Mich haben mehrere Leserzuschriften erreicht mit der Frage, warum ich nichts zu dem Terrorakt in Moskau geschrieben habe. Zum einen ist das nicht ganz korrekt – denn in all meinen Social-Media-Kanälen habe ich dazu folgenden Post geschrieben, den ich auch hier auf meiner Seite veröffentliche:
Bestürzend, wie – von beiden Seiten – der Terror von Moskau instrumentalisiert wird. Die einen freuen sich ungeniert über das Blutbad, die anderen instrumentalisieren es, um ihre politischen Gegner zu diffamieren. Und das, obwohl die Hintergründe noch völlig unklar sind. Meine Hoffnung: Dass die große (schweigende) Mehrheit nicht so denkt und einfach nur in stiller Trauer der Opfer gedenkt.
Dass ich keinen eigenständigen Post hier auf meiner Seite verfasst habe, liegt daran, dass ich einfach zu wenig wusste – und bis heute zu wenig weiß, was über das hinaus geht, was in den großen Medien berichtet wird. Und das Prinzip meiner Seite ist ja, nicht nachzuerzählen, was man überall lesen kann – sondern eigene Blickwinkel zu bieten.
Der Terroranschlag hat mich emotional sehr angefasst. Wie sicher jeden von Ihnen. Als jemand, der 16 Jahre in Moskau gelebt hat, für den Moskau die zweite Heimat ist, der viele Freunde und auch Verwandte dort hat, geht mir der Anschlag natürlich besonders nah.
Wobei ich dazu sagen muss, dass mir auch sehr nahe geht, dass meine Freunde in Kiew und anderen Städten fast täglich mit dem Tod durch russische Raketenangriffe rechnen müssen.
Ich stelle das nur fest, und es liegt mir völlig fern, mich einer Unsitte unserer Zeit anzuschließen: Unrecht gegeneinander aufzuwiegen. Das sollten wir wirklich unterlassen.
Eine weitere Unsitte ist, dass sofort die unglaublichsten Spekulationen weit verbreitet werden. Die Toten waren noch nicht beerdigt, da „wussten“ viele schon, wer schuld ist.
Ich weiß nur Folgendes: Viele unterschätzen völlig, dass Russland ein Vielvölkerstaat ist, mit massiven internen Spannungen. Diese werden im Moment durch eine repressive, autoritäre Politik unter dem Deckel gehalten. Umso größer ist der Druck, der sich anstaut, und umso heftiger wird die Explosion sein. Ein Auseinanderbrechen Russlands als das letzte große Kolonialreich neben China ist unvermeidlich. Insbesondere, weil eben auf Repression statt auf Ausgleich und Föderalisierung gesetzt wird. Das Auseinanderbrechen wird zu heftigen Erschütterungen führen und alles andere als erfreulich werden.
Gerade in islamisch dominierten Regionen Russlands ist die Abneigung gegen die Zentralmacht groß – nur wird sie momentan (noch) unter der Decke gehalten. Wie groß die Sprengkraft ist, zeigt etwa, dass der Putin-Intimus Ramsan Kadyrow schon mal ganz offen mit dem „Heiligen Krieg“ gegen Ungläubige droht – unter den Augen des Kreml-Chefs, den das nicht zu stören scheint. In Moskau sind ganze Straßen im Ramadan nicht befahrbar. Ich habe selbst ein Silvester in Moskau erlebt, als im Zentrum, wo ich unterwegs war, nur Menschen aus den islamischen Nachbarrepubliken zu sehen waren. Russland als Bollwerk gegen die Islamisierung – das ist ein von Putins Propagandisten sorgsam aufgebautes und absurdes Märchen (siehe hier). Spannend ist auch, dass die großen Medien das Thema fast völlig ausklammern – wohl wegen ihrer politischen Korrektheit.
Dass der Kreml die Ukraine für den Terroranschlag verantwortlich machen würde, davon war ich überzeugt, sobald ich die erste Nachricht gehört habe. Der Kreml hat noch jeden Terroranschlag so interpretiert, wie es ihm politisch passt. Und damit steht der Kreml übrigens nicht allein. Nach meinem Kenntnisstand gibt es keinerlei harten Beleg für die Behauptung des Kremls. Und es ist auch schwer vorstellbar, dass die Ukraine hinter einem solchen Terrorakt steht. Zum einen wäre das für Kiew geradezu suizidal, wegen der Gefahr einer Aufdeckung. Zum anderen nutzt ein solcher Terrorakt Kiew nicht. Im Gegenteil: Erfahrungsgemäß scharen sich die Bürger nach so einem Anschlag um ihre Führung. Und Putin kann ihn nutzen, um den Krieg und den Druck auf Andersdenkende zu intensivieren.
Berichte, wonach die gefassten Tatverdächtigen gefoltert wurden, haben mich bestürzt. Sollten sie zutreffen, würde mich das keinesfalls wundern – weil Folter durch die Polizei und in den Gefängnissen in Russland leider an der Tagesordnung ist. Den Berichten zufolge wurde einem der Männer, die aus Tadschikistan stammen, ein Ohr abgeschnitten und in den Mund gelegt, einem anderen soll ein Auge herausgerissen worden sein. Da Folter wie gesagt an der Tagesordnung ist, muss man Aussagen, die von den Gefolterten abgepresst werden, äußerst kritisch hinterfragen.
An – echten – Verschwörungstheorien aus allen Richtungen möchte ich mich explizit nicht beteiligen. Wer jetzt behauptet, die USA stünde hinter dem Anschlag, um Chaos in Russland zu schaffen, oder – umgekehrt – Putin habe ihn selbst inszeniert, um einen Vorwand zu haben, noch brutaler gegen die Ukraine und Kritiker im Inland vorzugehen, kocht sein politisches Süppchen mit dem Leid der Opfer.
Ich war bei vielen Terroranschlägen vor Ort, bei der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater Nord-Ost ebenso wie bei der in der Schule von Beslan im Nordkaukasus. Ich habe mit vielen Opfern und Hinterbliebenen gesprochen. Ihr Leid ist unendlich, und selbst jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, kämpfe ich mit den Tränen. Mein tiefes Mitgefühl gilt allen Menschen, die bei dem Terroranschlag ihre Nächsten verloren haben, oder verletzt und/oder traumatisiert wurden. Ich bete für sie und wünsche ihnen viel Kraft.
Ebenso wie den unzähligen Opfern von russischen Attacken auf die Ukraine. Und den Menschen, die dort leben, und wegen der ständigen Bombenalarme oft kaum noch schlafen können und jeden Tag und vor allem jede Nacht um ihr Leben zittern müssen.
Man könnte verzweifeln an dieser Welt.
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Mein Tag hat nur 24 Stunden, und ich kann da nicht regelmäßig durch solche Auswüchse arbeiten.
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Ich weiß aber aus vielen Reaktionen, dass die ganz große Mehrheit der Leser Verständnis hat, und denen bin ich dankbar. Mehr noch: Viele sprachen sogar von einem Missbrauch der Kommentarfunktion und beschwerten sich über die massive Aggressivität und den rauen Ton.
Von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit zu sprechen ist unfair und falsch, denn Sie haben ja die Möglichkeit, zu genau diesen Artikeln unter meinen entsprechenden Posts auf Facebook, Twitter etc. zu kommentieren.
Meinungsfreiheit bedeutet ja nicht, dass man seine Meinung auf genau die Hauswand schreiben darf, auf die man möchte 😉
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