Regelmäßig kritisieren die Sprecher der Bundesregierung auf der Bundespressekonferenz Übergriffe gegen Demonstranten und vor allem gegen Journalisten weltweit. Das geschieht in meinen Augen völlig zu Recht. Zum einen, weil diese Übergriffe in vielen Ländern ein bedrohliches Ausmaß haben, und zum anderen, weil es um das Prinzip geht. Gar nicht zu reden von Regimen, in denen kritische Journalisten um ihr Leben oder ihre Freiheit fürchten müssen. Aber wer in anderen Ländern genau hinsieht und gerne kritisiert, der muss auch darauf achten, dass er zu Hause sehr penibel ist. Und an sich strengste Maßstäbe anlegen lassen. Dass in anderen Ländern die Zustände nicht vergleichbar sind, ist dabei als Ausrede völlig untauglich. Würde man diesen Maßstab anlegen, würde sich immer ein Land finden lassen, in dem etwas noch schlechter ist. Und weil in einer Demokratie höchste Maßstäbe angelegt werden müssen, habe ich heute Angela Merkels Sprecherin, meine frühere Focus-Kollegin Martina Fietz, nach den Übergriffen bei der Demonstration gegen das „Bevölkerungsschutz-Gesetz“ am Mittwoch in Berlin gefragt. Die Antworten empfand ich als sehr ausweichend. Hier können Sie sie nachlesen. Was mich besonders schockierte: Dass sich Kollegen offenbar mehr über meine Frage empörten, als über die Attacken auf mich (die hier anzusehen sind). Mir wurde vorgeworfen, meine Fragen seien journalistischen Ansprüchen nicht gerecht geworden, weil ich emotional involviert sei. Nach diesem Maßstab dürfte kein Journalist, der attackiert wird, über so eine Attacke berichten. Noch absurder fand ich den Vorwurf, durch meine Anwesenheit auf Demonstrationen sei ich Teilnehmer und könne damit nicht mehr objektiv berichten. Nach diesen Maßstäben könnten dann nur noch Journalisten von Ereignissen berichten, bei denen sie selbst gar nicht waren. Dass diese Argumentation fast schon regelmäßig vorgebracht wird und unter Hinweis darauf, das habe man doch in der Journalistenausbildung gelernt, ist für mich unfassbar. Ich habe es noch so gelernt, dass man selbst mitten ins Geschehen gehen muss und sich selbst ein Bild machen. Ansehen können Sie sich den Wortwechsel mit der Regierung hier in meinem Video von der heutigen Bundespressekonferenz.
FRAGE REITSCHUSTER: Frau Fietz, Herr Alter, die Bundesregierung betont immer wieder, wie wichtig ihr die Pressefreiheit ist und wie sie sich gegen Übergriffe auf die Presse weltweit verwehrt. Nun gab es, ein paar hundert Meter von hier, am Mittwoch Übergriffe gegen die Presse. Mir selbst wurde das Smartphone, mit dem ich aufnahm, von einem Polizisten aus der Hand geschlagen. Ich wurde umgeschmissen. Das alles ist auch auf Video dokumentiert.
Wie will sich die Bundesregierung hier dafür einsetzen, dass solche Dinge unterbleiben?
FIETZ: Sie kennen unsere Haltung. Die Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit, und diese ist für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung konstituierend. Das befreit die Teilnehmer von Demonstrationen weder von der Einhaltung geltenden Rechts noch von ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, was die Einhaltung von Hygiene-, Schutz- und Abstandsregeln betrifft. Das ist das eine.
Dann gibt es natürlich Fälle, dass sich Menschen versammeln und dabei weder die Hygieneauflagen der Versammlungsbehörde noch die geltenden Coronaschutzvorschriften beachten. Damit wird natürlich das Recht zu friedlichen Demonstrationen und der Versammlungsfreiheit missbraucht. In solchen Fällen greift die Polizei ein. Natürlich gilt es immer, die Verhältnismäßigkeit zu wahren, aber es gilt auch die Regelung, dass vonseiten der Demonstrierenden Entscheidungen im Einzelfall auch zu respektieren sind.
Ich kann Ihren konkreten Fall nicht bewerten. Ich kann nur sagen: Das Grundrecht, friedlich zu demonstrieren, ist gewährleistet und muss auch gewährleistet sein. Deshalb ist es wichtig, dass auch Pressevertreter dort berichten können. Aber zu den einzelnen Vorgängen kann ich Ihnen hier keine Auskunft geben, da es, erstens, nicht Sache der Bundesregierung ist und wir, zweitens, Einzelfälle auch nicht bewerten können.
Aber Herr Alter kann dazu sicherlich noch mehr sagen.
ALTER: Ich bitte um Verständnis dafür, dass auch ich keine Bewertung des konkreten Einzelfalls abgeben kann, weil ich ihn nicht kenne. Insofern würde ich zunächst einmal auch hinterfragen, ob es sich um einen Angriff gehandelt hat, oder ob Sie in einer tumultartigen Situation mitbeteiligt gewesen sind. All das kann ich hier nicht bewerten.
