Von Alexander Wallasch
Der Twitter-Account des Chefberaters der Bundesregierung zur Corona-Pandemie kochte gestern über. Prof. Christian Drosten zeigte sich dabei auf erstaunliche Weise dünnhäutig über Interviews im Cicero und der Neuen Zürcher Zeitung. Dort nämlich wurde er von einem Hamburger Physiker und Vertreter der Laborthese scharf kritisiert.
Drosten schrieb dazu:
Cicero bietet einem Extremcharakter die Bühne und provoziert persönliche Angriffe gegen mich durch suggestive Fragen. Antworten werden im Andeutungs- und Wertungsbereich stehengelassen, belastbaren Tatsachenbehauptungen ausgewichen. Das ist kein Interview, sondern ein Vorkommnis. https://t.co/V0KZL9CkPZ
— Christian Drosten (@c_drosten) February 3, 2022
Als dieser Kommentar auch harsche Kritik bekam, ging der Virologe in einem weiteren Kommentar quasi umstandslos in diffamierende Äußerungen gegen die Zeitungen und den dort interviewten Professor über. Eine erstaunliche Eskalation eines ansonsten äußerlich gerne gelassen auftretenden Christian Drosten:
Auch auffällig: in der NZZ ist zeitgleich ein bis hin zu Formulierungen inhaltsgleiches Interview erschienen. Betreibt hier jemand eine Kampagne?
— Christian Drosten (@c_drosten) February 3, 2022
Was war hier passiert? Was sind das für Interviews und was befürchtet Drosten? Hier die Vorgeschichte:
Die Diskussion darüber, ob das Corona-Virus von einer Fledermaus stammt oder in einem Labor in Wuhan genmanipuliert wurde, begleitet die Corona-Pandemie seit zwei Jahren. Und entgegen üblicher wissenschaftlicher Gepflogenheiten hat sich in der Debatte um das Corona-Virus ein von einer Reihe von Medien noch unterstütztes Diktat der Mehrheitsmeinung durchgesetzt: Die Fledermausthese ist erste Wahl, die Laborthese wurde dem Bereich der Verschwörungstheorie zugeordnet. Eine wissenschaftliche Publikation aus Anfang 2020 war hier lange federführend.
Aber eben auch nicht ganz. So fragte die Deutsche Welle im August 2021: „Corona aus dem Labor – Verschwörungstheorie oder nicht?“ Anlass für diesen Artikel war das Engagement von US-Geheimdiensten, die sich anschickten, herauszufinden, was wirklich in Wuhan als Ursprungsort der Pandemie geschah.
Fast schon vergessen sind hier die dystopischen Bilder von im Stadtbild von Wuhan tot umfallenden Menschen, Aufnahmen, die psychologisch weltweit den Schrecken der Pandemie mitbegründet hatten. Aber eben auch Bilder, die sich in der Form nirgendwo auf der Welt wiederholt hatten, die Anlass wurden für Theorien in jede erdenkliche, aber auch bis dahin undenkbare Richtung.
Auch die zur Untersuchung der Entstehung von Corona Anfang 2021 eingesetzte Wuhan-Mission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kam vor Ort zu keinem eindeutigen Ergebnis, so sehr der dänische Missionsleiter Peter Ben Embarek auch betonte, dass er es für extrem unwahrscheinlich halte, dass das Virus aus dem Labor stammen würde. Die Verwirrung war vollständig, als Embarek später erklärte, chinesische Beamte hätten ihn unter Druck gesetzt, diese Aussage in den Bericht aufzunehmen.
Embarek war Jahre zuvor schon längere Zeit im Auftrag der WHO als Berater für die chinesische Regierung tätig. Seine hingeraunten Äußerungen in einem Interview gegenüber der Washington Post waren ebenfalls geeignet, begründetes Misstrauen in die von ihm selbst und seiner Mission aufgestellte Fledermausthese zu säen:
„The whole system focuses a lot on being infallible, and everything must be perfect,” he added. “Somebody could also wish to hide something. Who knows?”
