Der Drache der Zensur ist längst in Europa gelandet Google und das „Projekt Dragonfly“

Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen

Noch vor einigen Jahren führte der ehemalige CEO von Google, Eric Schmidt, ein bemerkenswertes Gespräch mit Julian Assange über Zensur, Selbstzensur und Zensur durch Komplexität. Damals saß Assange schon in der Botschaft von Ecuador in London fest. Eric Schmidt schwang sich in dem dokumentierten Gespräch scheinbar auf die Linie von Wikileaks ein und beklagte vor allem die Selbstzensur.

Rückblickend ist das erstaunlich. Denn zu diesem Zeitpunkt arbeitete Google schon sehr wahrscheinlich an der Operation Dragonfly, einer chinesischen Suchmaschine, die Googles Rückkehr auf den zensierten, chinesischen Markt ermöglichen sollte. Dragonfly, ein Suchalgorithmus, der nicht nur zensierte Seiten ausließ, sondern auch die Telefonnummern der Chinesen speichern sollte, welche unerlaubte Seiten anfragten, wurde nach massiven internen Protesten und Veröffentlichungen der Zeitung „The Intercept“ sowie einer Anhörung Googles im US-Justizausschuss 2019 offiziell aufgegeben.

Hauptinhalt des Projektes, das experimentell bereits auf einer chinesischen Seite mit dem Namen 265.com lief, welche Google schon 2008 von einem chinesischen Betreiber gekauft hatte, war die Etablierung auf dem chinesischen Markt mittels Anpassung an die Zensur der Kommunistischen Partei Chinas.

Für Eric Schmidt, der seit 2020 nicht mehr bei Alphabet (Googles Konzernmutter) ist und sich vor allem um militärische Anwendungen des Internets als Vorsitzender des „Defense Innovation Board“ in den USA, kümmert, ist Zensur ohnehin nicht mehr das Problem. Von ihm stammt der Satz:

“If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place.”

Sinngemäß: “Wenn Du nicht willst, dass etwas von Dir an die Öffentlichkeit kommt, solltest Du es am besten gar nicht tun.“

Privacy, wie man sie sich vorstellt, sieht irgendwie anders aus. Für Eric Schmidt ist „privacy“ „something for filthy people“, etwas für „versiffte Leute“ also.

Für das Militär und den dazugehörigen industriellen Bereich sieht Schmidt allerdings die höchste Geheimhaltungsstufe als akzeptabel an und hat sich längst der Sprechweise des Pentagons angeschlossen, das in Wikileaks einen feindlichen und tendenziell terroristischen Geheimdienst sieht. Die Plattform also, die sich gegen jede Form der Zensur wendet und so ziemlich alles veröffentlicht.

Google folgte diesem Kurs und arbeitete eifrig und geheim für das US-Militär. Dabei geht es beispielsweise um die Steuerung von Drohnen mittels künstlicher Intelligenz und vermutlich auch mittels der globalen Kartierung der Erde durch den Konzern. Auch dieses Projekt ist inzwischen offiziell von Google eingestellt worden.

Wie bei so vielem, eben auch beim chinesischen Engagement, macht der Konzern öffentlich einen Rückzieher. Aber arbeitet er im Verborgenen weiter?

Die Kooperation mit undemokratischen Institutionen und Ländern ist dabei ein ständiges Thema im Konzern. Denn dort erwartet Google viel Geld und viel Einfluss.

Der Super-CEO Sundar Pinchai, der Google und Alphabet seit dem Rückzug der ersten Generation, gemeint sind Larry Page und Sergeij Brin sowie Eric Schmidt, allein führt, hat in Bezug auf China eine langfristige Strategie und will den Markt auf keinen Fall aufgeben. Das hat er immer wieder öffentlich betont.

Genau genommen sind die chinesische KP und Google, ideologisch betrachtet, auch gar nicht so weit voneinander entfernt. Denn das Geschäftsmodell von Alphabet ist die totale Kontrolle. Von der gentechnischen Veränderung des menschlichen Körpers bis zur Bekämpfung des Alters, die sich die Alphabet-Tochter Calico auf die Fahnen geschrieben hat, über das total verwanzte Eigenheim mit direktem Anschluss an Google, welches NEST, der Hersteller von Überwachungstechnologie, anbietet, zum Forschungsunternehmen X, dessen Erkenntnisse aus seinem Drohnenprogramm wahrscheinlich sehr hilfreich für das US-Militär waren, ist Alphabet im „Big Brother-Bereich“ bestens aufgestellt.
Was liegt auch näher, als aus Google einen komplexen Überwachungskonzern zu machen, der jeden Winkel der Welt kontrollieren kann? Für die chinesische Diktatur ein ausgezeichneter Partner.

Aber ist Google auch ein passender Partner für die EU?

Der Konzern zeigt jetzt schon, dass er zur „Selbstzensur“ bereit ist, die eigentlich keine Selbstzensur ist, sondern eine Zensur seiner Nutzer. Wir befinden uns mitten in einem Kampf, was im Internet gesagt werden darf und was nicht, der in Europa vor allem konservative Länder wie Polen und Ungarn gegen Deutschland aufbringt, das hier als Vorreiter einer Internetzensur fungiert. Die ideologischen Grundpositionen, die bei uns vertreten werden, lassen sich sehr schön in einem Artikel bei Netzpolitik nachlesen, zusammen mit der Selbstgewissheit, in welcher der Autor alle anderen Positionen wahlweise als extremistisch oder reaktionär kennzeichnet und in einen Topf wirft. Es geht um das neue EU-Gesetz für digitale Dienste, das hierzulande als zu lasch wahrgenommen wird, weil es den Mitgliedstaaten die gesetzliche Ausgestaltung überlässt.

Deutschland hat schon kräftig zugeschlagen, andere Länder nicht.

In einer solchen Situation ist Google gefragt. Denn der Konzern soll vor allem gegen rechte Positionen aktiv werden und damit auch Länder wie Polen oder Ungarn treffen, z.B. wenn es um den LGBT-Bereich geht. Zensur ist also nicht nur eine chinesische, sondern auch eine europäische Forderung an den Konzern, die in diesem Falle sehr maßgeblich von der deutschen Politik ausgeht.

Zusammenfassend sind wir an einem Punkt angekommen, wo sich all diese Treiber einer Zensur in einem gemeinsamen Interesse treffen, nämlich das politische Meinungsspektrum deutlich zu verengen. Das will China, das will Deutschland und das will Google, dem es um smarte Formen der Kontrolle geht.

Genau das macht den Konzern so gefährlich. In jedem Land der Welt kann Google das Meinungsspektrum auf das politisch gewünschte Maß reduzieren. Eine andere Umschreibung für die schrittweise Abschaffung von Meinungsfreiheit. Im besten Falle resultieren daraus „gelenkte Demokratien“, im schlimmsten Fall totalitäre Diktaturen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.

Bild: 
Text: Gast
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