Sie können aber davon ausgehen, dass unsere Polizistinnen und Polizisten nach Recht und Gesetz handeln, dass sie in Kenntnis der Grundrechte in unserer Verfassung sind und deshalb auch Kenntnis von den Grundrechten haben, die die Presse hat und die Journalisten haben.
Solche Einsatzlagen sind aber, das wissen Sie, weil Sie häufiger daran teilnehmen, komplex und dynamisch. Deswegen gibt es auch Situationen, in denen Dinge schwer zu händeln sind, auch für die Polizei. Deswegen habe ich hier am Mittwoch schon angesprochen, dass die Polizei in ihren Einsatzkonzepten natürlich auch berücksichtigt, wie Pressevertreter, Journalisten am Rande von Demonstrationen vor Übergriffen geschützt werden können. Das muss Gegenstand der Einsatzkonzepte sein.
Auf der anderen Seite muss es natürlich auch auf der anderen Seite eine gewisse Mitwirkung geben. Journalisten müssen sich selbst auch immer fragen: Wenn ich in diesen oder jenen Bereich gehe, wird das Risiko, jetzt attackiert zu werden, für mich unkalkulierbar groß, und kann die Polizei mir realistischerweise helfen?
Bei solchen Großdemonstrationen wird es keine Individualbetreuung geben können. Das ist einfach praktisch unrealistisch. Aber die Konzepte müssen diesen Aspekt beinhalten, und das tun sie.
ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Frau Fietz, Sie sagten, Sie kennten den Fall nicht und, sinngemäß, man könne im Inland auch nichts tun. Aber wenn man sich weltweit einsetzt und weltweit Fälle kommentiert, wäre es dann nicht sinnvoll, das auch im Inland zu verfolgen?
FIETZ: Wir haben die Demonstrationen ja zur Kenntnis genommen. Das ist ja überhaupt keine Frage. Aber die Entscheidungen zu einer Versammlung im Einzelfall, sowohl zur rechtlichen Frage, ob diese stattfinden kann, wie auch zur praktischen Umsetzung von Auflagen, sind Sache der Justiz oder der für die Gefahrenabwehr örtlich zuständigen Landesbehörden. Deshalb kann ich dazu nicht Stellung nehmen.
PS: Zum Schluss einmal etwas Selbstkritik und die Rolle des Advocatus Diaboli. Kann man von der Regierung wirklich erwarten, dass sie über einzelne Vorfälle wie die geschilderten Bescheid weiß? Ich finde, wenn die Medienlandschaft funktionieren würde, wäre so viel darüber geschrieben worden, dass sie Bescheid wissen müsste. Aber sei´s drum. Auch wenn sie nicht Bescheid weiß, kann sie in ihrer Antwort zum Ausdruck bringen, dass sie solche Beschreibungen berühren und sie den Dingen auf den Grund gehen will. Auch wenn etwa hier konkret die Berliner Behörden zuständig sind, man kann hier mit diplomatischen Tönen durchaus Akzente setzen. In die eine oder andere Richtung. Für mich klingen die gesetzten Akzente hier so, dass man sich demonstrativ nicht interessiert. Etwa dadurch, dass man im Wesentlichen an der Frage vorbei antwortet. Ich habe mal versucht, mich in die Rolle eines Regierungssprechers zu versetzen. Ich hätte vielleicht so geantwortet: „Ich kenne den Einzelfall nicht, darum kann ich ihn nicht kommentieren. Sollte es sich bei den Vorfällen um Beamte der Bundespolizei gehandelt haben, werden wir dem nachgehen. Wenn die Schilderung zutreffen sollte, dann ist es selbstverständlich, dass die Verantwortlichen im Rahmen der gültigen Gesetze zur Rechenschaft gezogen werden und dies auch transparent kommuniziert wird. Wenn die Berliner Kollegen zuständig sein sollten, was wahrscheinlich ist, sind wir überzeugt, dass die Kollegen in der Hauptstadt der Sache strikt nachgehen und sie aufklären werden. Auch dann gilt: Sollte sich der Sachverhalt wie geschildert bewahrheiten, ist es selbstverständlich, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir haben keinerlei Zweifel daran, dass die Berliner Behörden dann auch alles Erforderliche tun werden, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Auch allgemein beobachten wir die Lage sehr akribisch, und werden das auf dem Radar behalten.
PS: Und hier noch ein Leserkommentar von Facebook: „Ich übersetze Mal die Worte der Regierungssprecherin: wären sie da nicht hingegangen, dann wäre auch nichts passiert, aber so ist das nun Mal , wenn man auf eine Demo geht, die wir nicht verbieten können.Selber schuld! Die Antworten waren unmenschlich, kaltherzig und am Thema vorbei. Ich bin erschüttert, über diese Art und Weise.“
Bild: Liberty News Berlin – mit bestem Dank!
Text: br
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