Ein Jahr später steht Joe Bidens Pandemie-Chefberater, der US-Immunologe Anthony Fauci, unter Verdacht, schon sehr früh von der Richtigkeit der Laborthese gewusst zu haben. Der Mediziner Fauci war bereits Berater unter Ronald Reagen und allen weiteren Präsidenten. Mitte Januar 2022 warfen ihm Mitglieder der republikanischen Partei vor, er habe Anfang 2020 den möglichen Laborursprung des Coronavirus vertuscht. E-Mails sollen dazu aufgetaucht sein, welche eine frühe Kenntnis belegen könnten und so eine ganze Reihe neuer Fragen aufwerfen.
🚨BREAKING🚨
We've released never before seen emails showing Dr. Fauci may have concealed information about #COVID19 originating from the Wuhan lab & intentionally downplayed the lab leak theory. @RepJamesComer & @Jim_Jordan want Fauci under oath. Time for answers. 1/2👇 pic.twitter.com/p8aIBJ3nom
— Oversight Committee (@GOPoversight) January 11, 2022
Jetzt ist es nicht so, dass die so genannte Laborthese ganz vom Tisch war. Insbesondere der Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger besteht bis heute darauf, dass diese These sogar die wahrscheinlichere ist. Bereits im Februar 2021 gab der Leiter des Interdisziplinären Nanowissenschafts-Centrum Hamburg dem Journalisten Alexander Kissler für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ein Interview. Darin beruft sich Wiesendanger unter anderem auf eine Arbeit des amerikanischen Biopharmazeuten Steven Quay, die zum selben Ergebnis gelangt sei wie er. Quay hatte für den Laborunfall als Ursache eine Wahrscheinlichkeit von 99,8 Prozent errechnet.
Wiesendanger äußerte sich gegenüber Kissler auch zum Umgang der Medien mit ihm und seiner Arbeit: „Der hiesige Journalismus hat sich mir gegenüber von seiner hässlichen Seite gezeigt. (…) Nirgends war die Ablehnung so wüst und diffamierend wie in Deutschland.“ Es wurde stiller um den Nanowissenschaftler. Bis vor wenigen Tagen. Denn sowohl die NZZ als auch der Cicero erinnerten sich an Wiesendanger im Zusammenhang mit besagten E-Mails, welche von den Republikanern gegen Fauci ins Feld geführt wurden.
Gegenüber der NZZ zeigte sich Wiesendanger überzeugt, „dass das Rätsel mit der Freigabe von zwei weiteren Dokumenten gelöst werden könnte.“ Dabei spielte er auf die genannten E-Mails an. Und die Zeitung bestätigt ihm: „Tatsächlich hat sich in der hitzig geführten Debatte eine brisante Wendung ergeben.“
Wiesendanger führte weitere renommierte Kollegen ins Feld, die seine Laborthese stützen würden, wie den Kanadier Yuri Deigin, die Italienerin Rossana Segreto von der Universität Innsbruck und den französischen Nobelpreisträger Luc Montagnier. Aber das Problem sei, so Prof. Wiesendanger, „dass sie alle es nicht schafften, ihre Erkenntnisse in wissenschaftlichen Fachpublikationen zu veröffentlichen und sie so in der Community zu verbreiten.“
Die NZZ erinnert in der Neuauflage des Gesprächs mit Wiesendanger daran, dass führende Virologen schon Mitte 2020 in einem vielbeachteten Beitrag in der Fachzeitschrift „Lancet“ und einer weiteren Publikation die Laborthese als Verschwörungstheorie bezeichnet hatten. Wiesendanger findet es besonders tragisch, dass der Begriff „Verschwörungstheorie“ nicht etwa zuerst von Medien in die Welt gesetzt wurde, „sondern von Wissenschaftern – in unwissenschaftlicher Weise führten sie mit ihrer Stellungnahme die ganze Welt in die Irre.“
Der deutsche Professor scheut auch vor schwerwiegenden Anschuldigungen gegen die im Lancet veröffentlichenden Wissenschaftler nicht zurück: „Später hat sich dann ja gezeigt, dass hinter der Stellungnahme Peter Daszak stand, ein Interessenvertreter, der zutiefst in umstrittene Forschungsprojekte am Institut für Virologie in Wuhan verwickelt ist.“ Inzwischen hätte selbst „Lancet“ Daszaks massiven Interessenskonflikt in einem Nachtrag eingeräumt.
