Corona-Maßnahmen verschärfen Armut in Deutschland Immer weniger können sich das Leben hierzulande noch leisten

Von Kai Rebmann

Der Armutsbericht 2022 des Paritätischen Wohlfahrtsverbands gleicht einem Armutszeugnis für die Ampelkoalition und ihre Vorgängerregierung unter Angela Merkel (CDU). Unter der Überschrift „Zwischen Pandemie und Inflation“ dokumentiert die Studie nicht nur ein Politikversagen historischen Ausmaßes, sondern auch die daraus resultierenden dramatischen Folgen für einen nicht kleinen Teil der Bevölkerung in Deutschland. Demnach müssen inzwischen fast 14 Millionen der Bundesbürger zu den Armen gerechnet werden, was einem Anteil von 16,6 Prozent entspricht. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider wird in der Pressemitteilung des Verbands wie folgt zitiert: „Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch. Noch nie wurde auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen und noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie.“

Hätten anfangs noch die Schutzschilde und Sofort-Maßnahmen von Bund und Ländern gegriffen und dafür gesorgt, dass die Armut trotz wirtschaftlichen Einbruchs und rapide steigender Arbeitslosigkeit nur moderat zugenommen habe, seien die Auswirkungen der Pandemie im Jahr 2021 umso stärker zu spüren gewesen, schreibt der Verband. Mit anderen Worten: Probleme wurden nicht gelöst, sondern nur nach hinten verschoben. Leider unterliegt aber auch der Paritätische Wohlfahrtsverband dem weit verbreiteten Irrglauben, die aktuelle Armutswelle sei eine Folge der „Pandemie“. Sowohl die Existenzsorgen, die viele Menschen in Deutschland plagen, als auch die Rekord-Inflation sind Folgen der Maßnahmen, man kann es offenbar nicht oft genug betonen. Die „Pandemie“ als solche hat niemanden arm gemacht und nur die allerwenigsten wirklich krank.

Verband übt heftige Kritik an Entlastungspaketen

„Auffallend“ findet die Organisation den „ungewöhnlichen Zuwachs“ der Armut unter den Erwerbstätigen und insbesondere der Selbständigen (von 9,0 im Vorjahr auf 13,1 Prozent). Wirklich verwundern kann das aber natürlich niemanden, wenn Geschäfte reihenweise geschlossen wurden und die Inhaber sowie deren Angestellte vom Staat sehenden Auges in die Kurzarbeit oder gleich ganz in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden. Der Armutsbericht 2022 zeigt eindrucksvoll, wie wenig nachhaltig die damals ausgeteilten Corona-Hilfen waren und sind. Auch die seit Herbst 2021 massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten werden vom Paritätischen Wohlfahrtsverband angesprochen und als ein Faktor für die Rekord-Armut in Deutschland ausgemacht. Deutliche Kritik gibt es an den deswegen geschnürten Hilfspaketen: „Pandemie [sie lernen es noch…] und Inflation treffen eben nicht alle gleich. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung wie mit der Gießkanne übers Land zieht, Unterstützung dort leistet, wo sie überhaupt nicht gebraucht wird und Hilfe dort nur völlig unzulänglich gestaltet, wo sie dringend erforderlich wäre.“ Von den insgesamt 29 Milliarden Euro schweren Hilfen seien nur rund zwei Milliarden Euro bei den einkommensarmen Menschen angekommen und Einmalzahlungen würden von der Inflation aufgefressen, noch bevor diese ausgezahlt werden, moniert der Verband.

Stattdessen fordert der Paritätische eine stärkere Fokussierung auf fürsorgerische Leistungen in Bereichen wie Grundsicherung, Wohngeld oder BAföG. Schneider fordert daher ein weiteres Entlastungspaket, und zwar eines, das „zielgerichtet ist, wirksam und nachhaltig.“ Das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal. Ob die aktuelle Bundesregierung das hinbekommt, erscheint angesichts des immer hilfloser wirkenden Aktionismus auf allen Ebenen mehr als fraglich. Grundsicherung, Wohngeld und BAföG nennt Schneider einmal mehr als wichtigste Säulen zur Stärkung unterer Einkommen. Es gehe jetzt darum, „unsere letzten Netze sozialer Sicherung wieder höher zu hängen.“

Große regionale und demoskopische Unterschiede

Besonders von Armut betroffen sind in Deutschland Rentner (17,9 Prozent) sowie Kinder und Jugendliche (20,8 Prozent). Es ist ein Trauerspiel, wenn die Generation, die dieses Land nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebaut hat, jetzt die Mülleimer nach Pfandflaschen durchwühlen muss, um zumindest einigermaßen über die Runden zu kommen. Und auch die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche von ihren Müttern teilweise mit leerem Magen in die Schule geschickt werden müssen, ist einer großen Industrienation, die Deutschland einmal war und im Selbstverständnis unserer Spitzenpolitiker immer noch sein soll, schlicht unwürdig. Als arm gilt in Deutschland laut gängiger Definition, wem weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung steht. Im Jahr 2021 verdiente ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in Deutschland durchschnittlich 4.100 Euro brutto im Monat.

Aber auch in regionaler Hinsicht ist die Armut in Deutschland sehr unterschiedlich ausgeprägt. Am höchsten liegt die entsprechende Quote in Bremen (28,0 Prozent), im Ruhrgebiet (21,1 Prozent) und in Berlin (19,6). Nur in sechs Bundesländern liegt die Armutsquote unter dem landesweiten Durchschnitt: Bayern (12,6 Prozent), Baden-Württemberg (13,9 Prozent), Brandenburg (14,5 Prozent), Schleswig-Holstein (15,0 Prozent), Saarland (16,1 Prozent) und Rheinland-Pfalz (16,5 Prozent). Das Ruhrgebiet als Teil Nordrhein-Westfalens wurde von den Autoren der Studie als gesonderte Region untersucht, da hier die Armut traditionell besonders hoch ist. Im gesamten Bundesland liegt die Quote bei 18,7 Prozent, womit NRW im Länderranking auf Platz 12 landet.

Einen sehr guten Einblick in den Alltag vieler Deutscher geben die gesammelten O-Töne, die im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zitiert werden und die wir Ihnen, liebe Leser, an dieser Stelle nicht vorenthalten wollen:

„Ich habe permanent Panik vor jedem Notfall, der Geld erfordert, oder dass etwas kaputtgeht.“

„Ich hatte eineinhalb Jahre keinen Kühlschrank, weil mir das Geld für einen Ersatz des kaputten Geräts fehlte.“

„Aktuell gebe ich viel mehr Geld für meine Ernährung aus, als im Regelsatz dafür vorgesehen ist und kann trotzdem kaum Gemüse oder Obst essen.“

„Ich bin seit Mai 2016 in die Altersrente eingetreten und seitdem bin ich arm, um nicht zu sagen bitterarm. Die Rente reicht halt nicht für alles.“

„Ich kann mich seit Jahrzehnten nur noch bedecken, nicht mehr bekleiden.“

All das sind aufrüttelnde Hilferufe aus dem „besten Deutschland aller Zeiten“!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock
Text: kr

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