Der Corona-Napoleon Wie Söder in der Krise das demokratische Maß verliert

Corona hat die Zeit beschleunigt. Es ist weniger als ein halbes Jahr her, da fand ich die Art von Markus Söder in der Corona-Krise zupackend. Gefühlt war das in einer anderen Epoche: Als sehr, sehr viele Menschen die Pandemie noch auf die leichte Schulter nahmen – und Mahner gerade noch als „rechte Verschwörungstheoretiker“ diffamiert wurden, etwa in den öffentlich-rechtlichen Medien. Seitdem hat sich so ziemlich alles geändert. Wer die Entwicklung aufmerksam und kritisch verfolgt, zwischen den Zeilen liest und das „Unsere tägliche Corona-Panik gibt uns heute“ in vielen Medien kritisch hinterfragt, kommt nicht umhin, sehr, sehr viele Widersprüche zu sehen. Auf die es keine Antwort gibt und nach der sich die meisten gar nicht zu fragen trauen. So wenig ich Corona für ungefährlich halte – mir schwant immer mehr, dass die Gefahr für unsere Demokratie, die von dem Virus ausgeht, die größere sein könnte.

Besonders erschreckend in diesem Zusammenhang ist das Verhalten von Markus Söder. Der hat offenbar verinnerlicht, dass ihm im Frühjahr ein entschlossenes Auftreten Pluspunkte bei den Meinungsumfragen brachte. Und seitdem scheint er in einer Art Pawlowschem Reflex auf jeden Knopf zu drücken, auf dem „Verschärfung“ steht. Selbst die Grundregeln der Demokratie scheinen für ihn außer Gefecht gesetzt. Gemeinsam mit CSU-Generalsekretär Markus Blume attackierte Söder am Montag die FDP. Dafür, dass sie ihre Arbeit als Opposition macht. Die Liberalen agierten in der Pandemie nicht ausreichend staatstragend, so interpretiert die Süddeutsche die Worte des Ministerpräsidenten: „Es gibt nicht nur die AfD, auch andere politische Kräfte, die beinahe tagtäglich versuchen, die gesamten Maßnahmen zu relativieren und die Bevölkerung nahezu aufrufen, nicht mitzumachen“. Der CSU-Chef sprach laut SZ von „parteipolitischen Süppchen“, „Abdriften“ und einem „Kurs gemeinsam mit der AfD“. Politische Parteien hätten auch eine „Vorbildfunktion“, Einigkeit sei maßgeblich für die Motivation der Bevölkerung bei Corona-Regeln. Blume sprach der FDP die „demokratische Vernunft“ ab, so die SZ: Man erwarte, dass sich die Partei „zusammenreißt“. Derzeit erkenne er „freie Radikale“ statt „freie Demokraten“.

Das ist ein Tonfall, wie man ihn aus Demokratien nicht gewöhnt ist, sondern aus autoritären Staaten kennt. Das scheint kein Ausreißer. „Stoppt Söder“, hat der Focus-Gründungs-Chefredakteur und heutige FDP-Abgeordnete im Bayerischen Landtag Helmut Markwort kürzlich in einem Interview mit mir appelliert:  „Wir müssen etwas dagegen tun, dass der Allmachtsanspruch des Zentralisten Söder von Bayern auf ganz Deutschland übergreift.“ Weiter sagte Markwort über den Ministerpräsidenten: „Er neigt zu Schmutzeleien und maßlosem Ehrgeiz. Und wir sehen ja auch jetzt: Dass ausgerechnet er, der Föderalist Söder aus dem oft separatistisch gesonnenen Bayern nach einheitlichen Lösungen schreit. Und etwa die Zuschauer aus den Stadien fernhalten will, obwohl zum Beispiel die Sachsen und die Sachsen-Anhaltiner sich zum Glück nicht nach ihm richten: Ich bin nicht für Söder als Kanzlerkandidat. Weil ich seine autoritäre Art nicht mag. Der schreibt ja seinen Abgeordneten bei uns im Landtag sogar vor, mit wem sie Kaffee trinken dürfen und mit wem nicht. Das ist zutiefst illiberal.“

Inzwischen erstreckt sich Söders Allmachtsstreben nicht nur auf die Kaffee-Gesprächspartner seiner Abgeordneten. Im Landkreis Berchtesgaden ließ er über seine Behörden den Lockdown verhängen, den er schon vorab lautstark gefordert hatte. Und das, obwohl gerade erst die Weltgesundheitsorganisation WHO eindringlich vor Lockdowns gewarnt und deren Sinn in Frage gestellt hat, zumindest in den meisten Situationen (siehe hier).

