Dienstpflicht für angehende Ruheständler? Eine Politikerin will ältere Generationen zur Verantwortung ziehen

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Kristina Schröders Bildungs- und Erwerbsbiographie ist für Politiker nicht ungewöhnlich. Direkt nach ihrem Studium der Soziologie, Politikwissenschaft, Mittleren und Neueren Geschichte sowie Philosophie, bei dem man sich fragen muss, ob die Breite nicht ein wenig auf Kosten der Tiefe ging, das sie aber immerhin mit einem Diplom in Soziologie abgeschlossen hat, wurde sie 2002 für die CDU in den Deutschen Bundestag gewählt, wo sie bis 2017 verblieb. Dass sie während dieser Zeit noch promovierte, wenn auch in einem eher zweifelhaften Fach wie Politikwissenschaft, spricht für sie; damit ist sie ungleich qualifizierter als der übliche Grüne.

Seit ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag ist sie Autorin bei der „Welt“, Unternehmensberaterin und „Speakerin“, was man früher wohl als Vortragsredner bezeichnet hat. Wirft man einen Blick auf ihre Homepage, so findet man tatsächlich vernünftige Sätze wie zum Beispiel „Ein liberales Argument gilt inzwischen oft als ‚rechts‘. Was deutlich mehr über unseren öffentlichen Diskurs aussagt, als über den, der so argumentiert.“ Dem kann ich nicht widersprechen. Oder: „Gleichberechtigung meint Chancengleichheit am Start, Gleichstellung Gleichmacherei im Ziel. Der Unterschied ist etwa so groß wie der zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft.“ Auch das unterschreibe ich gerne, und sogar in ihren „Welt“-Artikeln lässt sich Vernünftiges antreffen.

Le Bon Sozialismus

Bis jetzt, alles hat irgendwann ein Ende. In einem kürzlich erschienenen Meinungsbeitrag in der „Welt“ unterbreitet Schröder nämlich einen Vorschlag: „Wie wäre es, Ältere zum Beginn ihres Ruhestands zu einem Dienst an der Gesellschaft zu verpflichten? 20 Stunden pro Woche, mehr würde ich nicht verlangen. Vielleicht auch mit der Möglichkeit, diese Stunden in den Jahren zuvor kumulativ durch ehrenamtliches Engagement abzuleisten. In Schulen und Kindergärten, in der Flüchtlingshilfe, als Coach für Jüngere.“ Ich werde gleich noch darauf eingehen, wie sie diesen Vorschlag begründet. Zunächst will ich aber ihre Frage beantworten. Wie wäre es, eine Dienstpflicht für angehende Ruheständler einzuführen?

Dienst an der Gesellschaft

Ganz einfach: Es wäre unverschämt. Man stelle sich vor: Nach einem Jahrzehnte langen Arbeitsleben tritt jemand in den Ruhestand, das durchschnittliche Alter liegt dann zwischen 64 und 65 Jahren. Bezieht er eine Durchschnittsrente, so erhält er brutto Monat für Monat die ungeheure Summe von 1.550 Euro. Das ist brutto, nicht netto; wie es netto aussieht, will man gar nicht so genau wissen. Und damit er nicht über die Stränge schlägt und zu viel Zeit mit dem Einsammeln von Pfandflaschen verbringt, soll er nun 20 Stunden pro Woche zu einem Dienst an der Gesellschaft antreten, sofern er sich nicht in den Jahren zuvor durch letztlich erzwungene ehrenamtliche Tätigkeit freigekauft hat. Dreißig, vierzig, vielleicht sogar fünfzig Jahre lang hat er gearbeitet, hat Steuern und Sozialabgaben bezahlt, aus denen unter anderem auch das Gehalt von Kristina Schröder finanziert wurde, und damit schon einen beträchtlichen Beitrag für die Allgemeinheit geleistet – dass seine Steuern und Abgaben von Politikern verschleudert wurden, war nicht seine Schuld. Handelt es sich um einen Mann, so kam er in den meisten Fällen nicht an der Pflicht zu Wehr- oder Zivildienst vorbei, die man üblicherweise ebenfalls als Dienst an der Gesellschaft angesehen hat – zählt das nicht mehr? Geht es dagegen um eine Frau, so soll es vorgekommen sein, dass sie viele Jahre ihres Lebens ihren Kindern gewidmet hat, die dann wiederum ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten und geleistet haben. Man könnte daher auf die Idee kommen, dass jemand beim Eintritt ins Rentenalter schon genug „Dienst an der Gesellschaft“ hinter sich hat und sich jetzt endlich einmal sich selbst und seinen eigenen Interessen widmen kann, ganz abgesehen von der Frage der altersbedingten Leistungsfähigkeit.

