Dass die Polizei massiv in die Privatsphäre von Menschen eindringt und sie damit einschüchtert, ja terrorisiert, nur weil sie eine „falsche“ Meinung haben, gilt als eines der grundlegenden Merkmale von unfreien und autoritären Regimen. Leider ist genau das in der Bundesrepublik heute geradezu zum Standard geworden. Und wird in den großen Medien – wenn überhaupt – so vermeldet, als sei es die normalste Sache der Welt. Erst kürzlich habe ich hier darüber berichtet, wie ein Unternehmer aus Bayern die Ordnungsmacht am hellichten Morgen in seinem Haus hatte. Sein Verbrechen: Plakate mit harmlosem Spott über die Grünen auf seinem Grundstück (siehe hier). Man kann inzwischen von einer gezielten Pervertierung des Rechtsstaats sprechen (siehe hier).
Das jüngste, besonders drastische Beispiel: Weil er gegen Schwule und den homosexuellen Oberbürgermeister von Neubrandenburg Silvio Witt wetterte, bekam der Neubrandenburger Ex-Stadtrat und ehemalige Kanu-Leistungssportler Tim Großmüller jetzt „Besuch“ von der Polizei. Die Beamten durchsuchten seine Wohnräume. Was in meinen Augen einfach hanebüchen ist und ein klarer Missbrauch des Rechtsstaats. Genauso wie in der „Pimmel-Affäre“, als ein Hamburger die Polizei in der Wohnung hatte, weil er den SPD-Innensenator in einem sozialen Netzwerk spöttisch „Pimmel“ genannt hatte. Leiden mussten Frau und Kinder, die anders als der Angezeigte, zu Hause waren und von der Polizei überrumpelt wurden (siehe hier).
Die „Bild“ berichtet über den neuen Fall in Neubrandenburg unter der Überschrift: „Razzia, Neubrandenburg: Ex-Stadtrat hetzt gegen schwulen Bürgermeister.“ In dem gesamten Bericht wird die Massivität des Eingriffs nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt. Offenbar agieren die Journalisten bei Deutschlands größter Zeitung nach dem gleichen Motto wie die Justiz, frei nach Mao: „Bestrafe einen, erziehe Hunderte.“
„Seit heute Morgen ist die Kriminalpolizeiinspektion Neubrandenburg in einer geplanten Durchsuchungs-Maßnahme bei einem kommunalpolitisch ambitionierten Unternehmer aus Neubrandenburg im Einsatz“ – mit diesen zynischen Worten zitiert das Blatt Polizeisprecherin Claudia Berndt. Zuvor habe die Staatsanwaltschaft mehrere Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Bedrohung gegen Großmüller geführt, heißt es in dem Bericht. Und weiter, in üblichem Framing: „Der Rechtsaußen-Politiker hatte im Sommer die Stadtvertretungs-Fraktion ‘Bürger für Neubrandenburg‘ verlassen. Seither bringt er sich als ‘Alternative für Neubrandenburg‘ für die Kommunalwahl im Juni in Stellung.“
Doch es kommt noch schlimmer. Das Blatt schreibt: „‘Stabile Bürger NB‘ nennt Großmüller, der einst ein international erfolgreicher Nachwuchs-Kanute war, sein Bündnis, das bei Facebook unverhohlen ‘Deutschland zuerst‘ fordert.“ Was für eine Selbstentlarvung der „Bild“: Wenn jemand will, dass das eigene Land zuerst kommt, ist das für die Kollegen ganz offensichtlich etwas Verachtenswertes. Welches Land soll nach den Vorstellungen der Kollegen denn stattdessen zuerst kommen? Marokko? Syrien?
Einer der Auslöser der Aktion war offenbar folgender Kommentar von Großmüller zu einem Video, das den Oberbürgermeister bauchfrei tanzend auf einer Party zeigt: „Das soll also das Aushängeschild von Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg sein. Ein kleiner f….er🏳️🌈OB Verbindlich Silvio Witt. Einfach nur peinlich !!!“
Das mag nicht die feine englische Art sein. Es mag auch angehen, dass die Staatsanwaltschaft darin einen Anfangsverdacht sieht und ermittelt. Aber ein Anlass dafür, dass die Polizei in die Wohnung stürmt? In einer freiheitlichen Demokratie sicher nicht – weil es schlicht das Grundprinzip der Verhältnismäßigkeit auf den Kopf stellt.
Aber das kennen die Journalisten-Kollegen offenbar genauso wenig wie die beteiligte Justiz. Oder nicht mehr?
Es geht noch weiter. Im Duktus der Empörung schreibt die „Bild“: „In anderen Beiträgen soll Großmüller u.a. die Regenbogenflagge im Zusammenhang mit ‘schwach‘, ‘dumm‘ und ‘faul‘ benutzt haben.“
Ja und?
Liebe Kollegen, habt Ihr sie noch alle? Man kann diese Meinung für falsch halten, auch für unverschämt – aber genau für solche Fälle ist die Meinungsfreiheit gedacht! Nicht für das Nachplappern von rot-grünen Parolen, die Staatsräson sind. Wünscht Ihr Euch ein Nordkorea in Deutschland?
Polizeisprecherin Claudia Berndt sagte dem Bericht zufolge: „Er steht zudem unter Verdacht, volksverhetzende und beleidigende Posts gegenüber dem Oberbürgermeister der Stadt Neubrandenburg formuliert, und veröffentlicht zu haben. In diesem Zusammenhang wird außerdem die Veröffentlichung eines Tanzvideos des Oberbürgermeisters aus dem Jahr 2024 im Rahmen einer privaten Veranstaltung hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz geprüft.“
Der Beschuldigte habe sich kooperativ verhalten, die Polizei habe Kommunikationsmittel sicherstellen können, so die Behördensprecherin.
Erstaunlich, wie unterschiedlich der Ermittlungseifer ist. Als ein regierungstreuer Anwohner mir bei einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen einen Blumentopf Richtung Kopf schmiss, sah sich die Polizei nicht in der Lage, den Mann zu ermitteln. Der hat schlicht die Wohnungstür nicht geöffnet. Und das war es dann offenbar (Details siehe hier). Tätliche Angriffe auf kritische Journalisten, die schlimme Verletzungen zur Folge haben könnten, sind für unseren Linksstaat (ich sage bewusst nicht mehr Rechtsstaat) offenbar weitaus weniger schlimm als Spott über einen Bürgermeister, der halbnackt auf Partys tanzt.
Wenn man sich das Vorgehen von Polizei und Justiz gegen Großmüller und viele andere ansieht, muss man sich zwangsläufig die Frage stellen: Steht demnächst auch bei mir wegen eines „falschen“ Wortes die Polizei im Morgengrauen vor der Tür? Und stürmt sie dann meine Wohnung, wie bei dem kritischen Arzt Paul Brandenburg, den Beamte in Handschellen halbnackt auf den Boden drückten wie einen Schwerkriminellen (siehe hier)? Genau das Schüren dieser Angst ist in meinen Augen das Ziel solcher Aktionen. Jeder aufrechte Demokrat muss sich über sie empören und sie verurteilen. So ein Missbrauch der Polizei und Justiz wäre es wert, dass Millionen Menschen auf die Straße gehen gegen eine Regierung, die so etwas fördert und veranlasst. Aber damit genau das nicht geschieht, werden die Menschen unter anderen Vorwänden auf die Straße gedrängt – um genau für diese Regierung zu demonstrieren.
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