Schockierende Bluttat wird politisch ausgeschlachtet Gerät das Mordopfer von Idar-Oberstein schon in Vergessenheit?

Von Alexander Wallasch

Der auf so eiskalte Weise ermordete Tankstellenkassierer soll zwanzig Jahre alt gewesen sein und dort als Aushilfe gearbeitet haben. Der Ermordete sei als „ruhiger und besonnener Mann“ bekannt gewesen, sagte der Leiter des Kommissariats für Kapitaldelikte bei der Kripo Trier, Christian Soulier, der damit ganz zum Schluss eines Artikels der Welt zitiert wird.

Viel mehr weiß man bisher nicht über den jungen Mann, dessen Leben durch einen Kopfschuss aus der Pistole eines Kunden einer Aral-Tankstelle in Idar-Oberstein beendet wurde. Das Opfer findet noch kaum Beachtung, der Täter steht in den ersten 24 Stunden im Mittelpunkt der Berichterstattung und politischen Kommentierung.

Erste Kommentare des Oberstaatsanwaltes Kai Fuhrmann gaben aber schon den Anstoß für weiterführende Spekulationen aus Medien und Politik zum Täter und seinen möglichen Motiven.

Fuhrmann hatte gegenüber der Presse aus ersten Ermittlungen berichtet, der Täter hätte ausgesagt, er habe sich in die Ecke gedrängt gefühlt. Er hätte für sich „keinen anderen Ausweg gesehen“, er wollte ein Zeichen setzen. Sein späteres Opfer will er als „verantwortlich für die Gesamtsituation“ betrachtet haben, „da es die Regeln durchgesetzt habe“, so der Oberstaatsanwalt.

Aber in welcher Welt des Hasses und der Hetze leben wir mittlerweile eigentlich, dass so eine Wahnsinnstat umgehend von Zeitungen und einflussreichen Politikern wenige Tage vor der Bundestagswahl instrumentalisiert wird, um diese einer Hinrichtung gleichende Schreckenstat gegen jene Menschen zu richten, die sich kritisch gegenüber den Corona-Maßnahmen der Regierung aufgestellt haben?
Eine der wenigen frühen Stimmen der Vernunft wird von N-TV zitiert. Dort nämlich äußerte sich der Kriminalpsychologe Rudolf Egg umfassend zur Tat:

„Niemand, der auch nur halbwegs vernünftigen Verstandes ist, wird einen ihm völlig unbekannten jungen Mann einfach deshalb erschießen, weil er sagt: „Du musst jetzt eine Maske aufsetzen!“ Das ist kriminalpsychologischer Nonsens.“

Und weiter schreibt N-TV: „‚Was da wirklich an diesem Tag und an diesem Abend war, worüber er sich noch geärgert hat‘, sei noch völlig unklar. Möglicherweise habe der Verdächtige ganz andere Gründe als die Corona-Auflage gehabt.“

‘Fass der Aggressivitätsneigung‘

Bei der Vorgeschichte zur Tat müsse man „sehr, sehr aufpassen. Manchmal ist es nur zeitlich miteinander verknüpft, ohne wirklich ursächlich zu sein. Der letzte Tropfen, der das Fass der Aggressivitätsneigung zum Überlaufen gebracht hat, den kann man nicht als die Ursache ansehen. Da wäre im nächsten Moment was anderes der Fall gewesen“, zitiert N-TV weiter den Kriminalpsychologen.

Bei Personen, die ein Gewaltpotenzial haben und so unter Druck stehen, sei es fast egal, so Egg weiter gegenüber dem Nachrichtenportal. Sie nähmen jede Einschränkung als Anlass. Viele orientierten sich bei ihrer Tat „an dem, was zeitgeistig vorhanden ist“.

Noch einmal mehr eine unfassbare, grausige Tat auch aus Blickwinkel solcher Eltern, die selber Kinder haben, die Jobs wie an Tankstellen annehmen, um sich beispielsweise ihr Studium zu finanzieren. Tankstellen werden es in Zukunft sicher deutlich schwieriger haben, geeignetes Aushilfspersonal zu bekommen.

