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Liebe Leserinnen und Leser,
die grausame Tat von Idar-Oberstein hat mich erschüttert. Ein Mann wurde dort an einer Tankstelle offenbar zum Mörder, weil ein Tankwart auf der Maskenpflicht bestand. Das ist bestürzend. Unfassbar.
Leider haben mich auch die Reaktionen auf dieses schreckliche Ereignis befremdet. Wie es instrumentalisiert wird. Und missbraucht für Attacken unter die Gürtellinie. Auch meine Autoren und ich bekamen öffentlich viele Diffamierungen zu hören bzw. zu lesen. Der Tenor: Wir seien mitschuldig an dieser Tat.
Das ist an Infamie schwer zu überbieten (wobei ich mich damit wohl irre, weil heute so viel Infamie herrscht, dass alles noch überbietbar scheint). Seit langem wird von Medien und Politik massiv die Spaltung dieser Gesellschaft betrieben. Kritiker der Corona-Maßnahmen und Menschen, die der Corona-Impfung skeptisch gegenüberstehen, werden massiv ausgegrenzt und diffamiert. Gegen sie wird Hass geschürt, es geht so weit, dass sie in sozialen Netzwerken als „Sozialschmarotzer“ beschimpft werden. Beleidigungen als „rechts“, gleichbedeutend mit „rechtsextrem“, bis hin zu „Nazi“ sind an der Tagesordnung.
Nein, all das rechtfertigt nicht im Geringsten eine Tat wie die von Idar-Oberstein. Es wäre auch verantwortungslos, sie mit Hinweis auf eben diese Spaltung zu relativieren. Aber noch verantwortungsloser ist es, wenn gerade diejenigen, die diese Spaltung massiv betreiben, die beinahe im Rund-um-die-Uhr-Modus den Hass in die Gesellschaft hineintreiben, nun diejenigen verantwortlich machen, die diese Missstände benennen, wenn genau dieser Hass so schreckliche Früchte trägt.
WEISHEIT AUS RUSSLAND
Im Russischen gibt es dafür ein legendäres Zitat des großen Satirikers Gogol: „Man soll nicht auf den Spiegel schimpfen, wenn er eine Fratze zeigt.“
Leider lehrt uns die Geschichte, dass massive Ausgrenzung und Spaltung in Gesellschaften eben mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass es zur Eskalation bis hin zu Gewalt kommt (wobei man hier unterscheiden muss zwischen regelrechten Gewalt-Wellen, wie etwa von der RAF, die wohl eher nicht zwangsläufig sind, und einzelnen Verwirrten oder psychisch Kranken, die von den beschriebenen Faktoren getriggert werden und durchdrehen). Politiker wie Söder, die einerseits vor Gewalt durch Corona-Maßnahmen-Kritiker warnen, andererseits aber alles tun, um diese mit dem Rücken an die Wand zu drängen, verhalten sich wie jemand, der ständig Öl um einen glimmenden Brandherd gießt und sagt: Ich warne euch, das wird irgendwann brennen!
Der Tagesspiegel, Zentralorgan der Hetze gegen Corona-Maßnahmen-Kritiker, die dort oft wahrheitswidrig „Corona-Leugner“ genannt werden, titelt: „Rechte jubeln über Mord von Idar-Oberstein“. Ja, leider werden sich wohl Menschen finden, die moralisch so verkommen sind, dass sie über diese schreckliche Tat jubeln. Solche verirrten Seelen wird man auch bei den meisten Terroranschlägen finden. Nur wird kaum eine Zeitung wie der Tagesspiegel danach titeln: „Moslems jubeln über Mord durch Terroranschlag“.
Die Überschrift im Tagesspiegel ist mehrfach perfide. Zum einen werden hier wie üblich auf propagandistische Weise „rechts“ und „rechtsradikal“ gleichgesetzt. Denn „rechts“ ist ein legitimer Teil des politischen Spektrums. Bundesinnenminister Horst Seehofer bezeichnete sich in der Bundespressekonferenz in meinem Beisein als „politischer Rechter.“ Liebe Kollegen vom Tagesspiegel: Wollt ihr allen Ernstes suggerieren, Konservative wie Seehofer freuten sich über den Mord? Oder steckt ihr absichtlich Konservative und Bürgerliche in einen Topf mit Extremisten?
SCHEINHEILIGKEIT IM QUADRAT
Die Überschrift ist Propaganda pur in mehrfacher Hinsicht. Weil sie zudem auch Corona-Maßnahmen-Gegner als „rechts“ hinstellt (meine Erfahrung ist, dass ein großer Teil von ihnen aus dem linken Spektrum kommt, gerade auch von den Grünen). Zum anderen wird so der Eindruck erweckt, Freude über den Mord sei ein allgemeines Merkmal bei den Kritikern der Corona-Politik. Wer solche Überschriften macht, treibt genau den Hass in die Gesellschaft, den ich oben beschrieben habe.
Jan Böhmermann gibt u.a. Julian Reichelt von @BILD Mitschuld am Mord von Idar-Oberstein @jreichelt pic.twitter.com/2EjIwQimNo
— Alexander Wallasch (@AlexWallasch) September 22, 2021
Besonders dreist agiert der Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, der eng ist mit Anetta Kahane, Chefin der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die frühere Stasi-IM hat Jagd auf „Rechte“ schon zu DDR-Zeiten betrieben und es jetzt damit zum Liebling des Kanzleramtes gebracht. Kritiker sehen sie als eine Art „Stasi outsourced“. Mit Hilfe von Steuergeldern diffamiert sie Regierungskritiker. Kramer, der es als ihr Sprachrohr von ganz links außen dank der „Linken“ in Thüringen zum obersten Verfassungshüter gebracht hat (ein Irrwitz per se) hat nun rechtsextreme Verschwörungstheorien für den tödlichen Schuss auf einen Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein verantwortlich gemacht.