Schröders Vorschlag ist daher schon abzulehnen, bevor man sich ihre Begründung angesehen hat. Danach wird es noch schlimmer. Man sieht es schon am Ende ihres Beitrages: „Ich denke, gerade die Generation der Babyboomer und meine eigene könnte damit zumindest ein wenig zur Lösung der Probleme beitragen, die wir den Jüngeren hinterlassen.“ So sieht sie die Lage. Ihre Generation und auch die der Babyboomer, zu der beispielsweise auch ich gehöre, haben den Jüngeren so viele Probleme hinterlassen, dass sie ruhig etwas zur Lösung dieser Probleme beitragen können. Ich will jetzt gar nicht weiter darauf eingehen, dass diese Leute nicht nur Probleme, sondern auch beträchtlichen Wohlstand hinterlassen, für den man sich einmal bedanken könnte, statt ihn durch eine unsäglich-zerstörerische Politik zu ruinieren. Sehen wir uns stattdessen Schröders Argument im Einzelnen an.

Wir türmen, so meint sie „seit rund 20 Jahren ungelöstes Problem auf ungelöstes Problem“. „Unsere Investitionen in Infrastruktur sind erbärmlich niedrig, mit Portugal und Irland gehören wir zu den Schlusslichtern Europas.“ „Und so haben wir politisch Verantwortlichen in den letzten 20 Jahren Mütterrente, Elterngeld und Bürgergeld beschlossen, ständig steigende Staatseinnahmen haben – trotz Schuldenbremse – vieles möglich gemacht. Nur für nachhaltige Investitionen – dafür war dann leider regelmäßig nicht mehr genügend Geld da.“ An dieser Stelle benennt sie immerhin noch die Zuständigen: „Wir politisch Verantwortlichen“ haben versagt, nicht etwa der 67 Jahre alte Rentner.

Danach erfolgt ein Übergang ins Vage. „Hinzu kommen die völlig ungelösten Probleme der Energiepolitik, die den Jüngeren auf die Füße fallen werden. Sonne und Wind stehen nicht immer zur Verfügung, von Speichern, die Deutschland in so einer Dunkelflaute, die auch mal Wochen andauern kann, wirklich versorgen könnten, ist die Welt noch Lichtjahre entfernt. Welche grundlastfähige Energie – aktuell stehen hier drei zur Verfügung: Kohle, Gas und Kernenergie – soll dann einspringen?“ Wie man sieht, scheint es hier Probleme ohne Verursacher zu geben, die politischen Entscheidungsträger werden nicht mehr erwähnt, die Probleme sind einfach da.

'Wir'?

Es sieht ähnlich aus bei ihrer Beschreibung der Migrationslage. „Ähnlich ungelöst und weitreichend sind die Probleme der Migrationspolitik. Spätestens seit dem fatalen Kontrollverlust an unseren Grenzen 2015 strömen jährlich Hunderttausende Migranten in unser Land. Fast immer über sichere Drittstaaten, und somit rechtswidrig.“ Das stimmt, aber hat das der Dachdecker verursacht, den sie jetzt zum Dienst an der Gesellschaft verpflichten will? Immerhin erwähnt sie kurz die Ampelkoalition, allerdings nur im Zusammenhang mit der Vereinfachung der Einbürgerung. Die illegale Masseneinwanderung scheint ein Naturgesetz zu sein.

Doch dann, wenn es um die jüngere Generation geht, biegt sie auf die Zielgerade ein. „Und dieser Generation, der wir all diese ungelösten Probleme vor die Füße kippen, haben wir dann in der Pandemie auch noch ungleich härtere Maßnahmen auferlegt als allen anderen. Wir haben ihnen für über zwei Jahre fast alles genommen, was unbeschwerte und prägende Jugend ausmacht, das meiste davon unwiederbringlich. … Die Gesellschaft hat sich für diesen rigorosen Kurs gegenüber Kindern und Jugendlichen entschieden, obwohl immer klar war, dass sie selbst durch Covid nicht nennenswert gefährdet sind.“ Kann irgendein Leser hier noch einen politisch Verantwortlichen finden? „Wir“ haben der jüngeren Generation die Probleme vor die Füße gekippt, „wir“ haben sie in der Pandemie unnötig gequält, „die Gesellschaft“ hat sich für einen rigorosen Kurs entschieden.

