Von Max Unangst
Dürfte der grüne Amtschef des Sozialministeriums Baden-Württemberg per „Weisung“ anordnen, nachts alle Landstraßen zu sperren, um der Ausbreitung des Coronavirus vorzubeugen? In einem Rechtsstaat selbstverständlich nicht, da es dafür keinerlei Grundlage im Infektionsschutzgesetz oder in der Corona-Verordnung des Landes gibt. Das hat mit dem wichtigen Grundsatz der „Normenbestimmtheit“ zu tun, der nur solche Vorschriften zulässt, die für den Bürger auch klar und eindeutig sind.
Dennoch hat der besagte Amtschef, Uwe Lahl, am Samstag eine nächtliche Ausgangssperre für Ungeimpfte in drei Landkreisen in Baden-Württemberg veranlasst. Seit der Nacht auf Montag darf man im Ostalbkreis, im Kreis Biberach und im Schwarzwald-Baar-Kreis ohne Impf- oder Genesenen-Zertifikat zwischen 21 und 5 Uhr nicht mehr das Haus verlassen, da die „Inzidenz“ dort über 600 liegt. Weitere Landkreise sollen folgen, sobald die Schwelle auch dort überschritten ist, sagte Lahl im SWR. Es dürfte also nur eine Frage von Tagen sein, bis in ganz Baden-Württemberg die Ungeimpften zu Hause eingesperrt werden. Wegen Straftaten wie Freiheitsberaubung verantworten muss sich Lahl unter dem herrschenden Regime natürlich nicht, obwohl es theoretisch durchaus plausibel wäre. Vorerst gilt die Maßnahme bis 15. Dezember.
Dieses Datum wiederum hat etwas mit der Ampelkoalition zu tun, denn es wurde auf Druck der Union in letzter Minute ins neue Infektionsschutzgesetz gemogelt. Zwar waren Kubicki & Co. mit dem hehren Versprechen angetreten, Lockdowns und Schulschließungen ab dem 25. November unmöglich zu machen. Doch wurde im deaktivierten Lockdown-Paragrafen 28a im Schlussspurt der parlamentarischen Verhandlungen ein neunter Absatz mit einer Übergangsregelung aufgenommen.
Diese sieht vor, dass alle Zwangsmaßnahmen, die bis einschließlich 24. November per Landesverordnungen vorgesehen werden, „übergangsweise“ noch bis zum 15. Dezember in Kraft bleiben können. Sachsen und Bayern haben bereits solche Verordnungen gegen Ungeimpfte erlassen. Baden-Württemberg hat angekündigt, das bis Mittwoch nachzuholen. Die Willkürmaßnahmen von Amtschef Uwe Lahl und seinen Kumpanen in der Regierung haben dann wieder einen rechtlichen Boden. Das geht so weit, dass zum Beispiel Schwellenwerte von Inzidenzen oder Hospitalisierungsraten festgelegt werden könnten, um vor dem 15. Dezember Lockdowns auch in solchen Kreisen durchzusetzen, die Ende November noch wenig betroffen waren. Theoretisch könnte der Landtag das zwar verhindern. Aufgrund der famosen neuen Gesetzgebung der Ampel müsste er dazu jedoch die gesamte Corona-Verordnung aufheben, was die Parlamentarier der Regierungsfraktionen natürlich nicht tun werden.
Ganz davon abgesehen, dass nach einer Landtagsdebatte auch die Weitergeltung der epidemischen Notlage auf Landesebene beschlossen werden kann, falls ein solcher Beschluss bis 24. November zustande kommt. Immerhin müssten sich Leute wie Söder und Kretschmann dafür in den nächsten zwei Tagen einer scharfen öffentlichen Diskussion stellen, die sie eher scheuen dürften.
Nach dem 15. Dezember jedoch könnte der Bundestag die nationale epidemische Notlage wieder aktivieren, falls sich bis dahin die Infektionslage zuspitzen sollte. Und dies ist allein schon durch die angekündigten neuen Testorgien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Am 9. Dezember steht dementsprechend eine Bund-Länder-Konferenz auf dem Terminkalender, bei dem die Lage erneut evaluiert werden soll. Auch dies ein Zugeständnis der Ampel an die Union. Das Land bleibt auch mit neuen Verhältnissen im Corona-Zwangsstaat gefangen.
Es ist also ein wenig so, als ob gar keine Bundestagswahl stattgefunden hätte. Der lange Schatten Angela Merkels mit Aktionismus, Zwangsmaßnahmen und völliger Erfolglosigkeit fällt auch auf die neue Legislaturperiode. Voraussichtlich wird Merkel bei „Inzidenzen“ über 1.000 aus dem Amt scheiden. Ob sie auch das mit der Bemerkung abhaken wird, man habe „es geschafft“? Wenn damit Unterwerfung und Verblödung einer blindgläubig folgsamen Mehrheit gemeint sind, dann vielleicht schon.
„Inzidenz“ habe ich übrigens beim Institut für deutsche Sprache als „Unwort des Jahres 2021“ nominiert. Für „Corona-Diktatur“ im Jahr 2020 haben die Mannheimer Germanisten nämlich noch etwas gutzumachen. „Die Sprache ist eine Waffe“, wusste schon Kurt Tucholsky.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Der Autor mit staatsrechtlichen Kenntnissen und großem persönlichen Freiheitsdrang arbeitet als Journalist für Medien und Agenturen in Süddeutschland und hat längere Zeit in Spanien gelebt. Er schreibt hier unter Pseudonym. Sein Repertoire reicht von Lokalberichten bis zu Krisensituationen im Ausland. Noch nie hat ihn politisch etwas dermaßen schockiert wie die weitgehend sinnbefreiten Lockdowns auf dem Rücken von Kindern, Familien, Arbeitnehmern und Unternehmern sowie das lange Schweigen des Bundesverfassungsgerichts in den Jahren 2020/21.
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