Der 2G-Streit Sind Gerichtsurteile für Universitäten nicht mehr von Bedeutung?

Von Dana Samson

Mittlerweile gibt es kaum noch Nachrichten, die mich überraschen, vor allem jene nicht, die Ungeimpfte ausschließen und ihre Diskriminierung vorantreiben. Leichter zu ertragen werden solche Nachrichten dennoch nicht und ich bin immer wieder erschüttert, dass die Ausgrenzung einer Gruppe von Menschen jeden Tag aufs Neue legitimiert wird. Besonders groß scheint die Zustimmung über die Ungleichbehandlung an den Universitäten. Das sind doch vermeintlich die Orte, an denen Menschen nachdenken, oder nicht?

Am 6. Dezember, pünktlich als Nikolausgeschenk, verkündete die Universität Potsdam ihre Entscheidung auf dem Weg zu einer gerechteren Welt, in die nur Geimpfte und Genesene Zutritt haben: Ab Januar gilt in der Bildungsstädte 2G.

Als Erläuterung schreibt die Uni folgendes:

Die anhaltend angespannte Pandemielage ist für die Lehre an Schulen und Hochschulen eine enorme Herausforderung. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit weitgehend oder gar vollständigen Schließungen unserer Lehrstätten, insbesondere was die psychologische Situation unserer Studierenden angeht, wollen wir einen solchen Schritt vermeiden. Die derzeitige Impfquote unter Studierenden und Lehrenden erlaubt uns, die – ohnehin bereits stark reduzierte – Präsenzlehre weiterhin zu ermöglichen. Um das Infektionsrisiko weiter zu vermindern, scheint uns 2G allerdings unbedingt geboten. Die vier Wochen bis zur Einführung von 2G erlaubt es Nichtgeimpften, ihre Situation noch einmal zu überdenken. Wir appellieren erneut an alle Nichtgeimpften, bei denen keine attestierte medizinische Sondersituation vorliegt: Lassen Sie sich impfen! Jetzt! 

Was alternative Onlineangebote für Studierende angeht, so begrüßen wir selbstverständlich die einschlägigen Bemühungen unserer Lehrenden. Aber wir wollen uns ehrlich machen: Es wird nicht möglich sein, sämtliche Lehrveranstaltungen ohne Qualitätsverlust sowohl in Präsenz als auch in einem digitalen Format anzubieten. Dafür sind unsere Hochschulen weder personell noch räumlich ausgelegt. Auch eignen sich nicht alle Lehrveranstaltungstypen für eine digitale Variante.

Ungeachtet der widrigen Umstände wünschen wir Ihnen allen noch eine schöne Adventszeit, frohe Festtage und eine erholsame Zeit zwischen den Jahren.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Oliver Günther, Ph.D.                                                      Prof. Dr. Andreas Musil

Präsident                                                                                 Vizepräsident für Studium und Lehre

Mich macht diese E-Mail auch nach den zahlreichen vorangegangenen Formen der Diskriminierung fassungslos. Zuallererst kann ich es nicht glauben, dass auf die psychische Situation der Studierenden eingegangen wird, und dann aber getrost ignoriert wird, in welcher psychischen Notlage sich die Ungeimpften jetzt befinden. Es gibt für Studenten keine Impfpflicht und es obliegt einem jeden selbst, ob er sich impfen lässt oder nicht. Die Universität hat kein Recht, sich in diese Entscheidung einzumischen, zumal jeder Mensch persönlich das Risiko der Impfung oder auch der Corona-Infektion selbst tragen muss. Für mich persönlich gibt es viele Gründe, warum ich mich derzeit nicht impfen lassen möchte. Am allermeisten frage ich mich aber, warum ich als Ungeimpfte ausgeschlossen werden sollte, wenn die Impfung die Geimpften doch so gut schützt? Und seit wann haben nicht alle Studenten die gleichen Chancen auf Bildung?

Die Uni Potsdam erkennt das Problem der Online-Lehre und stellt schon jetzt heraus, dass ein Qualitätsverlust nicht vermieden werden kann. Und damit bestätigt sie das, was Studenten die letzten vier Semester erlebten: Die Bildung verliert in der Online-Lehre massiv an Qualität. Bisher war nach Meinung der Universitäten die Online-Lehre eine gute Alternative und die Lehre habe darunter nicht gelitten. Spätestens jetzt hat sich die Universität mit der Aussage, dass zukünftig ein Qualitätsverlust bei gleichzeitigen Präsenz- und Onlineveranstaltungen nicht vermieden werden könne, ins eigene Bein geschnitten.

Besonders erschreckend an der E-Mail ist der offene Appell für die Impfung: „Lassen Sie sich impfen! Jetzt!“ Ganz nach dem Motto „Liebe Studenten, wenn euch der Druck jetzt noch nicht genug war, dann überdenkt bitte jetzt eure Entscheidung und lasst euch impfen.“ Für alle, die nicht gehorchen, gilt: Sie werden mit dem weniger qualitätvollen Online-Studium ohne Kontakte in die Depression verwiesen.