Wiesendanger berichtet im Interview, dass das US-Verteidigungsministerium Daszaks Organisation in den letzten Jahren fast 40 Millionen Dollar zugesprochen hat – für die Erforschung von Biowaffen.
„Für Aufsehen sorgte auch ein Antrag für Forschungsgelder aus dem Jahr 2018. Mit genetischen Experimenten sollte in Coronaviren ein Element eingebaut werden, das sie für die Übertragung auf den Menschen noch gefährlicher machte. Exakt dieses Element – die Furin-Spaltstelle – fand sich später im Erbgut von Sars-CoV-2“, so Wiesendanger gegenüber der NZZ.
Und der Physiker führt weiter aus: „Während der Obama-Administration wurde für diese Forschung in den USA zeitweise ein Moratorium verhängt, weil sie als zu gefährlich gilt. Das Moratorium wurde aber zum Teil umgangen, insbesondere durch die Auslagerung dieser Art von Forschung nach Wuhan.“
Im weiteren Verlauf erfolgt dann der direkte Anwurf von Prof. Wiesendanger gegen Prof. Drosten. Dabei geht es um eine intensive, aber bis heute erfolglose Suche nach einem Zwischenwirt zwischen Fledermaus und Mensch, der übrigens tatsächlich, so man ihn fände, geeignet wäre, die Laborthese zu kippen. Wiesendanger über Drosten:
„Wenn dann der deutsche Virologe Christian Drosten über irgndwelche Tierarten als mögliche Zwischenwirte spekuliert, die schon längst untersucht worden sind, ärgert mich das.“
Und dann kommt Wiesendanger zurück zu den Konstrukteuren des Begriffs „Verschwörungstheorie“ für die Laborthese:
„Ja, so etwas hat es vermutlich noch nie gegeben, dass eine Gruppe von mehr als zwanzig Vertretern eines Fachgebiets, nämlich der Virologie, die Öffentlichkeit derart in die Irre führt. Mitunterzeichner dieser Stellungnahme war ja auch Christian Drosten – wider besseres Wissen übrigens. Denn Drosten nahm nachweislich an der Telefonkonferenz vom 1. Februar 2020 mit Anthony Fauci teil.“
Die Konferenz soll auch die mögliche Herkunft des Virus zum Thema gehabt haben. Von der Telefonkonferenz liegt zwar kein Protokoll vor, bedauert Wiesendanger gegenüber der Zeitung, doch mithilfe des amerikanischen Öffentlichkeitsgesetzes (Freedom of Information Act) sei kürzlich der E-Mail-Verkehr „einiger Beteiligter aus den Tagen vor und nach dem virtuellen Meeting bekanntgeworden“.
Es soll Abschriften dieses E-Mail-Verkehrs geben. Und daraus gingen im Wesentlichen zwei Erkenntnisse hervor, so Wiesendanger:
„Mehrere Virologen favorisierten damals die These eines Laborunfalls in Wuhan. Er sei «70:30 oder 60:40» für die Laborthese, schrieb beispielsweise einer der Teilnehmer. Als Argument gegen eine natürliche Entwicklung von Sars-CoV-2 wird in den offengelegten E-Mails mehrfach die Furin-Spaltstelle genannt.“
Neben den Virologen hätten mit Anthony Fauci und Francis Collins an besagter Telefonkonferenz auch zwei Verantwortliche der US-Gesundheitsbehörde (NIH) teilgenommen. Und diese beiden hätten, so Wiesendanger, in den Folgetagen versucht, einen möglichen Laborunfall herunterzuspielen.
