Denunzieren im Morgenkreis? Beschwerdemanagement in Kitas

Von Ekaterina Quehl
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In einer Gesellschaft, in der das Denunziantentum schon fast nationale Sportart geworden ist, ist es nur ein logischer Schritt, das Gespür für das richtige und konsequente Denunzieren von Kind auf anzuerziehen. Insofern war es nur eine Frage der Zeit, in Anbetracht der aktuellen Entwicklung, bei der diverse Meldestellen für „Feindlichkeiten“ aller Art wie Pilze nach dem Regen wachsen, dass auch Kitas ihr eigenes Beschwerdemanagement bekommen werden.

So müssen jetzt auch die ganz Kleinen lernen, wie sie all die Unzufriedenheiten um ihr Kita-Leben herum zum Ausdruck bringen können. Genau genommen, müssen die Erzieher am Schreien, Weinen oder Motzen der Kleinen erkennen, weshalb sich der eine oder die andere diskriminiert fühlt.

„Wenn ich der kleinen Marie auf dem Wickeltisch ihre Windel wechsle und sie weint, muss ich dies als ihre Beschwerde in einem speziellen Heft erfassen. Dann besprechen wir es auf einer Sitzung und entscheiden uns, wie wir damit umgehen“, erzählt eine Freundin, die seit über 10 Jahren als Erzieherin arbeitet und bei der in der Kita seit einigen Monaten ein Beschwerdemanagement für Kinder eingeführt wurde. Zwar ist nicht klar, worüber sich die kleine Marie beschweren möchte – denn noch kann sie ja nicht sprechen. Möglicherweise ist es das falsche Wickeln oder Wickeln zur falschen Zeit, oder vielleicht die Tatsache, dass ihre Erzieherin nicht gegen Corona geimpft ist oder kein klimafreundliches Gedankengut hat. Oder auch darüber, dass sie im Fenster gerade einen Spatzen vorbeifliegen gesehen hat.

„Auf der Sitzung besprechen wir dann, welche Gründe Maries Weinen haben könnte und die Möglichkeiten, wie ihr Weinen beim nächsten Wickeln vermieden werden könnte. In dem konkreten Fall wurde festgestellt, dass Marie nur von mir gewickelt werden möchte und von keiner anderen Erzieherin. Dies wurde dann als Maries Beschwerde aufgefasst.“

Die Kita, in der die Freundin arbeitet, ist kein Einzelfall. Das absurde Verfahren und das Petzen-Lernen werden jetzt in Kindergärten Deutschlands zum System.

„Der Kindergarten unterstützt die Entwicklung von Kindern zu selbstbestimmten Persönlichkeiten“, schreibt das Blogportal Backwinkel, das sich auf den nachhaltigen Versandhandel für Kindergärten und Schulen spezialisiert. „Dazu gehört, dass Kinder an allen sie betreffenden Angelegenheiten beteiligt werden – und sich beschweren dürfen, wenn ihnen etwas missfällt. In Kindergärten sind daher systematische Beschwerdeverfahren für Kita-Kinder vorgeschrieben.“

Der Leitfaden „Beschwerdemanagement für die Kita: Vom destruktiven Motzen zum konstruktiven Gespräch“ umfasst das ganze Spektrum an Handlungen, die Erzieher vornehmen müssen, um den Kindern nicht nur qualifiziertes Petzen beizubringen, sondern sie auch dazu zu motivieren.

„Wie entwickelt die Kita ein Beschwerdeverfahren? Und wie können Erzieherinnen und Erzieher die Kinder dazu ermutigen, sich zu beschweren? In der Praxis erkunden viele Kitas hier noch Neuland. Doch es gibt gelungene Projekte, die es vormachen“, schreibt das Portal. „Mit Beschwerden hat wohl niemand gerne zu tun. Doch Mitbestimmung bedeutet eben auch, dass die Akteure eigene Unzufriedenheit kundtun und sich beschweren, um positive Veränderungen zu bewirken. Dies gilt in der Kita wie überall im demokratischen Zusammenleben: Wer Beteiligung wünscht, muss Beschwerden ernst nehmen“, so der „Backwinkel“.