Doch seltsam! Ich kann mich daran gar nicht erinnern! Wenn „wir“, unter anderem die Babyboomer, für all diese Probleme verantwortlich sind, dann muss ich es ja wohl auch gewesen sein, und noch etliche andere aus dieser Generation, die mir bekannt sind. Aber ich und all die anderen haben nicht entschieden, die Infrastruktur verkommen zu lassen. Ich und all die anderen haben uns nicht für eine Energiepolitik entschieden, die als irrsinnig zu bezeichnen noch ein Kompliment wäre. Ich und all die anderen haben nicht die Grenzen für alle und jeden geöffnet und seither offen gelassen. Ich und all die anderen haben den Kindern und Jugendlichen während der sonderbaren PCR-Pandemie keine so sinnlosen wie verbrecherischen Maßnahmen aufgezwungen. Es war übrigens auch nicht „die Gesellschaft“, denn Teile dieser „Gesellschaft“ wurden von den eigentlichen Tätern in Angst und Schrecken gejagt und haben auf der Basis von Lug und Trug alles geglaubt und alles gebilligt, was man ihnen vorsetzte.

Ein Gegenvorschlag

Es sind deshalb nicht „wir“, die der jüngeren Generation „all diese ungelösten Probleme vor die Füße kippen“, denn „wir“ haben sie nicht verursacht; viele haben sogar dagegen gekämpft, wenn auch nur mit geringem Erfolg. Verursacher waren genau die, von denen auch Schröder am Anfang ihres Textes noch sprach: die sogenannten politisch Verantwortlichen, die ihrer Verantwortung so gut nachkommen, dass sie keine Probleme lösen, sondern pausenlos neue schaffen. Und deshalb sollen die angehenden Rentner einen Dienst an der Gesellschaft leisten, das muss man einsehen.

Der Vorschlag an sich ist schon unverschämt, seine Begründung spottet jeder Beschreibung. Dennoch will ich nicht im Negativen verbleiben, sondern einen Gegenvorschlag anbieten. Schröders Argument besagt, man solle die dienstverpflichten, die für die aktuelle Misere verantwortlich sind. Dagegen habe ich nichts. Es hat sich aber herausgestellt, wie sinnlos es ist, dafür die Babyboomer oder irgendeine andere Generation heranzuziehen, denn in ihrer überwiegenden Mehrheit hatten die mit den katastrophalen Entscheidungen nichts zu tun, und unterschiedslose Generationenhaft ist nicht besser als Sippenhaft.

Doch wir kennen die Verantwortlichen, die gerne so agieren, als gäbe es weder ein Morgen, noch physikalische oder ökonomische Gesetzmäßigkeiten. Es sind Leute wie Habeck und Scholz, Lauterbach und Spahn, Merkel und Lindner, Esken und Lang, und wie sie alle heißen. Von ihren Hintermännern und Zuträgern ganz zu schweigen, man muss sich nur an Lothar Wieler und Christian Drosten erinnern. Damit haben wir schon die Kandidaten für einen Dienst an der Gesellschaft. Was sie derzeit zustande bringen, kann man nicht dazu rechnen, das ist eher ein Dienst gegen die Gesellschaft. Ich gebe zu: Es wäre schon ein Fortschritt, wenn sie endlich ihrer Wege gingen und wenigstens keinen Schaden mehr anrichten könnten.

Aber im Sinne Schröders wäre das zu wenig, es soll ja ein aktiver Dienst sein. Ich schlage deshalb vor, all die Verantwortlichen für all diese Probleme, die Schröder angesprochen hat, zu dem von ihr vorgeschlagenen Dienst zu verplichten. Es müssten einfache Tätigkeiten sein, Schwieriges ist von diesen Leuten nicht zu erwarten. Wie wäre es beispielsweise mit dem Dienst als Hilfssicherheitskraft an einer Brennpunktschule? Gerne auch nur für zwanzig Wochenstunden, ich will nicht mehr verlangen als Schröder. Und weil wir schon dabei sind: Das Migrationsproblem wurde nicht von uns Babyboomern verursacht, sondern einerseits von den Politikern und andererseits von den Migranten, die in stattlicher Zahl hereinströmen und in weitaus geringerer Zahl wieder hinaus. Somit darf ich zusätzlich vorschlagen, auch diesen Teil der Verantwortlichen heranzuziehen, sofern sie nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, was oft genug der Fall sein dürfte. Sie dürfen sich dann mit den ebenfalls verpflichteten sogenannten Verantwortungsträgern gründlich über die Lage austauschen.

Und die Rentner können allen Verpflichteten nach Feierabend auf dem Heimweg freundlich zuwinken.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Shutterstock

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