Von reitschuster.de
Über die bisweilen katastrophale Situation im deutschen Gesundheitswesen, insbesondere in den Kinderkliniken, wurde auf dieser Seite schon mehrfach berichtet. So etwa über einen Brandbrief an die zuständige Senatorin in Berlin oder über den chronischen Bettenmangel. In den Medien wurden diese offensichtlichen Missstände damals gerne auf die im vergangenen Winter grassierende RSV-Welle zurückgeführt.
Doch jetzt zeigt sich: Die vor gut einem halben Jahr angeprangerten Zustände sind anscheinend eher die Regel als die Ausnahme. Zumindest scheint das für die Hauptstadt zu gelten. Zwei Assistenzärztinnen haben jetzt via „Welt“ den Weg an die Halb-Öffentlichkeit gesucht und sprechen Klartext über ihren Alltag in Berliner Kinderkliniken.
„Halb-Öffentlichkeit“ deshalb, weil das Springer-Blatt die Aussagen der Medizinerinnen zwar veröffentlicht hat, sie aber vorsichtshalber hinter der Bezahlschranke versteckt – fast immer ein sicheres Zeichen dafür, dass ein politisch und/oder gesellschaftlich heikles Thema auf medialer Sparflamme gekocht werden soll. Im vorliegenden Fall trifft zweifelsohne beides zu.
Und auch die Informantinnen scheinen sich in ihrer Haut nicht ganz wohlzufühlen und mögliche Repressalien zu fürchten, weshalb sie anonym bleiben wollen und von den Kollegen nur als Aylin S. und Svetlana M. vorgestellt werden.
Triagen-System für die Rettungsstelle
Der Erfahrungsbericht beginnt mit einigen grundsätzlichen Anmerkungen zur Kinderheilkunde, bei der im Vergleich zu Erwachsenen vieles „über die Akutmedizin“ laufe. Dafür gehe es bei den jungen Patienten mit der Genesung in der Regel sehr viel schneller voran, häufig sehe man entsprechende Fortschritte schon Minuten nach der Behandlung, etwa durch Gabe von Antibiotika.
Umso wichtiger sei daher eine schnelle Versorgung der Kinder, erklärt Aylin, weshalb es für die Rettungsstelle eigentlich ein Triagen-System gebe, das je nach Krankheitsbild und Alter der Patienten eine maximale Wartezeit vorgibt. Eigentlich. „Aber die Zeiten werden regelmäßig überschritten“, beteuert die Ärztin. Die Folgen beschreibt Aylin so: „Vielleicht waren die Kinder noch gar nicht so krank, als sie hereinkamen, aber der Zustand verschlechtert sich beim Warten.“
Wartezeiten von bis zu sechs Stunden sind in der Notaufnahme demnach keine Seltenheit, was die Ärztin als „unzumutbar“ beschreibt – sowohl für die Kinder als auch deren Eltern. Eigenen Angaben zufolge ist Aylin derzeit für 80 Kinder auf vier Stationen zuständig. Ihre Kollegin bestätigt, dass das offenbar kein Einzelfall ist: „Nun sitzen 20 Kinder im Warteraum und da ist eine Ärztin, die für die Notaufnahme zuständig ist und außerdem für 45 Kinder auf der Station.“
Die Konsequenzen können nur als „dramatisch“ bezeichnet werden: „Letzten Winter war bei uns die Überfüllung so groß, dass wir Kinder auf dem Flur untersuchen mussten, wo andere warteten.“ Beispielhaft nennt Aylin einen Fall, in dem bei einem Kind eine „hochinfektiöse Virenerkrankung“ diagnostiziert worden sei und dieses womöglich andere auf dem Flur wartende Kinder angesteckt haben könnte. Das kranke Kind sei zwar an einen Monitor angeschlossen gewesen, dieser sei dann aber ausgefallen: „Weil es keine Steckdose im Flur gab.“
Chronischer Mangel an allen Ecken und Enden
Kurzfristig lassen sich die Probleme in den Berliner Kinderkliniken – sofern sich die Schilderungen tatsächlich nur auf die Hauptstadt beschränken sollten – wohl kaum lösen. Dafür brennt es offenbar auf zu vielen Baustellen lichterloh.
