„Da muss ich Ihnen leider widersprechen, Herr Bundespräsident“ Vom präsidialen Untergang des Impfzwang-Abendlandes

Von Alexander Wallasch

Wie konnte das so furchtbar in die präsidiale Hose gehen? Die „Welt“ versuchte zwar am Folgetag verzweifelt, zu retten, was nicht mehr zu retten war, konnte aber nicht mehr ausbügeln, dass im Ergebnis des Bürgergesprächs in Schloss Bellevue der Impfzwang für Deutschland in weite Ferne gerückt sein dürfte.

Vier Bürger waren per Monitor zugeschaltet, weitere drei saßen bei Steinmeier im Schloss und besagte Zeitung titelte am Folgetag in Funktion einer Reinigungstruppe des präsidialen Falldowns: „Den Falschbehauptungen der Impfskeptikerin setzt Steinmeier wenig entgegen.“

Aber auch das waren vergebliche polit-mediale Liebesmühen, denn die Bildzeitung – bekanntermaßen ja ebenfalls aus dem Hause Springer – bejubelte, über die Schwesterzeitung hinwegfegend, den präsidialen Untergang des Impfabendlandes mit der Schlagzeile: „Lehrerin geigt Bundespräsident Steinmeier die Meinung.“

Bei artiger vorhergehender Akkreditierung konnten sich Journalisten stumm zum Bürgergespräch dazuschalten. Das Bürgergespräch selbst begann um 11 Uhr und sollte bis 13 Uhr dauern. Die Bitte um Akkreditierung kam per Email um 9:32 Uhr. Also kein so üppiges Zeitfenster für den interessierten Journalisten.

'Bösartiger Unfug!'

Frank-Walter Steinmeier hielt zum Auftakt der „Diskussionsrunde mit Bürgerinnen und Bürgern zu Pro und Contra einer Impfpflicht zur Überwindung der COVID-19-Pandemie“ eine kleine Ansprache. Darin stellte er fest, es gäbe „keine Demokratie ohne Debatte“.

Auch für den Bundespräsidenten muss das eine ungewöhnliche Veranstaltung gewesen sein. Denn sonst „bestimmt“ hier gern mal die Bertelsmann-Stiftung, mit wem der Bundespräsident unter dem Label „Forum Bellevue“ ins Gespräch gehen darf.

„Es gibt Menschen, die sagen: Wir haben in Deutschland eine ‚Corona-Diktatur‘. Das ist bösartiger Unfug! Denn darin steckt nicht nur Verachtung für unsere demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen. Sondern darin steckt eine Beleidigung von uns allen!“, so der empörte Teil der Rede vor dem Meinungsaustausch.

Steinmeier wollte im Bürgergespräch erfahren, was nach der Pandemie mit dem Graben quer durch die Gesellschaft wird. Der Bundespräsident sieht es also anders als der Bundeskanzler, der solche Gräben schon kategorisch in Abrede gestellt hat.

„Was danach mit diesen Gräben sein wird“, das, so Steinmeier, entscheide sich auch „an der Debatte, die wir heute führen. Nicht nur am Ja oder am Nein zu einer Impfpflicht, sondern an der Überzeugungskraft von guten Gründen, an der Art und Weise, wie wir in unserem Land miteinander sprechen und miteinander umgehen. Umso dankbarer bin ich Ihnen, dass Sie heute mitdiskutieren, und ich bin gespannt auf die nächsten zwei Stunden.“

Und dann begann das Gespräch und Lehrerin Gudrun Gessert sendete aus ihrem heimischen Wohnzimmer im baden-württembergischen Kirchentellinsfurt per Video-Konferenz direkt ins Schloss Bellevue.

Gessert soll Steinmeier richtig die Show geklaut haben. So empfand es jedenfalls Ralf Schuler für die Bildzeitung. Das Blatt hatte also für den Termin keine Praktikantin abgestellt, der beste Mann schaute zwei Stunden Schlossfernsehen.

„Herr Bundespräsident, lassen Sie mich nur noch ganz kurz…“, hatte sich Ralf Schuler beim offiziell genehmigten Belauschen der Debatte als einprägsames Zitat der Lehrerin an den Rand seine Notizblocks geschrieben.

Besser nicht live im Fernsehen

Laut Schuler startete Gudrun Gessert gleich mal damit, dass Schluss sein müsse mit der polarisierenden Unterteilung zwischen Geimpften und Ungeimpften: „Wir sitzen doch alle im selben Boot.“

Gessert traute sich also was. Und man darf sich fragen, ab wann wohl der Bundespräsidenten seinem Team innerlich herzlich dankte, dass man diese Sendung nicht live ins Fernsehen eingestellt hatte und besser auf jede authentische Volksnähe verzichtet hat.

