„Eindeutig schlimmer als die Bild-Zeitung“ Medienanwalt demontiert den Spiegel

Von Daniel Weinmann

Der „Spiegel“ steht sinnbildlich für den Niedergang der deutschen Medien. Löste das Hamburger Magazin in seinen besten Zeiten veritable Staatskrisen aus, zählt heute nicht zuletzt die Hetzjagd auf Prominente zu den besonders beliebten Themen. Mit Filmemacher Til Schweiger, Starkoch Christian Jürgens und Rammstein-Frontmann Till Lindemann zierten gleich drei Personen des öffentlichen Lebens innerhalb kurzer Zeit die Titelseite.

Das Strickmuster ist jeweils gleich: Auf dem Niveau billiger Boulevard-Medien findet – gestützt auf zumeist anonyme Zitatgeber – eine faktenfreie Vorverurteilung statt. Von Unschuldsvermutung keine Spur. Sex, Macht, Missbrauch und ein prominentes Gesicht verkaufen sich eben besonders gut.

Um dem Treiben des „Spiegel“ ein Ende zu setzen, lässt sich Rammstein-Sänger Lindemann seit Anfang Juni von der Berliner Kanzlei Schertz Bergmann vertreten, deren Gründer hierzulande zu den bekanntesten Medienanwälten Deutschlands zählen. Erst Mitte dieses Monats erwirkte Kanzlei-Mitinhaber Simon Bergmann am Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen den „Spiegel“.

»Das ist eine schlechte Entwicklung«

Dem Blatt wurde untersagt, den Verdacht zu erwecken, Lindemann habe Frauen bei Rammstein-Konzerten mithilfe von K.O.-Tropfen/Drogen/Alkohol betäubt oder betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vornehmen zu können. „Mit der Entscheidung des Landgerichts Hamburg ist der schwerwiegendste Vorwurf, der im angegriffenen Spiegel-Artikel erhoben wurde, gerichtlich verboten worden“, teilte die Kanzlei per Pressemitteilung mit.

Nun legte Bergmann in einem umfangreichen Interview mit „Cicero“ nach. Sein Bild vom „Spiegel“ habe sehr gelitten: „Mich ärgert dieser sensationsheischende, gar nicht der Aufklärung dienende Stil“, so der Jurist. In seinen Augen ist das einstige Nachrichtenmagazin „mittlerweile auf einem Bild-Zeitungs-Niveau angelangt. Im konkreten Fall sogar eindeutig schlimmer als die Bild. Da werden Methoden angewandt, die eigentlich dem Boulevardjournalismus zugeschrieben werden. Das ist eine schlechte Entwicklung“.

Besonders beschämend in diesem Zusammenhang ist eine Video-Diskussion mit ausgewählten Lesern („Spiegel-Backstage“), in der die Autoren und ein Justitiar des Verlags am 29. Juni zugeben mussten: „Wir wissen nicht, ob das stimmt, was wir da schreiben.“

»Ich habe beim Spiegel noch nie erlebt, dass da irgendeine Einsicht war«

Bergmann findet die Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ und des „NDR“ ebenfalls unzulässig, doch sei sie nicht ganz so vorverurteilend und reißerisch wie jene vom „Spiegel“. „Anstatt in Ruhe zu recherchieren und auch nach entlastenden Umständen zu suchen, ginge es nur darum, den nächsten Weinstein-Fall aufzudecken, egal was für und gegen den Betroffenen spreche.

Bezeichnend: Bergmann hat inzwischen seltener Fälle gegen die „Bild“ als gegen den „Spiegel“. Vielfach mahnt er gar nicht mehr ab. „Zeitverschwendung. Beim Spiegel weiß ich: aussichtslos. Ich habe beim Spiegel noch nie erlebt, dass da irgendeine Einsicht war, dass die gesagt hätten: Oh, hier haben wir einen Fehler gemacht.“

„Die Artikel werden manipuliert. In vielerlei Hinsicht“, moniert der Medienrechtler. „Sie werden kaum einen finden, in dem nicht das Schlagwort „MeToo“ ausgebreitet wird. Der Spiegel bewirbt seine „MeToo“-Berichterstattung, die er hinter der Bezahlschranke Spiegel+ bereithält, marktschreierisch wie ein Baumarkt seine Angebote.“ Hinzu komme der Name Harvey Weinstein, der niemals in den entsprechenden Artikeln fehlen dürfe. „Der Harvey-Weinstein-Fall zieht die Leute an wie Licht die Motten.“

»Wir haben auch noch weitere Medien im Visier«

Es dränge sich der Eindruck auf, dass das Thema „MeToo“ und Harvey Weinstein einen ganz neuen Spin in den Medien gewonnen habe und die Menschen triggere. Es garantiere hohe Verkaufszahlen, insbesondere im Digitalbereich. „Deswegen werden Sie auch kaum „MeToo“-Berichte finden ohne Bezahlschranke“, so Bergmann. „Sie erscheinen in der Print-Ausgabe – die man kaufen muss – und häufig im kostenpflichtigen Abo-Bereich, sind dann also nicht frei zugänglich. Der Grund dafür ist, dass man damit auch Geld machen will. Das hat zu einer erheblichen Zunahme unzulässiger Verdachtsberichterstattung geführt und zu einer gefährlichen Verschiebung der Vorgaben.“

Das Argument von Pressevertretern und Aktivisten, sie müssten solche Beiträge öffentlich machen, weil strafrechtlich ja eh nichts herauskomme und die Täter immer ungeschoren davonkämen, trifft für Bergmann nicht zu. Er hält dies für eine „fatale Tendenz, eine fatale Bewegung. Damit kann man jede Berichterstattung irgendwie rechtfertigen“.

Es wäre ein Dammbruch, wenn die Gerichte darauf eingingen, so der Anwalt: „Dann würde ein Vorwurf ausreichen, darüber zu berichten, so wie jetzt auch im Fall Lindemann teilweise unter detaillierter Darstellung intimster Sexualpraktiken vorgegangen wird.“ Bergmann ist gespannt, wie es in der Causa Lindemann weitergeht. Zumindest so viel verrät er gegenüber dem „Cicero“: „Wir haben auch noch weitere Medien im Visier.“

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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

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