Die desaströse Bilanz des Karl Lauterbach Wissenschaftsferne Selbstinszenierungen statt durchdachter Konzepte

Von Daniel Weinmann

Karl Lauterbach zieht ein geradezu trauriges Fazit der ersten Monate seiner Amtszeit als Gesundheitsminister. Doch ist es nicht eine plötzliche Anwandlung von Selbstkritik, die ihn zu dieser Aussage verleitet. Vielmehr ist es die Eingenommenheit von sich selbst, die ihn sagen lässt: „Ich würde mir wünschen, dass der Tag mehr Stunden hat“, sagte Lauterbach der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Die Aufgabe ist viel härter, als ich mir das vorgestellt hatte, es ist eine Belastung, wie ich sie mir in dem Umfang nicht vorgestellt habe.“

Blickt man auf sein Pandemie-Management, wünschte man sich indes, dass der SPD-Politiker kürzer träte – und sagt sich: Welch Glück, dass seine tägliche Schaffenszeit begrenzt ist. „Mein Tipp: Ab sofort mal drei Jahre nichts tun. Win-win für Sie und ganz Deutschland! Wetten?“, bringt es ein Forist im Chat der „Welt“ auf den Punkt.

„Lauterbach liegt wahrscheinlich komplett daneben“, titelte das Springer-Blatt in Anspielung auf ein Zitat des Immunologen Andreas Radbruch vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin.

»Die schlechte Datenlage bremst das Pandemiemanagement immer wieder aus«

Stein des Anstoßes: Wissenschaftler um die Virologin Sandra Ciesek vom Uniklinikum in Frankfurt am Main und von Biontech liefern Hinweise, was im Immunsystem von Menschen passiert, die vollständig geimpft und zudem infiziert sind. Grund genug für Lauterbach, dies via Tweet zu verbreiten – mit einer Fehlinterpretation:

„Wichtige Studie von BionTech und @CiesekSandra zeigt, dass eine zukünftige Omicron Impfung auch Schutz gegen andere Varianten geben dürfte. Das ist eine sehr gute Nachricht. Damit käme man einem Ende der Pandemie durch Impfungen einen Schritt näher.“

Ob die Impfung eines an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffs den Schutz erhöht, war gar nicht Gegenstand der Untersuchung. Auch der Umkehrschluss, dass ein Vakzin dieselbe Wirkung hat wie eine echte Ansteckung, lässt sich auf Basis dieser Daten nicht ziehen.

Es sind indes nicht nur Schnitzer wie diese, die Lauterbachs Wirken als Gesundheitsexperte prägen. Bisweilen mangelt es schlicht an den notwendigen Grundlagen für eine seriöse Ausgestaltung der Corona-Politik. Vor zwei Monaten etwa versprach Lauterbach präzisere Daten zur Belastung der Kliniken mit Covid-Patienten – sie fehlen bis heute. „Die schlechte Datenlage bremst das Pandemiemanagement immer wieder aus“, moniert Tino Sorge, der Unions-Gesundheitsexperte im Bundestag.

Was interessiert ihn sein Geschwätz von gestern?

Doch sein SPD-Pendant ficht dies nicht an. Lauterbach betont immer wieder, es sei aus seiner Sicht letztlich unerheblich, ob ein Patient wegen oder mit Corona im Krankenhaus liege.

Angesichts solcher wissenschaftsferner Selbstinszenierungen sollte man es wohl besser mit Kult-Entertainer Harald Schmidt halten, der Ende Januar 2021 im „Spiegel“ ätzte: „Ich höre nicht mehr hin, weil mir der rheinische Jammersound lästig wird.“ Doch sicher scheint: ‚Karl, der Fehlbare‘ („Die Zeit“) wird uns in ebendiesem Singsang noch länger mit evidenzfreien Halbwahrheiten beglücken.

Dabei konnte der Professor, der auf Twitter fast eine Million Follower hat, vor Jahrzehnten noch ganz anders. Angesichts des Skandals um den Cholesterinsenker Lipobay im Jahr 2001, bemängelte Lauterbach als Mitglied des Sachverständigenrates des Gesundheitsministeriums, dass bei der Einführung von neuen Medikamenten Langzeitstudien fehlten. Mit einer Langzeitstudie über drei bis sechs Jahre mit mehreren tausend Patienten ließe sich das Risiko genauer ermitteln.

»Eine Impflicht macht bei SarsCov2 so wenig Sinn wie bei Grippe« (Lauterbach im Mai 2020)

Mit Blick auf die bis heute nicht zugelassenen Corona-Impfstoffe scheint es Lauterbach hingegen eher mit dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ zu halten. Das Einzige, was zählt, ist vielmehr die möglichst schnelle und multiple Durchimpfung der Bevölkerung. Nebenwirkungen gibt es nach seinem Dafürhalten ohnehin nicht: „… zusätzlich geht es darum, weshalb eine Minderheit der Gesellschaft eine nebenwirkungsfreie Impfung nicht will, obwohl sie gratis ist und ihr Leben und das vieler anderer retten kann“, twitterte der ewige Mahner bereits im vergangenen August.

Eine Drehung um 180 Grad machte er sogar in Bezug auf die Impfpflicht. „Eine Impflicht macht bei SarsCov2 so wenig Sinn wie bei Grippe“, twitterte Lauterbach Mitte Mai 2020. „Wenn die Impfung gut wirkt wird sie auch freiwillig gemacht. Dann keine Impflicht nötig. Wenn sie viele Nebenwirkungen hat oder nicht so gut wirkt verbietet sich Impflicht. Daher nie sinnvoll.“ Der Rest ist Geschichte.

Vielleicht trägt Lauterbach ja noch einen Teilsieg davon: An diesem Donnerstag könnte der Bundestag mit der allgemeinen Impfpflicht ein Projekt beschließen, das zwischenzeitlich zum Herzensprojekt des hageren Mannes mit den zerzausten Haaren avanciert ist: „Das wird aus meiner Sicht ein Segen sein, denn das wird dann die Ausgangslage im kommenden Herbst, wenn sich die Lage wieder verschärfen könnte, grundsätzlich verbessern.“

Gut möglich, dass der Minister zurückstecken muss und die Impfpflicht erst ab 50 oder gar 60 Jahren gilt. Doch Lauterbach wird auch dies als seinen Erfolg zur Rettung der Deutschen zu verkaufen wissen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Shutterstock
Text: dw

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