Von Kai Rebmann
Spanien hat bereits zu Beginn dieses Jahres seinen Ausstieg aus der Corona-Pandemie verkündet und in dieser Woche sind auf der Iberischen Halbinsel auch die letzten Corona-Maßnahmen aufgehoben worden. Anfang Januar 2022 hatte Spaniens Premierminister Pedro Sánchez (PSOE) erklärt, auf EU-Ebene eine „notwendige Debatte“ über den Ausstieg aus dem Pandemie-Modus anstoßen zu wollen, um Corona künftig auch europaweit wie die saisonale Grippe zu behandeln. Seine Gesundheitsministerin Carolina Darias (PSOE) habe dieses Thema bereits bei mehreren ihrer Amtskollegen in der EU angesprochen. Im Februar und März 2022 nahm Spanien neben Kroatien, Dänemark, Frankreich, Italien, Malta, Portugal und den Niederlanden als eines von acht EU-Mitgliedsstaaten an einem Dialog mit dem ECDC (European Center for Disease Prevention and Control) über ihre jeweiligen Ansätze für den Übergang in die Postakutphase und/oder in Bezug auf Deeskalationsmaßnahmen teil, um gemeinsame Lösungen und nützliche Instrumente zu ermitteln, die auch von anderen Ländern genutzt werden können.
Zu den von Spanien verfolgten Ansätzen gehörte unter anderem die Abkehr von massenhaften Tests. Stattdessen setzte die Regierung in Madrid auf gezielte Tests symptomatischer Personen, wie es für Deutschland zuletzt auch von Andreas Gassen, dem Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, vorgeschlagen wurde. Die tägliche Ermittlung von wie auch immer gearteten Inzidenzen gehört in Spanien seit dieser Woche endgültig der Vergangenheit an. Spätestens mit dem Ende der Quarantänepflicht Anfang April wird Corona in Spanien als endemisches Virus bewertet, vergleichbar etwa mit der Grippe oder ähnlichen Volkskrankheiten. Als letzte blasse Erinnerung an die Corona-Maßnahmen ist ein Rauchverbot auf den Terrassen und in den sonstigen Außenbereichen gastronomischer Betriebe auf Mallorca geblieben. Dieses Rauchverbot gilt aktuell nur für die Baleareninsel, soll möglicherweise aber auf alle Regionen des Landes ausgeweitet werden.
EU nimmt sich Spanien zum Vorbild
Am Mittwoch stellte die Europäische Kommission einen Entwurf vor, in dem der Übergang „vom Notfall zu einem nachhaltigeren Management der Pandemie“ aufgezeigt werden soll. Es gelte nun, „nach vorne zu schauen“ und Maßnahmen zu ergreifen, „die darauf abzielen, die Art und Weise, wie wir mit der aktuellen Phase umgehen, zu ändern und sicherzustellen, dass wir bereit sind, schnell zu reagieren, wenn sich die Situation erneut ändert“, wird EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides (Zypern) in einer Pressemitteilung zitiert. Corona sei in der EU kein Notfall mehr, weil wir „nicht mehr den gleichen Druck auf unsere Krankenhäuser“ sehen, weshalb Beschränkungen aufgehoben werden und die Gesellschaften und Volkswirtschaften in den Normalzustand zurückkehren könnten. Der Ausstieg aus dem Pandemie-Modus sei insbesondere deshalb möglich, weil die Impfquote in der EU bei über 70 Prozent liege und sich 60-80 Prozent der EU-Bürger bereits mit dem Virus infiziert hätten. In Deutschland hat die Bundesregierung die Aufrechterhaltung oder gar Verschärfung von Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, zum Beispiel die Notwendigkeit einer allgemeinen Impfpflicht, stets mit dem Verweis auf eine angeblich viel zu niedrige Impfquote zu rechtfertigen versucht, obwohl diese mit 76 Prozent über dem EU-Wert lag und liegt.