Berichtenswert in diesen ersten Stunden danach, scheint für einige Zeitungen ein angebliches Twitterprofil des Täters zu sein, wo der geschrieben haben soll: „Ich freue mich auf den nächsten Krieg.“ Dieser Twitter-Account allerdings soll schon seit 2019 inaktiv gewesen sein, besagter Tweet eben aus jener Zeit.

Dass es zu diesem Zeitpunkt allerdings noch gar keine Corona-Maßnahmen oder eine Pandemie-Ausrufung gab, interessiert die Medien offensichtlich weniger. Das dürfte aber in den kommenden Tagen ein wichtiger Schlüssel in die kranke Psyche des Täters werden: Die Radikalisierung oder der Wahn des Täters jedenfalls kann auf Grundlage dieser Erkenntnisse mit Corona-Kritik nichts zu tun haben.

Davon vollkommen unbeeindruckt verbreiten ganz normale – man müsste „normale“ hier in Anführungszeichen setzen – Mitbürger mittlerweile hashtags wie #QuerdenkerSindTerroristen.

Beispielsweise die Grüne Jugend, die Jugendorganisation der Grünen, hat das so bereits getan. Eine Wahnhaftigkeit ist das gegen Regierungskritiker, die an Hexenverfolgungen im Mittelalter erinnert, als man auf dem Höhepunkt dieser Wahnexzesse Frauen bei lebendigem Leibe verbrannte.

Die Diskreditierung weiter Teile der Bevölkerung hält also unvermittelt an, die Diffamierenden kennen kein Halten mehr.

Wer Ende August 2020 auf der großen Querdenken-Demo in Berlin dabei war, der weiß aber um den uneingeschränkt friedlichen Hintergrund der allermeisten der hunderttausend Demonstranten, die damals dem Ruf der Querdenken-Gruppen und ihres Initiators Michael Ballweg folgten, um ihren Unmut gegen die Maßnahmen der Regierung auszudrücken.

Aber was ist seitdem geschehen? Kritisch eingestellte Menschen wurde polit-medial auf eine Weise beschimpft und niedergemacht, die an die wütenden Reaktionen erinnert, welche die 68er-Bewegung erlebte, als sie sich gegen den ihrer Meinung nach autoritären Staat auflehnte und auf die Straße ging.

Viele Unzufriedene

Aber mit mindestens einem besonders gewichtigen Unterschied: Ein Meinungsforschungsinstitut hat noch im Mai 2021 eine Umfrage zu den Corona-Maßnahmen durchgeführt und festgestellt, dass aktuell mehr als fünfzig Prozent der Deutschen hiermit unzufrieden sind, 24 Prozent sogar sehr unzufrieden. Dreißig Prozent sind explizit mit dem Handeln der Regierung sehr unzufrieden.

Wenn also davon gesprochen wird, die Corona-Maßnahmen der Regierung zu kritisieren, ist ein großer Teil der Bevölkerung heute so eingestellt, dass diese Bürger durchaus Teilnehmer der ersten Demonstrationen Mitte 2020 gegen diese Maßnahmen hätten sein können. Viele Menschen sind unzufrieden wie überall in Europa oder auf der Welt, wo unter der Corona-Pandemie Grundrechte eingeschränkt wurden.

Da muss man sich jetzt tatsächlich die Frage stellen: Soll beispielsweise ein Kassenärztechef Andreas Gassen der Wegbereiter dieses irrsinnigen Mordes sein, weil er gefordert hatte, alle Maßnahmen bis Oktober („Freedom Day“) einzustellen? So etwas zu behaupten wäre Irrsinn.

Aber noch irrsinniger und auf eine Weise eskalierend, die man sich gar nicht vorstellen mag, ist die Aussage eines sogenannten Experten beispielsweise gegenüber der Rhein-Zeitung, wo ein Politikwissenschaftler zum Brandstifter wird und damit auch noch abgedruckt wird.

Besagte Zeitung nämlich lässt einen Markus Linden zu Wort kommen, der dort im Blatt ohne Expertise sagen darf, dass Querdenker eine „Mitschuld“ an der Tat von Idar-Oberstein tragen. Als eine Ursache für den Mord sieht er – und er sagt das, als wisse er schon viel mehr als die ermittelnde Staatsanwaltschaft – „die Radikalisierung der Querdenker-Bewegung“.

