Ein Gastbeitrag von Paul Romey
Nach einer handwerklichen Ausbildung und einem reichen Schatz an praktischen Fähigkeiten wollte ich mir den Traum eines Hochschulstudiums verwirklichen.
Doch dann kam Corona. Pünktlich zum Start des Sommersemesters 2020 wurde am 13. März die Stilllegung des öffentlichen Lebens qua Verordnung beschlossen. Für mich bedeutete das Zoom statt Vorlesung, WhatsApp-Chat statt Diskussion und schlussendlich die große Einsamkeit.
In einer nie dagewesenen Geschwindigkeit drückte die Politik die Umstellung der Lehre auf das Online-Format durch. So saß ich in meinem frisch bezogenen Zimmer an meinem Laptop und verfolgte das Seminar „Fake News“. In der Beschreibung des Kurses las ich, dass es um die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Wahrheit“ ging. Der Schwerpunkt lag auf der Untersuchung der Rolle der Medien in der Corona-Krise. Die Gelegenheit schien mir passend, um mit meinen Mitstudenten und den Dozenten kontrovers zu diskutieren. In der besagten Stunde ging es anfangs um die Frage, wie der Mensch Zugang zur Wahrheit erlangt und zu neuen Erkenntnissen kommt. In der heutigen Zeit sind wir auf Medien angewiesen, die uns mit wesentlichen Informationen und Fakten versorgen.
Schweigen und Themenwechsel
Soweit die Theorie, dann ging es in die Diskussion. Mein Dozent stellte die Frage, wie es zu erklären sei, dass sich so viele Menschen in den alternativen Medien informierten. Zudem machte er recht deutlich, dass er das für gefährlich hielt. Eine Studentin schlug in die gleiche Kerbe. Sie sagte, die Tagesschau und der Spiegel seien zuverlässige Quellen, aus denen sie sich regelmäßig informiert. Die „gefährlichen Querdenker“ würden die Demokratie gefährden. Ich war merklich irritiert. Nach dem Relotius-Skandal und zahlreichen Unterlassungsklagen gegen die Tagesschau war mein Vertrauen in diese Medien an einem Nullpunkt angekommen. Um zu testen, wie die anderen Kursteilnehmer auf Kritik am Corona Kurs der Regierung reagieren, sagte ich, es sei unmöglich, dass das Gesundheitsministerium innerhalb weniger Tage einen Lockdown beschließen kann. Dessen Tweet vom 14. März bezeichnete ich als Falschinformation. Danach kam das Schweigen und mein Dozent wechselte das Thema. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, über die Informationspolitik staatlicher Institutionen und der großen Medienhäuser zu sprechen, doch das blieb komplett aus. Frustriert schrieb ich Mails an die Verwaltung der Universität und kontaktierte die Betriebsärztin. Über die Sinnhaftigkeit von Impfungen und anderen Hygiene-Maßnahmen wollte mir niemand Auskunft geben.
Doch wie konnte es so weit kommen? Hier lohnt sich der Blick in die Vergangenheit. Genauer gesagt auf die Entwicklung des deutschen Bildungssystems nach dem Beschluss des Bologna-Prozesses.
Mit den Worten „Humboldts Uni ist tot“ kündigte der damalige Bildungsminister Rüttgers die Transformation des deutschen Hochschulwesens an. Die Reform bedeutete das Ende von Magister und Diplom. Der zweistufige und europaweit gültige Abschluss von Bachelor und Master galt ab sofort.
Der Anspruch, möglichst schnell neue Arbeitskräfte auf den Markt zu bringen, baute systematisch Druck auf Studenten und Dozenten auf. Die Prüfungsordnung sah nun die Untergliederung des Studiums in Module vor. Zudem hatte jedes Modul am Ende eine Prüfung, die man für das Fortkommen im Studium bestehen muss. So wurde das Studium der Schule immer ähnlicher. Aus erwachsenen Studenten wurden immer mehr ausgewachsene Schüler. Wichtiger als das selbständige Denken und das Vermitteln humanistischer Werte wurde zunehmend, in den Prüfungen gute Noten zu bekommen. Da die Studenten immer mehr Zeit am Schreibtisch verbrachten, verloren die typisch studentischen Aktivitäten, wie z.B. das Diskutieren und die politische Betätigung, immer weiter an Bedeutung. Aus Hochschulen wurden Faktensammelstellen, in denen eine hohe Schlagzahl an Publikationen und Patenten das Maß von Qualität und Erfolg wurden.
Ohnmacht, Wut und Trauer
Nach nunmehr 20 Jahren Bildungsreform werden die Schäden dieser Politik unter dem Brennglas Corona besonders deutlich. Aufgrund meiner Maßnahmen-Kritik lebe ich seitdem sozial isoliert. Kommilitonen und Freunde, mit denen ich anfangs regelmäßig etwas unternahm, kamen irgendwann gar nicht mehr zu mir, oder mieden mich in der Öffentlichkeit. Ausreden oder nicht abgesagte Treffen waren an der Tagesordnung. Ab einem gewissen Punkt überkam mich das Gefühl der Ohnmacht, aber auch der Wut und Trauer über die gesellschaftliche Spaltung, die ich hautnah erlebte. Anstelle des sozialen Austauschs traten immer mehr Spaziergänge alleine und lange Telefonate mit Freunden, die ich aus der Zeit vor Corona kannte. Auch im Alltag trennten sich die Wege. Während meine Mitbewohner das Wochenende mit 2G+ Partys begingen, traf ich mich auf gemütliche Abende bei Freunden. Podcasts und Interviews wurden immer mehr zu meinem neuen sozialen Umfeld, oder besser besagt dessen digitaler Ersatz.
Ein Jahr später erfuhr ich, dass es in meiner Nähe eine Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen gab. Dort lernte ich erstmals andere kritische Studenten kennen. Die Erfahrungen gaben mir neuen Mut und die Erkenntnis, dass ich mit meiner Kritik nicht alleine war. Endlich hatte ich die Möglichkeit, neue Freundschaften vor Ort zu knüpfen. Ein paar Monate später schloss ich mich der Bewegung „Studenten stehen auf“ an, die es mir ermöglichte, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen und kritischen Stimmen wieder Raum zu geben.
Mein Fazit: In der jetzigen Zeit ist es schwer oder nahezu unmöglich, zwischen Befürwortern und den Gegnern der Maßnahmen zu vermitteln. Jedoch sehe ich die Chance, dass sich in der Krise neue Bekanntschaften und Freundschaften über alte Grenzen hinweg bilden, die einen wertvollen Beitrag für den gesellschaftlichen Austausch darstellen.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können. Ich mache mir Gastbeiträge ausdrücklich nicht zu eigen – will aber auch nicht Zensor meiner Gastautoren sein.
Paul Romey studiert Deutsch und Englisch auf Lehramt an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Seit zwei Jahren engagiert er sich für Öffentlichkeitsarbeit bei der Vereinigung „Studenten stehen auf“.
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