Zum einen wird die psychische Gesundheit der Ungeimpften wissentlich und willentlich gefährdet, aber auch der erfolgreiche Abschluss des Studiums wird von der Universitätsleitung aufs Spiel gesetzt. Sofern nicht alle Seminare besucht werden können, droht Studenten eine Verzögerung des Studiums und in Folge dessen die Exmatrikulation, heißt, sie werden des Studiums verwiesen. Und das, weil sie als Ungeimpfte nicht alle Veranstaltungen belegen konnten. Eindeutiger kann die Diskriminierung nicht mehr sein.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erkannte diese Problematik und verbot die 2G-Regel an den Hochschulen im Ländle (reitschuster.de berichtet hier). Nach dem Mannheimer Gerichtsurteil war ich schon fast froh, dass unser Rechtsstaat doch noch funktioniert. Das Grundgesetz sieht vor, dass in Deutschland alle ihre Ausbildungsstätte frei wählen dürfen. Die 2G-Regel in der Corona-Verordnung greife durch den Ausschluss von Ungeimpften in dieses Recht ein und die Beschränkungen würden den erfolgreichen Abschluss eines Semesters gefährden. Es gäbe die Gefahr, dass das Studium verlängert werden müsse. Dementsprechend sind von dem Gericht für Ungeimpfte wieder Schnelltests für das Betreten der Uni erlaubt worden. Der Beschluss war unanfechtbar.

Das Wissenschaftsministerium umgeht diesen Beschluss jetzt, es sollen Präzisierungen in der Corona-Verordnung für den Studienbetrieb vorgenommen werden. In der Sache bleiben die Regelungen damit unverändert: „Es bleibt bei 2G für den Präsenzbetrieb an den Hochschulen in der Alarmstufe II.“

Das Gericht kritisierte unter anderem, dass sich aus der Vorschrift des Wissenschaftsministeriums nicht ergebe, welche Vorkehrungen Hochschulen treffen müssen, damit nicht-immunisierte Studierende am Studienbetrieb teilnehmen können. Solche Regeln könnten beispielsweise die Pflicht von Hybridveranstaltungen sein, das heißt Präsenz-Veranstaltungen mit gleichzeitiger Online-Übertragung. Mit Regeln wie dieser möchte das Wissenschaftsministerium das Verbot von 2G umgehen. Ungeimpfte haben sich zu früh gefreut, sie werden weiterhin vom Präsenzstudium ausgeschlossen.

An meiner Uni gab es in manchen Seminaren anonyme Umfragen, ob wir das Seminar weiterhin in Präsenz oder zukünftig Online halten wollen. Vom Großteil kam die Antwort, dass sie weiterhin in die Uni kommen wollen. Größtenteils nannten sie das Argument der Einsamkeit und Depressionen, wenn sie weiterhin zu Hause blieben. Solche Stimmen kann ich allzu gut nachvollziehen. Dementsprechend interessant finde ich die Position der Gegenseite. Mit der Zeit kennt man einige Kommilitonen und auch eine anonyme Stellungnahme kann mehr oder weniger zuverlässig zugeordnet werden.

In meinem Seminar sprach sich eine junge Mutter für die Online-Seminare aus, weil sie das Infektionsrisiko vermeiden wolle und in der Online-Lehre keine Schwierigkeiten habe, ihre Kinder unterzubringen. Man würde meinen, online erschien sie dann zu den Seminaren (die Kommilitonin war die Seminare vorher selten in Präsenz anwesend). Nun, online fehlte sie leider auch. Wenn die Studentin nicht erscheint, müsste sie doch eigentlich auch nicht an einer Umfrage, in der Entscheidungen für alle Studenten getroffen werden, teilnehmen. Über sowas kann man sich am Ende ärgern oder es auch sein lassen, die Universität ist schließlich ein Ort der Demokratie, der Vielfalt und der Begegnung. Außerdem kenne ich die Gründe der Kommilitonin nicht, warum sie häufig nicht erschien. Es kann jedoch nicht sein, dass von Seiten der Universitätsleitung die Leitlinien der Demokratie und das gleiche Recht auf Lehre für alle vergessen und missachtet werden. In dem Fall der Uni Potsdam oder auch in Baden-Württembergs Universitäten ist das die Einführung von 2G.

Das Gericht hat das erkannt, was die Uni in Potsdam offen für alle in einer E-Mail verbreitet: Dass das Online-Studium nicht dasselbe Niveau hat wie ein Präsenz-Studium und dass Ungeimpfte mit der 2G-Regel gezielt von einem gleichwertigen Studium ausgeschlossen werden. Zumal sich mir nicht erschließt, inwiefern aktuell negativ Getestete ein höheres Risiko darstellen, als Menschen, die zwar geimpft, aber nicht getestet sind, somit unerkannt positiv sein können und möglicherweise das Virus verbreiten. Diese Gefahr geht von den negativ Getesteten nicht aus.

Die Universitäten scheinen es sehr attraktiv zu finden, dass jeder über eines jeden Menschen Gesundheitszustand Bescheid weiß. Ungeimpfte haben schließlich zukünftig keinen Zutritt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Universitäten mit der Regel durchsetzen können.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Dana Samson studiert an einer deutschen Universität und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Shutterstock
Text: ds

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