Den Ausführungen von Aylin und Svetlana zufolge mangelt es in den Krankenhäusern an praktisch allem – Ärzten, Pflegern, Betten, medizinischen Geräten bis hin zu Reinigungskräften. Dies führt einerseits zu absurd anmutenden Situationen wie etwa, dass Ärzte die Zimmer ihrer Patienten selbst reinigen und desinfizieren müssen oder einen nicht geringen Teil ihrer Zeit mit Büro(kratie)arbeiten zubringen.
Andererseits können die Auswirkungen aber auch weitaus dramatischer sein. Aylin und ihre Kollegen sehen sich demnach vor allem im Winter nicht selten Fragen wie diesen gegenüber: „Welches Kind bekommt für die Nacht den Monitor, welches Kind bekommt das Atemgerät, welches Kind schafft es nur mit Sauerstoff durch die Nacht?“ Und so gehe das schon seit Jahren, wie Svetlana bestätigt – also nicht erst seit Corona oder der zurückliegenden RSV-Welle.
Immer öfter kommt es vor, dass Kinder in einem Krankenhaus abgewiesen werden müssen, weil alle Betten belegt sind. Im Idealfall findet sich dann innerhalb von Berlin oder zumindest im benachbarten Brandenburg eine Alternative. Aber auch das bleibt leider allzu oft nur Wunschdenken, wie Aylin ausführt: „Im letzten Winter haben wir Kinder nach Magdeburg, Hannover, Rostock und Frankfurt an der Oder verlegt.“
Für die Ärztinnen – und nicht nur für die – ist es daher schwer nachvollziehbar, weshalb in den Krankenhäusern immer mehr Betten abgebaut werden, während die Zahl der zu behandelnden Kinder stetig steigt.
Fließbandarbeit in der Kinderklinik?
Aylin und Svetlana haben ihren Beruf einst aus Überzeugung gewählt und wer das Interview liest, nimmt ihnen auch ab, dass ihnen das Wohl der Kinder am Herzen liegt. Als wichtigen Teil ihrer Arbeit beschreiben die Frauen auch die Gespräche mit den Eltern, in denen es eigentlich um Aufklärung und Vorsorge gehen sollte. Aber auch dafür bleibt häufig keine Zeit – weil draußen schon die nächsten Patienten warten.
Dabei könnten viele Vorstellungen in der Notaufnahme verhindert werden, wenn die Eltern die Beschwerden und Symptome ihrer Kinder richtig einzuschätzen wüssten. Svetlana schildert dies anhand eines Klassikers, den wohl jeder Arzt so oder so ähnlich schon mehr als einmal erlebt hat: „Oft werden Kinder mit Nasenbluten mit der Feuerwehr gebracht. Die Eltern sind in Panik. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich ihnen erklären, wie sie damit umgehen, dass es selten etwas Schlimmes ist.“
Auch Aylin muss sich schließlich eingestehen, dass sie immer öfter an die Grenzen ihrer körperlichen und mentalen Belastbarkeit stößt. Sie müsse aufpassen, dass sie „nicht abstumpft und die Arbeit wie am Fließband erledigt“. Was die Ärztin damit meint, erklärt sie anhand eines Beispiels:
„Da kam eine Mutter nachts mit ihrem kranken Neugeborenen. Es war ein Infekt, das Kind bekam Antibiotika, es war nichts Lebensgefährliches. Aber die Mutter war aufgelöst, ich musste sie beruhigen, dann sollte ich noch mit ihrer Freundin und ihrem Mann sprechen und ihnen alles erklären. Und das ist ja richtig, aber ich merkte: Ich kann nicht mehr.“
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