Von Daniel Weinmann
Spätestens seit Beginn der Coronakrise haben viele Bundesbürger ihr Vertrauen in die deutsche Rechtsprechung verloren. Umso mehr überrascht, wenn eine richterliche Entscheidung zugunsten von Klägern gegen das Maßnahmen-Regime der Regierung ausfällt.
Im Freistaat Sachsen etwa widersetzte sich kürzlich der erste deutsche Landkreis einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Richter hatten Mitte Mai eine Klage gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht abgewiesen (reitschuster.de berichtete). Nun legte das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht nach. Dessen Beschluss vom 13. Juni 2022 (Az. 1 B 28/22) zufolge dürfen Gesundheitsämter nicht durch Verwaltungsakte von Gesundheits- und Pflegepersonal Impfnachweise fordern.
Eine ungeimpfte Zahnarzthelferin aus Flensburg wurde von ihrem Arbeitgeber aufgefordert, ihre Corona-Impfung bis zum Stichtag am 15. März dieses Jahres nachzuweisen. Die mutige Frau reagierte aber nicht. Obrigkeitsergeben benachrichtigten ihre Chefs das zuständige Gesundheitsamt, das der renitenten Dame am 28. April 2022 einen Bescheid zustellte.
Darin wurde sie aufgefordert, bis Anfang Juni einen Impf- oder Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen, dass sie aus medizinischen Gründen nicht gegen das Coronavirus geimpft werden darf. Sollte sie dieser Anordnung nicht nachkommen, drohte ihr das Amt ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.500 Euro an. Zudem beabsichtigte die Behörde, der Frau das Betreten und die berufliche Tätigkeit in der Zahnarztpraxis zu verbieten.
»Sofortige Vollziehung“ als Steigerung der Drohkulisse
Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, ordnete das Gesundheitsamt darüber hinaus die „sofortige Vollziehung“ des Verwaltungsaktes an. Heißt: Ein Widerspruch und eine Klage gegen den Bescheid hätten keine aufschiebende Wirkung gehabt.
Derartige Schreiben erhielten deutschlandweit bereits tausende Beschäftigte in Krankenhäusern, Arztpraxen, Tageskliniken und Altenheimen. Die Zahnarzthelferin legte Widerspruch ein – und hatte Erfolg. „Die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Anordnung zur Vorlage eines Impfnachweises … ist offensichtlich rechtswidrig“, argumentierte die erste Kammer.
Das Gesundheitsamt dürfe die Einsicht in die Impfstatus-Unterlagen „nicht in der Form eines Verwaltungsaktes“ anordnen. Hintergrund ist, dass hierzulande jeder Verwaltungsakt mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden kann, was in diesem Fall auf eine Impfpflicht hinausgelaufen wäre. Das Gesundheitsamt darf nach Ansicht der Richter die Aufforderung des Impfnachweises daher nicht im Wege des Verwaltungszwangs isoliert durchsetzen.
Betroffene können sich gegenüber dem Gesundheitsamt auf die Rechtsprechung berufen
Laut der Pressesprecherin des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts, Friederike Lange, hat die ungeimpfte Zahnarzthelferin „zunächst nur erreicht, dass die angeordnete Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder einer ärztlichen Bescheinigung über eine Impfungsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht durch einen Verwaltungsakt mit anschließendem Verwaltungszwang durchgesetzt werden kann.“
Wie Lange „Focus Online“ mitteilte, muss die Antragstellerin dennoch mit Sanktionen rechnen: „Die Behörden können zwar eine solche Vorlage nun nicht mehr durch Verwaltungsakt anordnen. Ihnen verbleibt jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, gegenüber den Betroffenen ein Betretens- oder Tätigkeitsverbot auszusprechen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.“
Zwar gelte der Beschluss grundsätzlich nur für den Einzelfall, so Pressesprecherin Lange. Mitarbeiter im Gesundheitswesen haben nach dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts dennoch guten Grund zur Hoffnung. Denn weitere Betroffene, so Lange, können sich gegenüber dem Gesundheitsamt „auf die Rechtsprechung berufen“.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: ShutterstockText: dw