Ein Jahr nach Brokstedt: Was hat sich getan – oder nicht getan? Amoklauf im Regionalzug Kiel – Hamburg

Von Kai Rebmann

Auch dieser Mittwoch begann wie jeder andere Schultag. Michael Kyrath und seine Tochter Ann-Marie fuhren gegen 5:45 Uhr zusammen los zum Dentallabor des Vaters, das unweit des Bahnhofs in Elmshorn (Schleswig-Holstein) liegt. Sie hatten noch eine gute halbe Stunde gemeinsam, ehe Ann-Marie zum Bahnhof ging und in den Zug nach Neumünster stieg, wo sie zur Schule ging, um ihr Abitur zu machen.

Ann-Marie war eine lebenslustige aufgeschlossene, immer freundliche junge Frau, die vor Lebensfreude strotzte. Sie hatte große Pläne, wollte Automobil-Design studieren. Sie hatte ein Faible für Mode, ihr großes Vorbild war Grace Kelly. Warum, das wissen nicht einmal die Eltern so genau – es war auf einmal da und sie zog sich dementsprechend an. Natürlich fiel sie mit ihrem Stil auf und ihr gewinnendes Lachen war oftmals weit zu hören. Eine Woche vor ihrem Tod feierte sie noch ihren 17. Geburtstag, zwei Tage später kam sie mit Danny zusammen – der erste Freund, die erste große Liebe in diesem noch jungen Leben.

Der 19-jährige Danny war das zweite Opfer. Ohne Vorwarnung stach der staatenlose 33-jährige Palästinenser Ibrahim A. an diesem Tag, dem 25. Januar 2023, mit einem Messer insgesamt 38 Mal auf das junge Paar ein. Vier weitere Fahrgäste wurden bei dem Angriff schwer verletzt.

Seit Juli 2023 muss sich Ibrahim A. deshalb vor dem Landgericht Itzehoe wegen zweifachen Mordes und vierfachen versuchten Mordes verantworten. Ein Urteil wird im April erwartet. Ibrahim A. war 2014 nach Deutschland gekommen und hatte hier Asyl beantragt. Zunächst lebte er in Nordrhein-Westfalen und geriet dort schnell auf die schiefe Bahn. In den folgenden zwei Jahren wurden mehr als 20 Ermittlungsverfahren gegen den „Schutzsuchenden“ eröffnet, in drei Fällen kam es zu einer Verurteilung – ein Diebstahl, ein Drogendelikt und eine gefährliche Körperverletzung.

Für letztere wurde er zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Wäre dieses Urteil dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemeldet worden, hätte es Ibrahim A. 2016 mutmaßlich keinen subsidiären Schutz mehr gewährt.

Im Jahr 2022 wurde Ibrahim A. erneut verurteilt. Er hatte, inzwischen in Hamburg gemeldet, einen Obdachlosen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Sein damaliger Verteidiger ging in Berufung. Wegen Personalmangels zog sich die Berufungsverhandlung derart in die Länge, dass A. am 19. Januar 2023 aus der U-Haft der JVA Billwerder entlassen wurde – weil er die zu erwartende Haftstrafe schon abgesessen hatte. Sechs Tage später waren Ann-Marie und Danny tot!

Nach dem Amoklauf von Brokstedt lief alles nach dem immer gleichen Muster ab. Dem Täter wurde von Experten eine psychische Störung attestiert und die Opfer seien irgendwie ja auch selbst schuld. Wohlgemerkt, Ibrahim A. kam frisch aus der U-Haft.

Was ist während der Zeit seines Aufenthalts in der JVA Billwerder gemacht oder nicht gemacht worden? Weshalb konnte oder wollte diese jetzt im Nachhinein diagnostizierte und wie auch immer geartete „psychische Störung“ damals niemand feststellen? Hätte man Ibrahim A. dann nicht schon viel früher fachgerechter Hilfe zuführen können oder sogar müssen? Fragen über Fragen, die sich viele Menschen in diesem Land stellen und auf die es wohl nie eine zufriedenstellende Antwort geben wird.

Wie dem auch sei: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ließ sich medienwirksam auf dem Bahnsteig in Brokstedt in Szene setzen und verkündete, dass es jetzt das Wichtigste sei, dass diese Tat nicht von Rechtsradikalen instrumentalisiert werde – kein Wort über die Opfer, kein Wort an die Hinterbliebenen!

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trat den Schilderungen von Michael Kyrath zufolge nur wenige Minuten nach dem Gedenkgottesdienst für die Opfer, in dem unzählige Male deren Namen – Ann-Marie und Danny – genannt worden waren, vor die Kameras und sagte: „Es tut mir leid, dass die Leute ums Leben gekommen sind!“ Die Erinnerungslücken des Kanzlers sind inzwischen ja legendär und traten auch in diesem Fall anscheinend einmal mehr ganz offen zu Tage.

Für die Eltern ist eine solche Ignoranz der Politik nicht zu ertragen. Das ist ein Grund, warum Michael Kyrath den Schritt an die Öffentlichkeit gewagt hat. Er will aufzeigen, dass die Opfer nicht irgendwelche „Leute“ waren, sondern Menschen aus Fleisch und Blut – in diesem Fall ihre Kinder mit den Namen Danny und Ann-Marie.