Das Portal definiert also etwas, womit Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder seit eh und je klarkommen, als Beschwerdemanagement. Eltern kennen die nonverbale Sprache ihrer Kinder und können eben am Weinen oder an der Körpersprache erkennen, ob ihr Kleines Durst oder Hunger hat oder müde ist und vielleicht auf den Arm möchte. Das sind aber ganz normale Bedürfnisse und Wünsche. Sie als Beschwerden oder Äußerung einer Diskriminierung zu bezeichnen, mit denen man mithilfe eines Beschwerdemanagements umgehen muss, ist schlicht absurd.

„Wichtig ist, die Beschwerdeverfahren gemeinsam mit den Kindern zu entwickeln“, schreibt das Portal. „Die Kinder sollen wissen, dass sie mit ihrer Beschwerde etwas bewirken und in ihrem Interesse verändern können. Machen Sie das Beschwerdeverfahren transparent. Nicht jeder Wunsch kann erfüllt werden, das sollte auch den Kindern klar sein. Doch gemeinsam gelingt es besser, Lösungen zu finden.“

Möglichkeiten zum Sammeln von Beschwerden sollen ein Beschwerdebriefkasten, eine Beschwerdewand oder eine Beschwerdetrommel sein. Wenn sich die Kleinen also diskriminiert fühlen, sollen sie entweder ein Bild über ihre Diskriminierung malen, das dann entweder in den Briefkasten geworfen oder an eine Wand gehängt wird. Für dringende Beschwerden oder für Kinder, die ihre Beschwerde noch nicht malen können, eigne sich eine Beschwerdetrommel.

Auf die kleine Marie übertragen, die – wie das Beschwerdemanagement im Rahmen eines Kita-Beschwerdeverfahrens festgestellt hat – nur von einer bestimmten Erzieherin gewickelt werden möchte, würde das heißen, sie wäre diskriminiert, wenn sie eine andere Erzieherin wickeln würde. Und wenn die kleine Marie morgen eben andere Gründe zum Weinen hat, dann wird das „Beschwerdegremium“ wohl erneut tagen müssen.

Nach dem Beschwerde-Leitfaden müsste sich die kleine Marie am Lösungsprozess ihrer Beschwerde auch selbst beteiligen.

‘Kompetent und selbstwirksam‘

„Geben Sie Lösungen nicht einfach vor. Auch im Zwiegespräch mit dem Kind sollten Sie auf schnelle Lösungsvorschläge verzichten. Denn zunächst geht es nicht um das Ergebnis, sondern den eigenen Weg zur Lösung. Welche Idee hat das Kind? Was benötigt das Kind, damit es diese Lösung umsetzen kann? Im eigenaktiven Prozess erlebt sich das Kind kompetent und selbstwirksam“, schreibt das Portal.

Wie würde dieser Prozess bei der Windel-Beschwerde von Marie aussehen? Müsste man bei ihr etwa Wickel-Tests durchführen, damit sie feststellen kann, von welcher Erzieherin sie am liebsten gewickelt werden möchte? Oder ein gemeinsames Brainstorming im Morgenkreis dazu, welche Gründe ihr Weinen noch hätte haben können? Was wären dann die Lösungen? Müsste ihre Lieblings-Erzieherin dann ihre Arbeitszeiten ändern, damit die kleine Marie stets diskriminierungsfrei gewickelt werden kann?

Fragen über Fragen.

„In unserer Kita wird das Beschwerdemanagement in Kürze eingestellt“, erzählt die befreundete Erzieherin. Es sei völlig absurd.

Laut aktueller Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses konnten knapp 10.000 Deutsche Kitas „den Betrieb im Durchschnitt an mehr als jedem zweiten Tag nur unter Gefährdung der Sicherheit der zu betreuenden Kinder aufrechterhalten“. „‚Das sind erschreckende Ergebnisse, die deutlich machen, dass die Politik ihrer gesetzlichen Verantwortung nicht gerecht wird‘, kommentiert Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).“

Vielleicht wären der gravierende Personalmangel und die Gefährdung frühkindlicher Erziehung ein realistischerer Grund zum Trommeln der Beschwerdetrommel? Aber nicht für Kinder, sondern für Erwachsene? Sonst gibt es vielleicht bald gar niemanden mehr, der die kleine Marie und andere Kinder in den Kitas wickeln kann!

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin und lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Sie arbeitet für reitschuster.de.

Bild: Shuttesrtock

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