Wenn er hier allerdings die Beobachtung durch den Verfassungsschutz meint, dann mag das die Radikalisierung gewesen sein seitens des Staates, der dieses Instrument unter dem ausgetauschten Verfassungsschutzpräsidenten nutzt, um außerparlamentarischer Kräfte mundtot zu machen.

Was folgt auf den Beobachtungsfall? Die Löschung der Kanäle in den sozialen Medien. Und der Staat macht auch vor den Parlamenten nicht halt, wo Teile der Opposition schon unter Beobachtung gestellt wurde oder noch werden soll.

Aber deswegen besorgt sich noch lange niemand eine illegale Waffe und geht in eine Tankstelle, um einen jungen Mann zu erschießen, der nur eine Dienstanweisung ausführt und auf das Masketragen hinweist.

Vielleicht war der Ermordete selbst ein Kritiker der Corona-Maßnahmen des Staates – darüber weiß man bisher noch nichts, weil sich Politik und Medien in diesen frühen Stunden darin übertreffen, bereits wissen zu wollen, dass hinter dem Mord eine extremistische Ideologie stecken würde, die man der Querdenken-Bewegung zuschiebt.

Vielfache Aufrufe zur Gewaltlosigkeit

Aber nein, Corona-Maßnahmen-Kritiker haben im Gegenteil vielfach dazu aufgerufen, friedlich zu protestieren. Es war ein, wenn nicht sogar das Mantra dieser Bewegung, Gandhi-Plakate waren die Demo-Begleiter und allerlei andere Insignien der Hippie-Bewegung.

Im Gegensatz dazu gibt und gab es eine ganze Reihe von Gewaltaufrufen gegen diese Menschen aus dem linksextremistischen Spektrum. Der Linksextremismus verzeichnet in der aktuellen BKA-Statistik überproportional hohe Steigerungsraten.

Die Übergriffe gegen Oppositionelle durch diese außerparlamentarischen, teils paramilitärisch strukturierten Gewalttäter, die sich gegen Regierungskritiker wenden, nehmen rasant zu. Und wer von Hetze im Netz spricht, der kann ja diese Legionen von linksextremistischen Irren nicht aussparen, die sich neben oder mit ihren rechtsextremistischen Pendants austoben.

An der Aral-Tankstelle, wo der 20-Jährige von dem 49-jährigen Täter erschossen wurde, wurden von den Anwohnern Blumen abgelegt. Die Menschen nehmen emotional Anteil und fühlen mit der Familie des Ermordeten so wie die allermeisten Bundesbürger, die davon schon gehört oder gelesen haben. Die Ächtung und Verurteilung solcher Taten ist in Deutschland in diesen Stunden eine Selbstverständlichkeit. Die Trauer ist umfassend. Und sie eint diese Menschen.

Aber wer es unternimmt, diese Trauer politisch zu instrumentalisieren, etwa für den nahen Wahlkampf, dessen Menschlichkeit und Mitgefühl muss furchtbar auf der Strecke geblieben sein. Nein, schlimmer kann man es nicht treiben, als diesen schrecklichen Mord noch zu irgendeinem politischen Vorteil ausbauen zu wollen.

Für alle oppositionellen Kräfte im Land und für die vielen mit der Regierungspolitik unzufriedenen Bürger gilt jetzt einmal mehr: Trauert mit der Familie und den Freunden des jungen Mannes. Und anschließend kritisiert noch schärfer und vehementer jene regierungsnahen Kreise, die diese Tat jetzt auf so niederträchtige Art und Weise für ihre Zwecke und ihren Wahlkampf missbrauchen wollen.

Nachtrag: Und als ginge es darum, all diesen eben geschilderten Irrsinn noch unter Beweis zu stellen, twittert der öffentlich-rechtliche Gesellschaftsspalter Jan Böhmermann eine Liste von Accounts, denen wohl der Mörder ebenfalls auf Twitter gefolgt war. Böhmermann nennt die Account-Inhaber jene, die dem Mörder „den Treibstoff für seinen Hass geliefert“ hätten. Mit dabei der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, die Publizistin Birgit Kelle und last but not least: BILD-Chef Julian Reichelt.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Screenshot WELT Nachrichtensender, 22.09.2021
Text: wal

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