Das deutsche Gesundheitssystem: Ein System aus Fehlanreizen "Nirgendwo ist leichter Geld mit Gesundheit zu verdienen"

Lauterbach warnt vor einem „unkontrollierten Krankenhaussterben“, berichten die großen Medien, etwa die Tagesschau: „25 Prozent der Kliniken stehen Gesundheitsminister Lauterbach zufolge ohne die geplante Krankenhausreform wohl vor dem Aus.“ Von der Reform sind demnach 1719 Kliniken in der ganzen Bundesrepublik betroffen. „Wir werden Kliniken verlieren, aber ohne die Reform verlieren wir viel mehr und unsystematisch“ – so der Minister in seinem Werben für die Reform. Die Krankenhäuser sind derzeit eine der größten Baustellen der Republik. Und eine der umstrittensten. Zu dem Artikel „Lauterbach Hammer – bald jede zweite Klinik in Deutschland dicht?“ von Kai Rebmann erhielten wir einen kritischen Brief eines leitenden Mitarbeiters im Krankenhaus-Management, der es in sich hat. Weil er erschreckende Blicke hinter die Klinik-Fassaden eröffnet, wie man sie nur selten bekommt. Lesen Sie hier den Insider-Bericht:

Ich leite den Bereich Public & Healthcare bei einer der grössten XXX im Raum XXX und bin faktisch jeden Tag in Krankenhäusern mit dem Top-Management unterwegs. Ich kann Ihnen sagen, dass die Realitäten sich anders erklären lassen, als Sie vermuten. In der Analogie von Covid, sprechen Sie von Long Covid und müssten eigentlich von Post-Vac sprechen. Es ist nämlich keinerlei Unterfinanzierung des Systems existent, sondern es ist ein System aus Fehlanreizen, Fehlallokation und Verteidigung von Pfründen.

Ich versuche es mit wenigen Kernaussagen:

  • Die Einführung der Fallpauschalen war damals die Reaktion auf ein im Quervergleich viel zu teures Gesundheitssystem, welches aus sich selbst heraus nicht mehr zur Effizienzsteigerung bereit und fähig war.
  • Die Verwendung von Kostenpauschalen führt in jedem ökonomischen System auf der einen Seite immer zu einer Effizienzsteigerung, weil sich die Organisationen auf die Deckelungen einstellen – aber:
    – Jedes DRG-System (Dieagnosebezogenen Gruppe, engl. Diagnosis Related Groupshat) hat immer auch unangenehme Nebenwirkungen, insbesondere weil es in Reaktion darauf oftmals zu Fehlllokation der Ressourcen kommt – und das ist in Deutschland mehr als anderswo passiert.
  • Ich sehe in 10 von 10 Fällen, dass die Ärzte sich gerade nicht um echte Effizienzsteigerung in Sachen übergreifender Prozessoptimierung kümmern, sondern sich selbst zu Lasten anderer Abteilungen/Fachbereiche optimieren („Silooptimierung“). Konkret und ganz typisch werden zum Beispiel teure Geräte angeschafft, die dann aber nur (oder zumindest mehrheitlich) für die Privatpatienten oder die Privatpraxis genutzt werden. Dass es für einen Arzt einen Unterschied macht, wie jemand versichert ist, ist meines Erachtens genauso falsch, wie wenn ein Richter ein Urteil mal besser und mal schlechter fällt, je nach gezahlter Lohnsteuer oder Höhe der Rechtsschutzversicherung.
  • Oder – und das ist in 9 von 10 Fällen so – kassieren die Klinikchefs teils Millionenbeträge, während die unteren Stufen fast leer ausgehen (siehe den Bericht in der Bild).
  • Da in Deutschland primär ärztliche Leistungen im DRG vergütet werden, übernehmen viele Ärzte zudem auf Wunsch des Krankenhauses auch Tätigkeiten der Pflege, für die sie eigentlich überqualifiziert und viel zu teuer sind – gleiches gilt für psychotherapeutische Arbeiten. Hier werden unterqualifizierte Ärzte stark präferiert engagiert, weil die für das Krankenhaus attraktiver sind als selbst die für die Gesellschaft langfristig ebenso wichtigen Therapeuten. Ein anderes Beispiel sind die schon genannten Belegarzt-Ansätze, die vordergründig Kosten sparen, aber faktisch dazu führen, dass der Belegarzt im Krankenhaus die teuren Fälle behandelt. Und die profitablen Fälle dann später in der eigenen Praxis – so akkumulieren sich dann um diese Krankenhäuser herum alle lohnenden Leistungsangebote bei den niedergelassenen Ärzten. Die Krankenhäuser gehen wirtschaftlich gesehen leer aus – mit anschließendem Negativkreislauf, weil weniger Einnahmen den Druck noch weiter erhöhen.

Ich hatte mit verschiedenen XXX aus dem In- und Ausland Gespräche und überall gilt die Devise: Es ist nirgendwo leichter im Gesundheitswesen Geld zu verdienen – wie in Deutschland oder der Schweiz. Weil es hier so viele Fehlanreize im System gibt, dass man einfach einen soliden vernünftigen Job machen muss, um profitabel zu sein. Schauen Sie sich an, wie schnell die Ärzte ökonomische Kompetenz demonstrieren, sobald sie aus dem Krankenhaus in die eigene Praxis wechseln. Dass der Zahnarzt der beste Anlageberater ist, ist eine schon viele Jahrzehnte gültige Weisheit.

Ich könnte jetzt lange fortfahren und Aspekte wie viel zu teure Krankenhaus-Bauten, überdimensionierte technische Infrastrukturen, den negativen Einfluss von Lokalpolitikern in den Gremien von Regionalspitälern, die Risiken für Patienten bei zu geringen Fallzahlen in diesen Kleinspitälern, den Effekten des Gießkannenverfahrens beim Krankenhauszukunftsgesetzt, die im Quervergleich mit anderen Bereichen faktisch verschenkten medizinischen Doktortitel, die gerade keine Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit ausweisen (was wir in Corona gesehen haben) und dann zu unzähligen teuren Fehlentscheidungen führen usw. fortfahren. Ich hoffe dass Sie erkennen, dass das Thema meines Erachtens in den Medien aus einer völlig falschen Perspektive heraus diskutiert wird und sozusagen immer nur die Frösche gefragt werden, ob denn der Teich nicht zu groß ist.

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Bild: Iuliia Dynnyk/Shutterstock

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