein. Und bevor das große Maskenausziehen während des Einlaufens an der Hand der Spieler beginnt, kann die Maske auch noch kurz aufbleiben. Das tut keinem weh.“
Falscher Fokus
Doch Christian Matz hält dagegen: „Für mich gebührt Mainz 05 in der Tabelle der ärgerlichsten Coronaregeln der Saison damit schon früh ein Spitzenplatz. Allerdings passt dies natürlich zum generellen politischen Kurs: Im Herbst kann erneut eine Maskenpflicht in Schulen verhängt werden; eine Pflicht für die Erwachsenen in Firmen ist staatlicherseits nicht vorgesehen. Damit unterliegt abermals die Bevölkerungsgruppe, die das geringste Gesundheitsrisiko hat, strengeren Auflagen als Erwachsene. Wenn noch ein Symbolbild für einen falschen Fokus in der Pandemiepolitik gesucht wird, die 05er haben es geliefert“
Schade, dass so etwas geradezu schamhaft hinter einer Bezahlschranke versteckt ist. Journalismus für Auserwählte, Propaganda für die breite Masse.
Text: br