Und er will klarmachen, dass die Lehre aus dieser Tat nicht der Kampf gegen rechts sein sollte, sondern Prävention – und dass aus den unzähligen Fehlern auf Seiten der Behörden die entsprechenden Lehren gezogen werden müssen!

Nicht zuletzt dieser Öffentlichkeitsarbeit ist es zu verdanken, dass viele Menschen den Schritt gewagt und sich an die Familie Kyrath gewandt haben. Inzwischen sind es knapp 300 Elternpaare, die sich gemeldet haben. Alle Fälle haben sich seit 2017 ereignet und waren in den Augen der Politik „bedauerliche Einzelfälle“.

Das sind es für die Familie Kyrath – und viele andere hinterbliebene Eltern – aber eben nicht: „Es waren ‚nur‘ ca. 300 Elternpaare, die sich bei uns gemeldet haben – wie hoch die Zahl derer ist, die diesen Mut nicht hatten, kann ich nicht abschätzen“, sagt Michael Kyrath. In einem anderen Punkt ist sich der Vater von Ann-Marie aber sehr sicher: „Alle Taten haben vier Eckpunkte gemeinsam: Es ist immer dasselbe Täterprofil, es ist immer dasselbe Tatwerkzeug, es sind immer dieselben Tatmotive und es ist immer der nahezu gleiche Tathergang.“

Kyrath warnt davor, daraus voreilige Schlüsse zu ziehen und zu pauschalisieren! Aber er fordert auch, dass man sich mit eben diesen Eckpunkten sachlich auseinandersetzt und die Faktenlage offen und ehrlich diskutiert. Gerade letzteres vermissen die hinterbliebenen Eltern. Die meisten dieser Fälle sollen offenbar möglichst schnell in der Versenkung verschwinden und am besten soll auch nicht mehr darüber gesprochen werden! Es ist wie so oft: Probleme, über die keiner spricht, gibt es auch nicht!

Bei aller Kritik hat die Familie Kyrath aber auch positive Erfahrungen gemacht, soweit man davon in diesem Zusammenhang sprechen kann. So zum Beispiel mit der Landesregierung in Schleswig-Holstein. Dort bestehe fraktionsübergreifend das Interesse, sich mit solchen Fällen sehr intensiv auseinanderzusetzen und nach Lösungen zu suchen. Michael Kyrath berichtet von mehreren Gesprächen und Treffen mit Vertretern der Landesregierung, allen voran Ministerpräsident Daniel Günther und Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (beide CDU), die aufgezeigt hätten, dass die Probleme erkannt worden seien und man diese ernsthaft lösen wolle. Kyrath wertet dies ausdrücklich als „positives Zeichen für die Hinterbliebenen“.

Gleichzeitig bedauert der Vater, dass diese Bereitschaft in Berlin offenbar nicht zu erkennen ist. Kyrath hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser eigenem Bekunden zufolge mehrfach eingeladen, sich mit ihm – und gegebenenfalls weiteren Hinterbliebenen – an einen Tisch zu setzen und über dieses Thema zu diskutieren. Anders als in Schleswig-Holstein kam bis heute aber kein einziges Zeichen aus dem Berliner Innenministerium! Bis heute wartet Kyrath vergeblich auf irgendeine Reaktion. Die Bundesinnenministerin habe noch nicht einmal den Anstand gehabt, der Familie zu kondolieren:

„Ich möchte diese Ignoranz nicht bewerten“, sagt Kyrath, „aber ich würde mir wünschen, dass Frau Faeser sich etwas offener zeigt. Ich wünsche niemandem etwas Schlechtes – aber vielleicht sollten sich einige Politiker in Berlin einmal vorstellen, wie es ist, wenn das eigene Kind vor einem in einem Sarg aufgebahrt liegt, man ihm liebevoll ein letztes Mal im eigenen Leben über die Hand streichelt – und diese Hand ist eiskalt!“

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Dieses Gefühl der Kälte spürt Kyrath heute noch – über ein Jahr nach der Tat – jeden Tag in seinen Fingerspritzen und es gibt keinen einzigen Moment, an dem er und seine Frau nicht darum kämpfen müssen, immer weiterzumachen: „Wir haben einen wundervollen Freundeskreis, der uns bis heute mit voller Kraft unterstützt und trägt…sonst würden wir hier heute nicht mehr sitzen!“, sagt Kyrath.

„Aufgeben ist keine Option“, das war das Lebensmotto von Ann-Marie. Es ist dieser Satz, den sich die Familie Kyrath jetzt jeden einzelnen Tag hunderte Male wie ein Mantra vorbetet. Und er ist auch der Antrieb für Michael Kyrath, jeden Tag immer weiterzumachen.

Mit einem letzten Appell wendet sich Kyrath abermals an die Bundesregierung: „Es sind keine bedauerlichen Einzelfälle mehr. Ich – und alle anderen Hinterbliebenen – erwarten von der Politik in Berlin, sich mit diesem Thema intensiv, ehrlich und sachlich auseinanderzusetzen, damit anderen Eltern ein solches Schicksal erspart bleibt!“

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