Doch die Realität scheint in der Corona-Krise nicht mehr in der Lage, den ehrgeizigen Landesvater zu stoppen. Er läuft zu Napoleonischem Format auf. Ausgerechnet er, der noch im März Corona auf die leichte Schulter nahm und die Kommunalwahlen abhalten ließ – in den kritischsten Tagen. Danach kam es zu vermehrten Infektionszahlen – doch die Medien sind den Regierenden heute meist so wohl gesonnen, dass das nur wenige erfahren.

Inzwischen ist Söder ins andere Extrem gefallen, macht aus Mücken Elefanten: Die Horror-Geschichte von der „Super-Spreaderin“ in Garmisch-Partenkirchen, die der frühere Redakteur beim Bayerischen Rundfunk nach Kräften hochpuschte, entpuppte sich als Posse. Fast nichts an der Story war wirklich so, wie es zunächst in den Medien berichtet wurde und wie Söder es zuspitzte („Musterfall für Unvernunft“).

Später machte sich der CSU-Chef vehement für ein Beherbergungsverbot stark. Besucher aus Gebieten, in denen viele Menschen positiv getestet wurden, sollten demnach nicht in Hotels oder anderen Beherbergungsbetrieben unterkommen. Und wieder ein Bauchklatscher: „RKI hält Beherbergungsverbot für hochgefährlich“, titelte Focus Online und schrieb: „Das Robert-Koch-Institut hat in seinem aktuellen Lagebericht das Beherbergungsverbot heftig kritisiert. Der zusätzliche Testbedarf durch Urlauber nach Einführung des Beherbergungsverbots mit der Option zur ‚Freitestung‘ durch Vorlage eines negativen Testergebnisses hat die Situation weiter verschärft und es kam regional zu einem zusätzlich stark erhöhten Probeaufkommen‘, heißt es dort.“

Kritik aus den eigenen Reihen

Söder steht in der Krise für eine gefährliche Mischung aus Populismus und Aktionismus. Fast ebenso erschreckend ist, dass sich viele Medien damit nicht kritisch auseinandersetzen – oder allenfalls am Rande. Kritik an dem CSU-Chef, wie etwa vom Leiter des Gesundheitsamtes im bayerischen Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, wird auf Sparflamme gekocht. Dieser hatte Söders Corona-Kurs auseinandergenommen. Kritik übte der Amtsarzt auch an der in Bayern besonders strengen Maskenpflicht für Kinder in der Schule. „Gerade nach der Urlaubszeit war es wichtig, mit der Maske im Unterricht das Risiko fundamental zu reduzieren, damit nicht viele Schulen wieder geschlossen werden“, hatte Söder noch vergangene Woche beim virtuellen Parteitag seiner Partei gesagt.

Am Mittwoch wird Söder eine Regierungserklärung abgeben. Er wird weiter die Alarmglocken läuten und noch lauter als bisher härtere Maßnahmen fordern. Bisher gilt allerdings: Viel Gedöns und wenig Effekt. Zumindest wenn man die bayrischen Coronazahlen ansieht. Die setzen sich generell nicht positiv von denen in andere Bundesländern ab, deren Regierungschefs weniger Show veranstalten.

Viel spricht dafür, dass Söder Corona als seine Startbahn ins Kanzleramt sieht und die Krise für seine persönliche Karriereplanung instrumentalisiert. Dies ist doppelt gefährlich: Weil er deswegen zum einen zu übertrieben hartem Handeln neigen könnte, immer auf die Stimmung schielend. Und weil er ein massives Interesse daran hätte, mögliche Entwarnungs-Anzeichen zu vertuschen. Denn würde die Alarmstimmung sinken oder sich der harte Kurs gar als Fehler entpuppen, stünde der Corona-Terminator aus Franken plötzlich ziemlich nackt da. Und die Kanzler-Träume würden zerplatzen wie eine Seifenblase.


Transparenzhinweis: Ich habe diesen Kommentar geschrieben, nachdem ich erfahren habe, dass eine enge Verwandte von mir Opfer der Söder’schen Corona-Politik ist – von in meinen Augen völlig absurden Maßnahmen. Ich werde das in Kürze in einem eigenen Beitrag schildern. Den Kurs Söders sah ich aber auch vorher schon kritisch – wie meine bereits veröffentlichten Beiträge zeigen. Ich kenne den CSU-Chef übrigens persönlich aus meiner Zeit als AFP-Bayern-Korrespondent. In Moskau waren wir sogar einmal zusammen Mittag essen. Besonders hervorstechend waren in meinen Augen immer die großen Ambitionen und der große Ehrgeiz. Wobei das ja in der Politik kein Alleinstellungsmerkmal ist.


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Bild: Maik Meid/Shutterstock
Text: br


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