Die Lehrerin aus dem beschaulichen Kirchentellinsfurt – irgendwo zwischen Tübingen und Reutlingen gelegen – positionierte sich in der Debatte so: „Impfen ja, Zwang nein.“ Und sie stellte Fragen, auf die erst einmal eine Antwort finden sollte, wer sich für eine Impfpflicht ausspricht.

So wollte Gessert auch wissen, was denn „geimpft“ überhaupt bedeuten würde, wenn es Pflicht sei: „Einmal geimpft, zweimal, dreimal oder doch viermal?“ Und wie man gedenke, die Pflicht dann dem jeweils neuesten Stand der Debatte anzupassen.

Die gegenüber dem Bundespräsidenten frei von Lampenfieber agierende Frau erinnerte Steinmeier noch einmal daran – falls er es vergessen haben sollte –, dass sogar von einer „Pandemie der Ungeimpften“ die Rede gewesen sei. Nun sind aber nahezu die Hälfte aller Krankenhausfälle Impfdurchbrüche.

Gudrun Gessert zitierte munter die Wochenberichte des Robert Koch-Institutes, lieferte also auch Zahlen zur Untermauerung ihres Debattenbeitrags.

Unter anderem sagte Gessert:

„Die Frage ist doch: Können wir mit der Impfpflicht die Pandemie besser überwinden? Ich sage: Nein! Impfen war nicht der Game-Changer, wie die Beispiele Bremen (mit hoher Impfquote) und Dänemark beweisen.“

Ruhig und bestimmt trug sie ihre Argumente vor. Und sie fuhr dem Präsidenten insbesondere dann in die Parade, wenn von der Solidarität mit den Mitmenschen die Rede war als Begründung für das Impfen.

Bild-Reporter gerät ins Schwärmen

An einer Stelle erinnerte Gessert den Bundespräsidenten daran, dass Geimpfte sehr wohl Träger des Virus sind und es weitergeben könnten. Die Solidarität wäre als Argument also nur begrenzt tauglich.

Ralf Schuler kommt für Bild direkt ins Schwärmen:

„Immer wieder hatte die Lehrerin die aktuellen RKI-Zahlen parat und konnte selbst mit Studien zu den im mRNA-Impfstoff enthaltenen Lipiden (Fetten) aufwarten, deren Zulassung umstritten sei. Selbst mit dem Zulassungsstatus der Impfungen brachte sie den moderierenden Bundespräsidenten in Schlingern, der wohl von einer Voll-Zulassung ausgegangen war, während die Arzneimittelbehörden lediglich eine einstweilige Freigabe erteilt haben.“

Aber damit nicht genug. Gessert bekam dann auch noch Unterstützung eines weiteren geladenen Gastes. Und auch der sprach sich gegen eine Impfpflicht aus und betonte zudem, dass es nicht unmoralisch sei, sich nicht impfen zu lassen, sondern unmoralisch, bei diesem aktuellen Erkenntnisstand einen Zwang einführen zu wollen.

Frank-Walter Steinmeier wurde von zwei ebenfalls bereits im Vorfeld ausgewählten Debattenteilnehmern aus dem Volk darüber informiert, dass eine Impfpflicht unmoralisch wäre. Nein, der Sozialdemokrat aus der Partei des Impfzwang-Bundeskanzlers wurde in die Zange genommen.

Schade, dass hier nicht notiert wurde, ob der Bundespräsident auf seinem Stuhl, zunehmend nervöser werdend, hin und her gerutscht ist. Denn spätestens, als ihm von besagtem Gast noch erklärt wurde, dass es noch keine Erfahrung über mögliche Langzeitschäden gäbe, muss er doch nervös geworden sein.

Und der Mitdiskutant meinte sicher nicht die Langzeitschäden von Corona – die unter Long-Covid bekannt wurden –, sondern mögliche Langzeitschäden durch die Impfung!

Eine Behauptung, die in den sozialen Netzwerken zur Löschung führen kann. Aber die Radiergummi-Wegsperrtruppen von Correctiv und Co saßen nicht mit im Schloss Bellevue. Sonst hätte es womöglich sein können, dass Frau Gessert mitten im Satz hätte darüber nachdenken müssen, warum ausgerechnet jetzt bei ihr in Kirchentellinsfurt das Internet zusammengebrochen ist.

Zwischenzeitlich hat der Bundespräsident die Diskussionsrunde als Video auf seiner schicken Internetseite veröffentlicht. Und tatsächlich stellt sich dort heraus, dass das Desaster noch viel größer ist, als Ralf Schuler für die Bild-Zeitung aufgeschrieben hat. Aber schauen Sie selbst.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Matthias Wehnert/Shutterstock
Text: wal

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