„Die Eskalation der rechten Verschwörungsfantasien von aggressiven und gewaltbereiten Bürgerinnen und Bürgern ist seit Monaten zu beobachten. Bisher als nicht gewaltgeneigte Bürger rasten immer öfter aus, pöbeln und randalieren. Die steigende Aggressivität ist im Alltag überall spürbar.“ Das sagt Kramer. Und manipuliert damit. In einer Art und Weise, die an die Methoden der Dienste im Sozialismus erinnert (einer Tradition, der er sich bei dieser Manipulation möglicherweise gar nicht selbst bewusst ist). Denn er beschreibt hier eine unbestreitbare Tendenz – die steigende Aggression – und instrumentalisiert diese, um Bürgerinnen und Bürgern (das klingt für den normalen Leser nach Mitte der Gesellschaft) „rechte Verschwörungstheorien“ zu unterstellen, wo es um Kritik an der Corona-Politik geht. Gleichzeitig stellt er die Lage unterschwellig so dar, als ginge die Aggression nur von den Corona-Maßnahmen-Kritikern aus.
DIE KANZLERIN UND AGITPROP
Neudeutsch nennt man das, was Kramer hier betreibt, Framing. Früher wäre es unter dem Oberbegriff Agitprop gelaufen. Der steht für „Agitation und Propaganda“. Ein Schelm, wer dabei daran denkt, dass Angela Merkel in der FDJ ein Führungskader („Sekretärin“) für „Agitation und Propaganda“ war. Jedenfalls wurde unter ihr „Agitprop“ in der Bundesrepublik zu einem weit verbreiteten Mittel, das man als Kenner der sozialistischen Systeme auch in neuem Gewand und in der neuen Tarnung erschreckend oft wiedererkennt. Auch bei einer anderen Politikerin der in „Linke“ umbenannten SED – Martina Renner. Diese schrieb auf Twitter: „Der Übergang einer rechten verschwörungsgläubigen Ideologie zu (tödlicher) Gewalt stand seit Monaten im Raum. Jetzt innehalten, die Gedanken gelten zuerst den Angehörigen und Freund*innen des Getöteten – morgen sprechen wir über die fatale Verharmlosung der Coronaleugner*innen.“
Schamlose, dreiste Instrumentalisierung. Und Agitprop.
Entgegengesetztes ist vom Berliner AfD-Abgeordneten Harald Laatsch zu lesen. Der gab der Bundesregierung via Twitter eine Mitschuld an dem tödlichen Schuss. Diese habe mit den „völlig überzogenen Maßnahmen zwei Jahre die Gesellschaft gespalten und Aggressionen geweckt. Jetzt drehen die Ersten durch. Die Verantwortlichen sitzen im Kanzleramt und im Kabinett“.
Auch diese Aussage instrumentalisiert die Tat. Bei aller Kritik an der Bundesregierung und daran, wie sie die Gesellschaft spaltet und Hass schürt – sie zur Verantwortlichen für eine Tat wie die von Idar-Oberstein zu machen, ist unzulässig und manipulativ.
ERSCHRECKENDE ENTWICKLUNG
Wäre unsere Gesellschaft nicht massiv „zersetzt“ und zerfressen von geschürtem Hass, müsste eine Tat wie die von Idar-Oberstein Anlass sein für die Gemäßigten auf allen Seiten, sich zusammenzusetzen und zu überlegen, wie sie die Spirale von Aggression und letztlich auch Gewalt aufhalten könnten.
Ich habe kaum Hoffnung, dass dies geschieht. Zu vielen Akteuren nutzt eben diese Spirale. Die Reaktionen auf Idar-Oberstein belegen dies.
Auch wenn es unter den Kritikern der Corona-Maßnahmen wie in allen gesellschaftlichen Bewegungen auch Hitz- und Wirrköpfe gibt: Sie generell als gewaltbereit oder radikal hinzustellen, ist eine im besten Fall dumme und in jedem Fall absurde Verzerrung der Tatsachen. Genauso wie es absurd ist, all denjenigen, die die Corona-Maßnahmen unterstützen und sie als Politiker betreiben, böse Absicht zu unterstellen.
Unsere Gesellschaft ist vergiftet. Die Vergifter sitzen leider auch in der Regierung und in den Medien. Natürlich nicht nur dort, und nicht nur auf einer Seite der Barrikade – aber aus Regierung und Medien ist das Gift der Spaltung und des Hasses besonders effektiv streubar. Die Vernünftigen aus allen Richtungen müssten sich zusammentun, den Teufelskreislauf benennen und dann gegen ihn ankämpfen.
Die Hoffnung, dass dies geschieht, ist bei mir leider minimal.
Doch ich will nicht auf sie verzichten.
Verzeihen Sie mir, dass sich mein Wochenbriefing heute nur um ein Thema dreht. Aber es geht mir nahe. Und deshalb hoffe ich auf Ihr Verständnis!
Ich freue mich auf viele Begegnungen auf der Seite und bleibe
herzlich
Ihr
Boris Reitschuster
PS: Da nun auch gegen kritische Medien gehetzt wird und diesen eine Mitverantwortung unterstellt wird, will ich als kurze Ergänzung noch die Einschätzung eines Kollegen weitergeben, die er mir heute als Audio-Nachricht schickte: Er meinte, gerade die kritischen (und oft als „alternativ“ bezeichneten) Medien hätten eine wichtige Ventil-Funktion, und ohne sie wäre die Gefahr einer Radikalisierung noch größer: „Die Leute finden hier eine Heimat gegen die restriktive Politik.“
Bild: ShutterstockText: br