Viele der von der EU-Kommission in ihrem Entwurf eingebrachten Vorschläge zum Ausweg aus dem Pandemie-Modus ähneln den Maßnahmen, die in Spanien bereits ergriffen worden sind. Massentests von symptomfreien Bürgern sollen abgeschafft werden. Stattdessen soll der Fokus „auf die repräsentativsten Fälle“ verlagert werden, um „zuverlässige Schätzungen“ zum Infektionsgeschehen und den Auswirkungen schwerer Verläufe sowie zur Wirksamkeit der Impfstoffe zu erhalten. So ganz ohne Hintertür will aber auch die EU ihre Bürger nicht in die Normalität entlassen. Natürlich durfte der Hinweis auf die Möglichkeit der Entstehung neuer Varianten sowie die nach wie vor besondere Bedeutung von (Auffrischungs-)Impfungen nicht fehlen. Mit Blick auf die rund 90 Millionen Ungeimpften, die es laut Kyriakides in der EU gebe, müssten die Herstellungskapazitäten für Impfstoffe in Europa sichergestellt und der Zugang zu COVID-19-Impfstoffen und -Therapeutika weltweit verbessert werden. Auch die Tatsache, dass rund zehn Prozent der Corona-Patienten Symptome von Long-Covid entwickelten, müsse „sehr ernst genommen werden“.
Kommen im Herbst die Grippe-Lockdowns?
Kyriakides forderte die Mitgliedsstaaten in ihrem Statement dazu auf, „integrierte, nachhaltige und ganzjährige Überwachungssysteme für alle akuten Atemwegserkrankungen einzurichten, die nicht nur COVID-19, sondern auch Influenza und andere Atemwegsviren abdecken.“ In den beiden nächsten Sätzen zitiert die Pressemitteilung die EU-Gesundheitskommissarin wie folgt: „Wir werden unsererseits die Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung integrierter und digitalisierter Überwachungssysteme durch das EU4Health-Programm und in Zusammenarbeit mit dem ECDC unterstützen. Wir werden auch dazu beitragen, Labornetzwerke in der gesamten EU zu stärken, um neu entstehende Varianten zu identifizieren und zu bewerten.“ Alle Mitgliedsstaaten müssten ihre Gesundheitssysteme auf eine möglicherweise steigende Fallzahl von COVID-19 oder der saisonalen Grippe vorbereiten. Dazu gehörten die Erhöhung der Krankenhauskapazitäten sowie die ständige Bereitschaft, die Testbemühungen bei Bedarf schnell auszuweiten, wie Kyriakides ausführte.
Sind das die ersten Hinweise darauf, dass in der EU künftig auch Grippe-Lockdowns oder ähnliche Einschränkungen der Freiheitsrechte aufgrund von „anderen Atemwegsviren“ drohen könnten? Denn es wäre tatsächlich keine Überraschung, wenn es in Europa im kommenden Herbst/Winter 2022/23 zu einer besonders stark ausgeprägten Grippewelle käme. So war es in diesem Frühjahr zum Beispiel in Spanien und Dänemark, wo die Masken früher gefallen sind als in anderen EU-Ländern. Auf die Grippewellen in Spanien und Dänemark unmittelbar nach dem Wegfall der Maskenpflicht angesprochen, erklärte der Medizinjournalist Dr. Christoph Specht dies gegenüber RTL so: „Der Immunschutz ist jetzt ziemlich im Keller, weil letzten Winter keine natürliche Infektion mit Grippeviren stattgefunden hat.“ Die Masken und das Abstandhalten hätten dazu beigetragen, dass das Immunsystem keinen Grippeviren mehr ausgesetzt war, so dass das Grippevirus jetzt auf willige Opfer treffe, so der Allgemeinmediziner. Mit einer unmittelbar bevorstehenden Grippewelle rechnet Dr. Specht in Deutschland derzeit aber nicht. „Bis wir bei uns viele der Corona-Maßnahmen zurückgefahren haben, ist es schon Mai. Wir werden dann sehr wahrscheinlich einen Anstieg sehen, der aber nicht allzu stark sein wird.“ Spannend werde es in dieser Hinsicht erst im kommenden Herbst und Winter.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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