Wir Journalisten berichteten zu wenig Positives, wird uns immer wieder vorgeworfen. Ich entgegne dann immer, dass wir eben über die Abweichung vom Normalzustand schreiben – und wenn man das Gute schon als die Abweichung betrachtet, dann ist das kein gutes Zeichen. Aber dennoch – die Konzentration auf das Negative, die genauso berufsimmanent ist bei uns Journalisten wie bei Staatsanwälten oder Ärzten, kann in der Tat die Wahrnehmung verzerren. Umso wertvoller sind Rückmeldungen, die das wieder etwas zurechtrücken. Daher möchte ich heute diesen Brief einer Leserin aus Nordrhein-Westfalen veröffentlichen. Weil er ein wenig Hoffnung macht. Voilà:
Sehr geehrter Herr Reitschuster,
nach all den grauenhaften Nachrichten über die Geschehnisse in der Silvesternacht, braucht es – so glaube ich – ein Gegengewicht.
Ich selbst lebe in einer Großstadt in NRW, allerdings in einem Randbezirk. Die Nacht vom 31.12. auf den 01.01. war mild und klar. Silvester verbrachte ich in einer sehr hoch gelegenen Wohnung, so dass weite Gebiete bis über den Rhein hinweg zu überblicken waren. Ich erlebte ein Silvester ohne Randale mit wenig Böllern, dafür jedoch mit wunderschönem Feuerwerk, wie ich es seit 50 Jahren noch nie erlebt habe. Weiß der Himmel, wo die ganzen Raketen herkamen. Das alles ging über eine Stunde und war sehr schön anzusehen, wenn ich mir auch die Frage stellte, ob die Tiere in den benachbarten Grünbezirken nicht begannen ernsthaften Schaden zu nehmen, nachdem das Spektakel immer länger andauerte. Die Nachbarschaft beteiligte sich rege, es blieb aber friedlich. Wie gesagt – Vorort.
Ich habe die Dauer der Knallerei und das hier vorwiegend erlebte Feuerwerk eher als ein Ausrufezeichen hinter den letzten drei Jahren begriffen, in denen so viel nicht möglich war. Auch hat der Versuch, Feuerwerk einfach nicht bereitzustellen, offenbar nicht funktioniert. Ob man das jetzt zivilen Ungehorsam nennen möchte, darüber kann man sicherlich trefflich streiten. Mein persönliches Silvester hat mir aber Hoffnung gemacht, daß viele hier durchaus bereit sind, in Freundlichkeit miteinander zu leben und zu feiern, was auch auf die benachbarten Mitbürger mit deutlichem Migrationshintergrund zutraf.
Ich möchte damit keinesfalls die Geschehnisse in den Großstädten kleinreden. Allerdings glaube ich, daß wir in diesen Zeiten sehr dringend auch etwas brauchen, was uns Hoffnung macht.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, daß Ihr neues Jahr gut, gesund, erfolgreich und friedfertig sein wird.
Mit herzlichen Grüßen