„Unerwähnt ließ er“, so der Hamburger Professor weiter, „dass im Falle eines Laborunfalls auch der US-Gesundheitsbehörde ein großer Schaden drohen würde: Sie war es, die die Forschungsarbeit in Wuhan jahrelang mit Fördergeldern und auch mit Fachpersonal unterstützt hatte. Francis Collins war bis Ende 2021 Direktor von NIH.“ (Das ist die US-Gesundheitsbehörde.)
Der Clou aber ist für Wiesendanger, dass der amerikanische Virologe Kristian G. Andersen, welcher in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ die Laborthese zur „Verschwörungstheorie“ erklärt hatte, noch am Tag vor seiner Teilnahme an besagter Telefonkonferenz in einer E-Mail an Anthony Fauci geschrieben hätte, „er und zwei seiner späteren Mitautoren (Edward Holmes und Robert Garry) seien sich einig, dass das Virus nicht natürlich entstanden sei, sondern aus einem Labor entwichen sein dürfte“.
Es ist tatsächlich ein Krimi, wenn Wiesendanger auch daran erinnert, dass am 12. September 2019 um 2 Uhr nachts chinesischer Zeit am Institut für Virologie in Wuhan die weltweit größte Datenbank für Coronaviren vom Netz genommen wurde.
Dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Woche vorher ebenfalls in Wuhan weilte, ist zumindest in den sozialen Medien immer wieder mal Anlass für weitere wilde Spekulationen.
Roland Wiesendanger, dem Physikprofessor an der Universität Hamburg, ist eines jedenfalls ganz deutlich geworden: „Hier stehen Dinge im Raum, die die Gesellschaft nicht mehr dulden kann. Das muss jetzt auch juristisch aufgearbeitet werden. Es gibt bereits einen ersten Strafantrag beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.“
Aber noch einmal zurück zu Prof. Christian Drosten. Der hat in Deutschland eine vergleichbare Position inne, wie Anthony Fauci in den USA – beide beraten ihre Regierungen in der Pandemie. Drosten hat sich auf erstaunlich angefasste wie offensive Art und Weise gegen die Aussagen von Prof. Wiesendanger gestellt. Allerdings bisher, ohne explizit Stellung zu beziehen.
Wer sich einmal durchliest, auf welch unjournalistische Art und Weise beispielsweise die Frankfurter Rundschau heute morgen eine Volontärin in die Drosten-Verteidigung gehen lässt, der darf gerne noch einmal alarmierter sein.
Heute vormittag hatte sich Drosten dann offensichtlich wieder gefangen und hat wieder zu dieser oft so borniert erscheinenden Lässigkeit des Besserwissenden zurückgefunden: Er twitterte nämlich ausgerechnet jenen von Prof. Wiesendanger gegen Drosten ins Feld geführten „Lancet“-Artikel, der den Virologen als Mitautor der Behauptung der Laborthese als „Verschwörungstheorie“ ausweist. Drosten schreibt dazu nur drei Worte: „Aus gegebenem Anlass“. Zu den schwergewichtigen Anschuldigungen gegen ihn schweigt er weiter.
Schon am 13. April 2021 schrieb die Welt über den in der Pandemie so prominent gewordenen Virologen:
„Christian Drosten hat zu einem Rundumschlag ausgeholt – und Kollegen, die seine Lockdown-Position nicht teilen, als „Wissenschaftsleugner“ und „Pseudoexperten“ beschimpft. In vielem ähnelt seine Kritik dem, was er kritisiert.“
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Science Media Center Germany, Wie gefährlich wird das neue Coronavirus?, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Text: wal
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